Wie ich wohne

Wer wohnt wie? In der Kolumne geben Menschen aus dem BISS-Netzwerk Einblicke in ihren Wohnalltag. Sie erzählen, wie sie früher gelebt haben, wie sie momentan wohnen und was sie sich für die Zukunft erhoffen.

Der Akribische

Protokoll FELICITAS WILKE

Foto MARTIN FENGEL

„Eine Führung durch meine Zweizimmerwohnung im Münchner Osten beginnt am besten auf dem Balkon. Hier verbringe ich gerne Zeit. Zum Rauchen, aber auch zum Gärtnern. Auf wenigen Quadratmetern findet man hier Topfpflanzen, aber auch Efeu oder Zyklamen. Selbst Mais und Bohnen habe ich hier schon angebaut und geerntet. Das ist für mich zu einem richtigen Hobby geworden. An den Balkon grenzt das Wohnzimmer, in dem ich nicht nur fernsehe oder Zeitung lese, sondern auch schlafe und arbeite. Ich habe nämlich einen Mitbewohner, einen Krankenpfleger aus Nepal, der im kleineren Zimmer wohnt. Ich helfe ihm mit dem ganzen bürokratischen Papierkram, weshalb in meinem Zimmer auch ein PC und viele Aktenordner stehen. Wir kommen gut miteinander aus und unterstützen uns gegenseitig. Er kocht zum Beispiel recht gern. Danach duftet die Küche immer nach Koriander, Curry und Kurkuma. Für meinen Geschmack sind das manchmal ein bisschen zu viele Gewürze, aber solange es nicht zu scharf ist, esse ich gern mit. Ansonsten begebe ich mich selbst an den Herd und koche Nudeln mit Olivenöl – ganz klassisch, wie in Italien. Aufgewachsen bin ich nämlich an der Weinstraße in Südtirol. Ich war Einzelkind und meine Mutter ist früh verstorben. So spielte sich meine Kindheit vor allem in der Natur ab. Ich erinnere mich noch gut an meinen Schulweg, der gesäumt war von Kastanienbäumen. Nach der Schule habe ich Kellner gelernt, und zwar im besten Hotel der Region. Noch bevor ich zum Militärdienst musste, führte mein Beruf mich sogar ins Ausland, ins edle Sofitel nach Lyon in Frankreich. Nach meiner Zeit beim Militär landete ich über einen Zwischenstopp in Innsbruck in München. Dort bin ich hängen geblieben und arbeitete weiterhin als Kellner in verschiedenen Lokalen und Cafés. In meinem Beruf war ich ein Profi, doch von brutto und netto wusste ich damals noch nicht so viel – und verdiente daher letztlich weniger, als ich eigentlich dachte. Außerdem geht die Gastronomie ganz schön auf die Knochen. Die Arbeitstage sind lang, man steht die ganze Zeit und trinkt mitunter zu viel Alkohol. Ich konnte meinen Beruf irgendwann nicht mehr ausüben und ging in Frührente. Toll ist meine Rente nicht, aber ich habe ja noch meine Arbeit bei BISS. Da ich gesundheitlich nicht ganz fit bin, gilt meine Wohnung als behindertengerecht und hat unter anderem ein barrierefreies Bad. Das funktioniert aber leider nicht ganz so, wie es sollte: Das Wasser fließt nicht richtig ab. Ansonsten lebe ich aber gern in meiner Wohnung. Die Städtische Wohnungsgesellschaft, zu der das Haus gehört, ist ein angenehmer Vermieter. Solange ich ihr keinen Stress mache, bereitet sie mir auch keinen. Insgesamt zahlen wir 810 Euro an Miete. Mit Mieterhöhungen hält sich die GWG glücklicherweise sehr zurück. Allerdings hatte ich zuletzt eine hohe Nebenkostennachzahlung: 1.000 Euro – die muss man erst mal reinarbeiten. Ich zahle sie jetzt in Raten zurück, was zum Glück möglich ist.“

Wie ich wohne

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Protokoll FELICITAS WILKE

Foto: MARTIN FENGEL

Der Erzähler

„Gerade sind ein paar meiner Möbel mit Planen verdeckt, denn bald tut sich etwas in meiner Wohnung: Nach 23 Jahren kommt ein neuer Boden rein. 23 Jahre, genauso lange lebe ich schon in meiner Wohnung im Stadtteil Berg am Laim. Die Anlage wurde um das Jahr 2000 gebaut, ich gehörte zu den Ersten, die einzogen. Hier lebe ich bis heute auf 42 Quadratmetern, für die ich 370 Euro Warmmiete bezahle. Meine Wohnung hat einen kleinen Flur, ein Bad, ein großes Zimmer mit Küchenzeile und einen Balkon, wo ich im Sommer gern meine Zigaretten rauche. In dem Zimmer befindet sich in einer Nische mein Bett. In der Mitte des Raums stehen meine Couch, der Couchtisch, an dem ich auch esse, mein Fernseher und eine schöne, alte Anrichte, die ich von meinem ältesten Sohn bekomme habe. Darin habe ich Geschirr verstaut. In die kleinen Fensterscheiben auf den Schranktürchen habe ich Fotos reingesteckt – „wie so eine Oma“, schimpft meine Lebensgefährtin gern. Aber so habe ich viele Erinnerungsstücke immer im Blick, zum Beispiel das Hochzeitsbild meiner Schwester. In der Nische am anderen Ende des Zimmers habe ich meine Küche. Einen Ofen hat sie nicht, aber dafür eine Mikrowelle. Wenn ich allein zu Hause bin, mache ich aber meist ohnehin nur eine Brotzeit. Allein kochen lohnt sich nicht. Besucht mich meine Lebensgefährtin oder ich sie in ihrer Wohnung in Neuperlach, kochen wir aber schon, immer abwechselnd. Auch wenn ich seit mittlerweile mehr als 40 Jahren in München lebe, komme ich gebürtig aus Straubing. Ich bin in Ittling aufgewachsen, einem inzwischen eingemeindeten Dorf kurz vor Straubing. Später sind wir innerhalb der Stadt umgezogen. Wir waren neun Geschwister und lebten in einer Wohnung. Unser Pech, denn Familien ab zehn Kindern bekamen damals ein Haus gestellt. Ich war der Älteste, aber eher schüchtern. Nach der Schule habe ich drei Jahre lang eine Ausbildung zum Kfz-Mechaniker gemacht. Die Theorie lag mir nicht so sehr, aber geschafft habe ich meinen Abschluss trotzdem. An der Wand über meinem Sofa hängt bis heute mein Gesellenbrief. Eine Zeitlang habe ich auch in diesem Beruf gearbeitet, aber dann bin ich zur Bundeswehr, habe dort meinen Lkw-Führerschein gemacht und als Fahrer gearbeitet. In München ging es für mich zur Deutschen Post. Ich bestand sogar die Beamtenprüfung, doch damals verdienten Angestellte zu Beginn besser, weshalb ich mich nicht verbeamten ließ. Tja, heute bereue ich’s, aber es passt schon. Dann wurde ich krank. Ich bekam Angst- und Wahnzustände und lebte für eine Weile im Blauen Haus für psychisch Kranke. Dann kam ich zur BISS, wo ich seit 17 Jahren arbeite und seit 15 Jahren eigene Geschichten in der „Schreibwerkstatt“ zu Papier bringe. Das Schreiben ist mein Hobby geworden, genauso wie das Lesen. „Moby Dick“, zum Beispiel. Manchmal fühle ich mich einsam in meiner Wohnung, denn viele meiner Freunde sind schon gestorben. Aber dann denke ich an die vier Kinder, die ich dank meiner Lebensgefährtin habe, und an meine fünf Enkerl. Sie sind inzwischen groß, aber die Fotos an meinen Wänden erinnern mich an sie.“

Wie ich wohne

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Protokoll ANNELIESE WELTHER

Foto MARTIN FENGEL

Der über den Dächern der Stadt thront

Meistens liegen viele Stunden Arbeit hinter mir, wenn ich die dunkel verfärbten, ausgetretenen Holzstufen hinaufgehe, nicht selten beladen mit Einkäufen. Ich hatte mal Tuberkulose und auch eine Operation am Bein, da macht mir das schon zu schaffen. Aber es hat auch seine Vorteile, so weit oben zu wohnen: Keiner steigt an meiner Wohnung vorbei, um ein höheres Stockwerk zu erreichen, und stört mich durch seine lauten Schritte. Es ist ruhig hier über den Dächern der Stadt. Mit den Nachbarn verstehe ich mich gut, allerdings sehe ich sie selten. Abends möchte ich einfach nur nach Hause und habe keinen Sinn für lange Unterhaltungen. Zu meiner Wohnung gehören ein 24 m2 großes Zimmer, eine Küche, ein Bad und ein Flur, insgesamt sind es 46 m2 . Dafür zahle ich mittlerweile 1.200 Euro warm. Das halte ich für zu viel. Bis auf die hohe Miete und das Treppensteigen gefällt mir die Wohnung aber gut, und doch empfinde ich sie auch als Gefängnis. Das mag daran liegen, dass ich als Kind mit meiner Familie in Rumänien in einem Haus gelebt habe. Mein Vater war Parteimitglied und es ging uns materiell gut. Schade nur, dass meine Eltern sich scheiden ließen, als ich neun Jahr alt war. In meinem Elternhaus war ich es gewohnt, einfach raus in den Garten zu gehen. Hier in der Wohnung habe ich einige Blumentöpfe aufgestellt, die mir die Natur ein wenig ersetzen sollen. Nach der Wende verkaufte mein Vater das Haus und zog in ein Altenheim. Meinen Anteil aus dem Verkauf investierte ich in einen Stand, an dem ich Lebensmittel, Zigaretten und Drogerieartikel verkaufte. Dann, als sich das wegen der steigenden Preise nicht mehr rentierte, jobbte ich in einer Kabel- sowie in einer Schuhfabrik. Straßenkehrer war ich auch, aber ich verdiente immer so wenig, dass ich mich nicht über Wasser halten konnte. Also verließ ich Rumänien. Gleich am zweiten Tag nachdem ich in Deutschland angekommen war, habe ich mir ein Zelt gekauft. Es war geräumig, für sechs Personen ausgelegt. Aus Dämmmaterialien und einer Matratze habe ich mir ein Bett gebaut, ich hatte Töpfe, Teller und einen Gaskocher, auf dem ich kochte, bis ein ehemaliger Freund mich aus meinem Zelt vertrieb. Zum Glück wollte ich sowieso gerade in eine Pension ziehen. Dort wohnte ich neben dem Hausmeister, teilte Bad und Küche mit ihm. Wir verstanden uns gut, aber dann erhielt ich die Nachricht, dass die Pension in drei Monaten aufgelöst werden sollte. Einen Monat später zog ich hier ein. Fünf Jahre lang war ich arbeitslos, bevor ich bei BISS anfing. Die Urkunde, die ich erhalten habe, als ich schon mehr als fünf Jahre fester Verkäufer war, bewahre ich gerahmt über dem Sofa auf. Wenn ich jetzt nur noch eine Wohnung mit Aufzug fände oder zumindest eine im Erdgeschoss, wäre alles perfekt. Ganz wunderbar wäre es natürlich, wenn sie noch einen kleinen Garten hätte und wenn sie unmöbliert wäre, damit ich sie mir selbst einrichten könnte.

Wie ich wohne

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Die Sonntagsköchin

Protokoll ANNELIESE WELTHER

Foto MARTIN FENGEL

„Blitzeblank ist es in unserem Dreigenerationenhaushalt, wir lieben es sauber und ordentlich. Selbst mein dreijähriger Enkel räumt nach dem Spielen seine zahlreichen Kuscheltiere und Autos allein wieder ins Regal. Vor allem hält aber meine Tochter alles im Reinen, da ich unter der Woche von morgens bis abends beim Verkaufen bin. Nur sonntags arbeite ich nicht. Dann koche ich für die beiden, gehe mit dem Kleinen auf den Spielplatz, erhole mich, um am Montag wieder fit zu sein. Mit den Männern hatten meine Tochter und ich Pech, darum sind wir nur zu dritt. Mein Enkel liebt es, im Kinderzimmer zu spielen. Nachts teilt er sich im Schlafzimmer ein großes Doppelbett mit meiner Tochter. Auch ich übernachte manchmal dort, allerdings wacht der Kleine oft auf, darum bevorzuge ich das Sofa im Wohnzimmer. Bevor wir hierhergezogen sind, haben wir mit meiner Schwester und deren Familie gewohnt, insgesamt waren wir sechs Personen. Das war mir zu viel Trubel, darum bin ich froh, dass meine Tochter diese Wohnung gefunden hat. Wir haben sie gemeinsam eingerichtet in den Farben Weiß, Beige, Hellbraun und Schwarz mit ein paar goldenen und silbernen Elementen. Auch haben wir viele Blumenmotive, mal gedruckt auf den Vorhängen oder als Bild an der Wand, mal als Stoffblumen in Vasen. An den Wänden hängen viele Fotos von meinem Enkel, aber auch von anderen Familienmitgliedern. Für die 75 Quadratmeter große Wohnung zahlen wir 1.900 Euro warm. 500 Euro steuere ich hinzu, außerdem kaufe ich ein. In meiner Heimat Rumänien wuchs ich in einem kleinen Haus auf, das mein Vater selbst gebaut hatte. Wir vier Geschwister schliefen in einem Zimmer, meine Eltern in einem anderen, außerdem gab es noch einen weiteren Raum. Wir hatten nicht viel, aber wir waren zufrieden. Alle kamen wir gut miteinander aus. Dann starb mein Vater mit nur 47 Jahren an einem Herzinfarkt. Bis dahin war er derjenige gewesen, der das Geld verdient hatte. Meine Mutter fand keinen Job und sah sich gezwungen, das Haus zu verkaufen. Wir alle fünf gingen nach Belgien, wo wir in der Küche eines Restaurants arbeiteten. Meine Mutter, meine Geschwister und ich teilten uns hier zwei Zimmer in einem Wohnheim. Leider erkrankte meine Mutter an Gebärmutterkrebs und starb sechs Monate nach Erhalt der Diagnose. Ich lernte einen Mann aus Frankfurt kennen und zog zu ihm. Nach einiger Zeit begann er mich zu betrügen und zu schlagen, woraufhin ich mich von ihm trennte und mit meiner Tochter in eine Zweizimmerwohnung einzog. Das Bad und die Küche teilten wir uns mit anderen Bewohnern; kochten sie, zogen unangenehme Gerüche zu uns rein. In Frankfurt war es kaum möglich, eine Arbeit zu finden. Von Bekannten hörten wir, dass es in München besser sei. Deshalb kamen wir hierher, aber so leicht war es dann auch nicht. Ich putzte hier und da, fand jedoch keine Festanstellung. Da hörte ich von BISS und bin seit drei Jahren Verkäuferin, etwa so lange, wie wir in dieser Wohnung leben. Seitdem ist alles gut.“