Wie ich wohne

Wer wohnt wie? In der Kolumne geben Menschen aus dem BISS-Netzwerk Einblicke in ihren Wohnalltag. Sie erzählen, wie sie früher gelebt haben, wie sie momentan wohnen und was sie sich für die Zukunft erhoffen.

Protokoll ANNELIESE WELTHER

Foto Martin Fengel

„Der osmanische Grieche“

Unsere 3-Zimmer-Wohnung ist gut gefüllt mit Möbeln, Kleidern und Dingen des täglichen Bedarfs. Das meiste gehört allerdings weder mir noch meiner Frau, sondern unserer Tochter. Mit ihren drei Kindern ist sie zu ihrem Lebenspartner gezogen, ihre Sachen muss sie noch mitnehmen. Dann werden meine Frau und ich uns neue Möbel besorgen, jene aus unserer vorhergehenden Wohnung sind leider nicht mehr zu gebrauchen. Dort war es schrecklich: Das Gebäude war runtergekommen, es gab Ungeziefer, drogenabhängige Nachbarn und viel Unruhe. Jetzt dagegen wohnen wir in einer friedlichen Gegend, in einem modernen Mehrfamilienhaus in Berg am Laim. Wir zahlen 950 Euro Miete zuzüglich der Stromkosten. Mit den Nachbarn haben wir engen Kontakt und besuchen uns gegenseitig. Einmal hat sogar eine Nachbarin auf meine Frau aufgepasst, die seit einem Jahr ein Pflegefall ist. Ich komme aus Komotini, einer Stadt im Norden Griechenlands, in der viele Menschen leben, die so wie meine Familie türkischstämmig sind. Wir sind ein Überbleibsel des osmanischen Reiches. Alle dort verstehen sowohl Griechisch als auch Türkisch. Mit den Eltern und meinen vier Geschwistern wuchs ich in einer 3-Zimmer-Wohnung auf, teilte mir ein Zimmer mit meiner kleineren Schwester. Eine glückliche Zeit war das. Als ich später geheiratet habe, bin ich mit meiner Frau in eine eigene Wohnung gezogen. Wir hatten vier Kinder, aber leider ging die Ehe zu Bruch und ich ging zurück zu meinen Eltern, heiratete erneut, meine jetzige Frau. Eine abgeschlossene Berufsausbildung habe ich nicht, mein Geld verdiente ich damals als Erntehelfer. Aber viel Arbeit gab es in meinem Heimatort nicht, deshalb folgte ich 1992 meiner Schwester, die nach München gezogen war. Hier wohnten meine Frau und ich zunächst in der Tumblinger Straße, doch wir wechselten oft die Wohnung, mal war in der einen Schimmel, mal war die andere zu klein geworden, weil unsere beiden Kinder zur Welt gekommen waren. Damals war es leicht, in München eine Wohnung zu finden. Geld verdiente ich mit dem Reinigen von U- und S-Bahn-Stationen, 20 Jahre lang. Mittlerweile bin ich in Rente, aber die reicht vorn und hinten nicht, deshalb arbeite ich noch bei BISS. Von Montag bis Samstag stehe ich früh auf, trinke einen Kaffee und ziehe los zu meinen Verkaufsstellen in Baldham und Vaterstetten. Im Winter kann es dort windig und sehr kalt werden, dagegen hilft nur Kaffee, den ich mir in einer Thermosflasche von zu Hause mitnehme. Wenn ich abends zurückkehre, habe ich keine Zeit mehr für mein großes Hobby, das Kochen. Sonntags allerdings bereite ich gern griechische Spezialitäten zu. Meistens kommen auch meine Kinder mit ihren Familien vorbei. Gemeinsam schauen wir uns oft Fußballspiele an. Als Kind habe ich von einer Karriere als Fußballprofi geträumt. An Talent mangelte es mir nicht, aber weil meine Familie arm war, musste ich bereits mit zehn Jahren arbeiten. Hätte ich damals schon in Deutschland gelebt, aus mir wäre bestimmt ein erfolgreicher Fußballer geworden.

Wie ich wohne

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Protokoll HANS ALBRECHT LUSZNAT

Foto: MARTIN FENGEL

„Der Kurzatmige“

Vor vier Jahren bin ich hier in meine Einzimmerwohnung eingezogen. Ich habe einen großen Wohn- und Schlafraum, eine abgetrennte Küchennische und ein Badezimmer und lebe hier allein. Insgesamt sind es ungefähr 29 Quadratmeter. Zuvor habe ich im Hasenbergl in einer Wohnung gelebt, die war ein klein wenig größer, aber im vierten Stock gelegen und es gab keinen Lift. Seit längerer Zeit leide ich an einer chronischen obstruktiven Lungenerkrankung, die bezeichnet man als COPD. Bei körperlicher Anstrengung bekomme ich schwer Luft, vor allem beim Treppensteigen. Da habe ich mit dem Vermieter gesprochen und sie haben mir einen Tausch ermöglicht. Jetzt liegt meine Wohnung im Erdgeschoss. Hier habe ich alles, was ich brauche, eine Sitzgarnitur, einen Esstisch mit Eckbank und Stühlen, mein Bett, ein Sideboard mit Fernseher, die Küche, eine Mikrowelle und das Bad. Die Vormieterin hatte die ganzen Wände voller Bilder. Sie war eine starke Raucherin und man sah, wo Bilder an der Wand gehangen hatten und wie weiß die Wände einst gewesen waren. Bilder sind nicht so mein Ding, da habe ich die Wände lieber weiß ohne diesen Schnickschnack. Ich muss hier noch ein paar Dinge ändern, eine neue Lampe im Wohnraum aufhängen und für das Bad habe ich schon einen Allibert-Spiegelschrank gekauft, den muss ich noch anbringen. Ich verkaufe als freier Verkäufer die BISS am Olympia-Einkaufszentrum unten an der U-Bahn. Von meiner Wohnung bin ich mit dem 60er-Bus schnell da. Der fährt direkt dorthin. Gebürtig komme ich aus Köln, bin dann aber schon als Kind zu meinem Vater nach München gezogen und habe hier in Milbertshofen die Schule bis zum Abschluss gemacht und eine Lehre als Autolackierer begonnen. Damals waren die Arbeitsschutzvorrichtungen noch nicht so gut wie heute. Vielleicht haben sich meine Jahre als Autolackierer auf die spätere Lungenerkrankung ausgewirkt. Später wechselte ich zu einem Umzugsunternehmen. Das war auch kein leichter Beruf, aber er hat mir viel Spaß gemacht. Ich mochte die wechselnden Situationen, die unterschiedlichen Menschen, die immer wieder neuen Gesichter, sehr viele sympathische, manchmal auch zickige. Ich habe eine Lebensgefährtin, bei der ich viel Zeit verbringe, auch weil sie eine größere Wohnung hat. Diese Wohnung hier ist mein Rückzugsraum. Wenn wir in unserer Beziehung mal Krach haben, dann weiß ich, wo ich hingehen kann. In der Corona-Zeit war es manchmal schlimm, wenn man aufeinanderhockt und sich nicht ausweichen kann. Hier habe ich eine schöne Umgebung. Der Lerchenauer See ist nicht weit weg, eine halbe Zigarettenlänge, dann bin ich dort. Im Sommer ist es ein toller Ort, dann setze ich mich auf eine Bank, um einfach zu relaxen. Es gibt dort Schwäne, Enten, manchmal auch Gänse. Baden gehe ich nicht mehr, aber ich sitze gern dort und genieße die Sonne.

Wie ich wohne

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Protokoll ANNELIESE WELTHER

Foto MARTIN FENGEL

Der Schicksalserprobte

Man sollte die Nummer meines Appartements wissen, wenn man bei mir vorbeischaut, sonst sucht man sich unter den Hunderten von Klingelknöpfen einen Wolf. Die Haustür ist aus massivem Stahl mit länglichen Öffnungen, die wie ein Gitter ausschauen. Betritt man das sechsstöckige Haus, reihen sich drinnen, an den knallbunt bemalten Wänden der breiten, langen Gänge, in regelmäßigen Abständen unzählige Türen aneinander. Meine Nachbarn machen oft Lärm und nicht selten schaut die Polizei vorbei. Aber ich mische mich nicht ein und habe somit auch keinen Ärger mit den anderen, von denen ich kaum einen kenne. Allerdings bin ich vor einem Monat erst eingezogen. Seitdem sind mein Waschbecken und die Dusche verstopft. Wenn ich mich wasche, fülle ich Wasser in ein Gefäß, benutze es und schütte es dann in die Toilette. Der Einbau von Ersatzteilen schafft hoffentlich bald Abhilfe. Als ich in das Appartement einziehen durfte, habe ich mich gefreut. Jahrelang lebte ich auf der Straße. Von anderen Plätzen durch die Polizei vertrieben, campierte ich oft am Waldrand. Auch im Auto meines Sohnes habe ich mal übernachtet und etliche Male in Obdachlosenunterkünften. Den Schlafsaal muss man sich dort mit vielen anderen teilen und aufpassen, dass einem nichts abhandenkommt. Selbst mein Diabetes-Medikament wurde mir mal geklaut. Jetzt aber bin ich zufrieden. Insgesamt zahle ich 590 Euro warm für mein Zimmer, ein winziges Bad und eine kleine Küchenzeile im Eingangsbereich. Der Rest ist etwas abgewohnt, aber das Zimmer selbst ist sauber gestrichen und der Boden besteht aus Laminat in ansprechendem Holzdesign. Bei IKEA habe ich mir passend dazu ein paar Möbel besorgt. Nun kann mich auch endlich meine Familie besuchen. Bereits jetzt schaut mein Bruder mit seiner Frau und meinem Neffen des Öfteren vorbei. Ich habe sechs Geschwister, eigentlich sieben, doch eine Schwester starb mit acht Jahren an einer durch einen Pferdetritt verursachten Kopfverletzung. Wir alle lebten mit meinen Eltern in einem Haus mit zwei Zimmern in einem kleinen Ort nahe der Stadt Pitesti, nicht weit von Bukarest. Verhungert sind wir nicht, aber wir waren schon sehr arm. Weil wir so wenig Geld hatten, musste ich nach der achten Klasse von der Schule abgehen. Dabei ging ich ganz gerne hin. Fortan zog ich mit dem Pferdewagen umher und erledigte Transporte für die Nachbarn. Viel kam dabei nicht rum. Erst als ich im Ausland Arbeit fand, verdiente ich mehr und konnte mit meiner Frau und den Kindern in ein eigenes Haus mit ebenfalls zwei Zimmern ziehen. Ich habe vier Kinder, mein jüngster Sohn ist zwölf, mein ältester ist bereits erwachsen und hat selbst eine Familie. Meine Tochter kann von Geburt an nicht richtig laufen. Acht Mal ist sie operiert worden und sie geht mithilfe eines Rollators. Mit meiner Familie habe ich schon immer viel Kummer durchlitten. Erst vor Kurzem ist meine Enkelin an plötzlichem Kindstod gestorben. Für den nächsten Sommer erhoffe ich mir nun, dass meine Frau aus Rumänien zu Besuch kommt und einen ganzen Monat lang bleibt.

Wie ich wohne

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Protokoll ANNELIESE WELTHER

Foto MARTIN FENGEL

Der mit dem Bären zeltet

Zwei Affen hängen an der Wohnzimmerwand und auf dem Sofa liegen drei Tiger. Noch mehr Kuscheltiere tummeln sich in den Zimmern meiner beiden Töchter. Wir haben aber auch echte Tiere: Im Wohnzimmer steht ein großer Käfig mit zwei Wellensittichen und meine ältere Tochter hat eine Katze. Unsere Wohnung liegt in Pasing, ist 96 Quadratmeter groß und hat vier Zimmer. Neben dem Wohnzimmer und den beiden Kinderzimmern haben wir ein Schlafzimmer und ein Bad ohne Fenster, dafür aber mit einer Badewanne, einer Waschmaschine, einem Trockner und einem Schrank. Auch die Küche ist nicht klein. Hier steht alles, was wir brauchen. Da ich es liebe, zu essen, muss ich auch kochen können, finde ich. Von meiner Mutter habe ich einiges gelernt, aber ich schaue mir auch viel von anderen Leuten ab. Obwohl die Wohnung geräumig ist, will man nicht immer nur drinnen seine Zeit verbringen. Eigentlich würde sich der Balkon eignen, um mal kurz draußen zu sein: Er ist groß, ruhig, mit Blumenkästen am Geländer. Allerdings haben wir einen empfindlichen Nachbarn, der sich nicht nur daran stört, dass ich rauche, sondern auch an anderem, wie dem Duft unserer frisch gewaschenen Wäsche. Daher ist toll, dass wir es nur eine Viertelstunde raus in die Natur haben. Hier bin ich oft mit den Kindern. Den Rummel der Stadt mochte ich noch nie, schon als Zwölfjähriger zog ich mich zurück, um am See zu fischen. Zehn Jahre später lebte ich sogar mal einen ganzen Monat im Wald, ernährte mich von Pilzen, Beeren, Kaninchen und Rehen. Einmal kam ein Bär vorbei und zerstörte mein Zelt. Ich erschrak so sehr, dass ich sofort nach Hause floh, hielt es aber dort nicht lange aus und zog ohne Zelt wieder in den Wald. Das war mein Rückzugsort, denn zu Hause gab es ständig Ärger mit meinem Vater, der trank und gewalttätig war. Nachdem ich heiratete, zogen wir zur Familie meiner Frau in ein kleines Nest, umgeben von Wald. Idyllisch war es hier aber nicht, da meine Schwiegereltern sowie die meisten Leute Alkoholiker waren. Arbeit fand ich auch nicht, nur in Bukarest gab es welche, wo ich mir aber keine Wohnung leisten konnte. Meine Familie mochte ich in diesen Verhältnissen nicht allein lassen, daher verließen wir alle Rumänien. Nachdem wir in Deutschland angekommen waren, wohnten meine Frau und die Mädchen erst einmal in einer Pension. Ich lebte auf der Straße. Sieben Tage die Woche schuftete ich bei einer Leihfirma, machte alles Mögliche, mal schleppte ich Möbel, dann half ich auf dem Bau aus und am nächsten Tag spülte ich die Brotkästen einer Bäckerei. Trotz der vielen Arbeit sprang nicht viel Lohn dabei raus. Nach gut einem Jahr war ich so ausgelaugt, dass ich psychische Probleme bekam und bei der Leihfirma aufhörte. Zwei Monate lang sammelte ich Flaschen, bis ich von BISS hörte. Ich erhielt nicht nur Arbeit, sondern auch Hilfe bei der Wohnungssuche. Meine Verkaufsstellen sind nur ein paar Minuten von hier entfernt, so kann ich schnell bei meiner Familie sein. Meine Töchter wollen im Urlaub jetzt übrigens auch mal zelten.