Wer wohnt wie? In der Kolumne geben BISS-Verkäuferinnen und -Verkäufer Einblicke in ihren Wohnalltag. Sie erzählen, wie sie früher gelebt haben, wie sie momentan wohnen und was sie sich für die Zukunft erhoffen.
Der Bücherwurm
Protokoll: FELICITAS WILKE, Foto: Martin Fengel
„Das Erste, was einem auffällt, wenn man in mein Zimmer kommt, sind meine vielen Bücher. Sie stapeln sich auf Regalen, auf meinem Nachttisch, sogar auf meinem Esstisch. Ich habe mal bis zu 5.000 Stück besessen! Ich lese, was mir in die Finger kommt, am liebsten aber Literatur über Religion – von Romanen über Sachbücher bis hin zu Zeitungen. Wenn mich ein Artikel interessiert, schneide ich ihn aus und bewahre ihn auf. Ich lebe seit fast fünf Jahren in einem Heim des katholischen Männerfürsorgevereins in Haidhausen. Ich muss hier keine Miete zahlen, die Regierung von Oberbayern übernimmt das. In dem Haus sind verschiedene Wohngemeinschaften untergebracht. Ich teile mir mit drei anderen Männern eine Wohnung im Erdgeschoss. Wir haben alle unser eigenes Zimmer und teilen uns eine Küche und ein Bad. Da wir alle viel unterwegs sind, sehen wir uns nicht allzu oft. Aber wir kommen sehr gut miteinander aus. Mein Zimmer ist ungefähr 17 Quadratmeter groß. Darin stehen ein Schrank, ein Bett, ein Esstisch mit zwei Stühlen und mein Lesestoff. Meine Möbel sind aus hellem Holz, genau wie der Fußboden. Am Fenster, das zum Hinterhof hinausgeht, hängt ein gelber Vorhang. Selbst wenn ich einen Wunsch freihätte, würde ich an meiner Wohnsituation nichts ändern. Ich lebe gern hier – und ohnehin finde ich, man muss die Dinge nehmen, wie sie kommen. Das habe ich in meinem Leben gelernt. Ich bin ursprünglich aus Baden-Württemberg und in Schramberg in der Nähe von Rottweil geboren. Aufgewachsen bin ich bis zu meinem zwölften Lebensjahr im benachbarten Lauterbach, einem Luftkurort. Dann ist meine Mutter gestorben. Da mein Vater viel gearbeitet hat, teilweise auch nachts, bin ich als Elfjähriger mit meinen Geschwistern zu Verwandten nach Oberndorf am Neckar gezogen. Sie hatten einen Bauernhof, wo wir vorher schon öfter unsere Ferien verbracht hatten. In Oberndorf ging ich auch aufs Gymnasium und machte später meine Mittlere Reife. Nach der Schule begann ich zunächst eine kaufmännische Ausbildung, beschloss dann aber, eine Beamtenlaufbahn einzuschlagen. Meine dreijährige Ausbildung führte mich ins Versorgungsamt nach Heidelberg und Rottweil. Doch nicht nur gesundheitliche Probleme machten mir zu schaffen, sondern auch meine politische Einstellung: Ich war damals bekennender Kommunist und Pazifist. Das kostete mich meine Arbeit und mein Leben als Beamter.
Also zog ich im Jahr 1969 nach München. Ich sollte in den folgenden Jahrzehnten vielen Berufen nachgehen: Mal war ich Aushilfsbriefträger, mal sortierte ich Briefe bei der Post, dann war ich Staubsaugervertreter bei Vorwerk, später arbeitete ich als Gebäudereiniger. Seit neun Jahren verkaufe ich die BISS. Ich hatte aber nicht nur viele unterschiedliche Berufe, sondern auch viele verschiedene Adressen in München. Unter anderem habe ich schon am Elisabethplatz gewohnt, zwischendurch in Neuaubing, in der Clemensstraße und in der Nymphenburger Straße. Jetzt bin ich in Haidhausen gelandet – und meine Bücher sind natürlich mit dabei.“