Wie ich wohne

Wer wohnt wie? In der Kolumne geben Menschen aus dem BISS-Netzwerk Einblicke in ihren Wohnalltag. Sie erzählen, wie sie früher gelebt haben, wie sie momentan wohnen und was sie sich für die Zukunft erhoffen.

Protokoll ANNELIESE WELTHER

Foto MARTIN FENGEL

Die Beschenkte

„Ich habe eine Überraschung für dich!“, lauteten die Worte meiner Betreuerin vom Jobcenter. Wir trafen uns vor Ort, die Räume waren noch ganz leer, sie umarmte mich und ich fing an zu weinen, denn ich konnte mein Glück nicht fassen. Das Einzimmerappartement, in das ich damals einziehen durfte, liegt in einem Mehrfamilienhaus im Münchner Stadtteil Milbertshofen, ist hell und gut in Schuss. Es hat ein Bad mit Fenster und einen kleinen Flur, der in ein großes Zimmer führt. Mittlerweile habe ich mir einen Tisch mit Stühlen, einen Kleiderschrank, Teppiche, einen Fernseher und ein Schlafsofa gekauft. Zudem habe ich ein zusammenklappbares Bett für meinen Sohn, der auf Baustellen arbeitet und immer mal wieder vorbeikommt. Er ist jung und will, im Gegensatz zu mir, immer was in der Stadt unternehmen. Auch braucht er viel zu essen, da kommt meine Küchenzeile, die mir das Jobcenter eingebaut hat, so richtig zum Einsatz. Für mich selbst bereite ich nur kleine Portionen zu. So viel muss ich gar nicht kochen, denn an meinen Verkaufsplätzen vor zwei Bioläden und einem Wochenmarkt werde ich oft verköstigt, kriege Kaffee, Tee, aber auch richtige Mahlzeiten und Päckchen mit Wurst oder Eiern. Ich bin in einem rumänischen Kinderheim aufgewachsen, schlief dort mit bis zu 40 Kindern in einem Saal. An diese Zeit erinnere ich mich ungern, denn es gab viel Prügel. Jedoch half ich in den Sommerferien einer Bauernfamilie bei der Kartoffel- und Heuernte sowie bei allem, was auf dem Hof anfiel. Ich hatte ein eigenes Zimmer und fühlte mich, auch wenn ich von morgens bis abends arbeiten musste, wie eine Prinzessin. Kurz bevor die Schule losging, stattete die Familie mich mit Schulsachen und Kleidern aus. Selbst unterm Jahr brachte sie mir Pakete mit Sülze, Schinken oder Käse. Diese Leute waren so gut zu mir, sie erklärten mir nicht nur, wie man die Arbeit verrichtet, sondern gaben mir auch nützliche Ratschläge fürs Leben, vermittelten mir Umgangsformen und brachten mir bei, mich für alles, was ich bekomme, zu bedanken. Für meine Wohnung bin ich sehr dankbar, denn ich weiß, was es bedeutet, auf der Straße zu leben. Nach meiner Zeit im Kinderheim arbeitete ich als Putzfrau und übernahm kleine Arbeiten in Privathaushalten. Mit anderen jungen Leuten übernachtete ich in der Umkleidekabine eines Sportplatzes. Zum Schlafen legten wir unsere Kleider auf den Boden und waren froh über den warmen Ofen. Später erhielt ich ein Zimmer bei einer Frau, für die ich Holz hackte. Im Leben habe ich mit vielen Leuten Glück gehabt. Mit meinen Nachbarn verstehe ich mich auch prima, wir laden uns gegenseitig zu einer Tasse Tee oder Kaffee ein und ratschen über dies und jenes. Kommunikation ist für mich alles. Ich finde es unheimlich wichtig, die Sprache des anderen zu sprechen, da hat man gleich einen ganz anderen Zugang. Anstelle eines Sprachkurses habe ich übers Arbeiten Deutsch gelernt sowie übers Fernsehen, das neben Saubermachen und Aufräumen zu meinen allabendlichen Ritualen gehört.