Wie ich wohne

Wer wohnt wie? In der Kolumne geben Menschen aus dem BISS-Netzwerk Einblicke in ihren Wohnalltag. Sie erzählen, wie sie früher gelebt haben, wie sie momentan wohnen und was sie sich für die Zukunft erhoffen.

Protokoll HANS ALBRECHT LUSZNAT

Foto MARTIN FENGEL

Der Bücherfreund

Ich liebe den Blick aus meinem Zimmer im sechsten Stock. Ich kann ein Stück vom Nymphenburger Park sehen und direkt vor mir erstreckt sich ein Neubaugebiet, das erst in den letzten zehn Jahren gewachsen ist und in dem gut 5.000 Menschen leben. Früher waren hier noch Felder und es gab wenige Häuser. Meinen Schreibtisch habe ich genau vor das Fenster gestellt. Es tut gut, wenn man in die Ferne schauen kann. Ich wohne im Fritz-Kistler-Haus, einem Senioren- und Altenheim der Arbeiterwohlfahrt in Pasing. Im ersten und im sechsten Stock ist der sogenannte Rüstigen-Bereich, das sind alles Mitbewohner, die mobil sind, sich noch selbst versorgen und nicht auf Hilfe angewiesen sind. Das Zimmer misst ungefähr 30 Quadratmeter und ist einem Krankenhauszimmer ähnlich. Rechts im Flur ist ein Badezimmer. Daran schließt der Wohnraum an, mit Bett, Tisch, einem Regal und einem Truhenschrank. Den habe ich mir beim Einzug unter den Möbeln im Keller ausgesucht. Wenn Mitbewohner sterben, dann werden brauchbare Möbelstücke, die übrig bleiben, im Keller gesammelt. Gott sei Dank habe ich all meine Bücher unterbringen können. Ich lese viel und habe über 300 Bücher, hauptsächlich Sachbücher aus verschiedenen Themenbereichen. München und Münchner Geschichte interessiert mich besonders, denn ich bin gebürtiger Münchner und 1948 nicht weit entfernt bei den Barmherzigen Brüdern in Nymphenburg auf die Welt gekommen. Mein Vater war Teilekonstrukteur, die Mutter Hausfrau und ich bin als Einzelkind in Obermenzing aufgewachsen. Mit der Berufsausbildung hat es nicht so richtig geklappt, vielleicht weil ich immer zu ungeduldig war. Zunächst habe ich eine Werkzeugmacherlehre begonnen und abgebrochen, dann eine Ausbildung als Bauzeichner, auch abgebrochen, und dann eine Lehre als Buchbinder. Das habe ich auch nicht zu Ende gebracht, dann aber siebeneinhalb Jahre in der Bayerischen Staatsbibliothek als Buchbindergehilfe gearbeitet, was rückblickend die schönste Zeit meines Lebens war. Später hat dann irgendwann ein sozialer Abstieg begonnen, ich habe in einem Männerwohnheim an der Gabelsbergerstraße gewohnt, es aber immer geschafft, nicht obdachlos zu werden. Ich hatte ein massives Alkoholproblem und da hat mir die Bahnhofsmission München sehr geholfen und einen Platz in der Herzogsägmühle in Peiting vermittelt, wo ich zwei Jahre lang in Therapie war. Jetzt bin ich in Grundsicherung und der Bezirk Oberbayern trägt die Kosten der Unterbringung. Meine Rente geht darin auf. Hier im Fritz-Kistler-Haus fühle ich mich wohl. Frühstück und Mittagessen gibt es im Speisesaal im Erdgeschoss. Wir sind da ungefähr 35 Personen, die im Rüstigen-Bereich wohnen. Hier bin ich wieder im städtischen Umfeld, in dem ich groß geworden bin. Vor Jahren habe ich mit Familienforschung begonnen und bin in verschiedene Archive gegangen. Inzwischen habe ich eine umfangreiche Familienchronik zusammengetragen. Das älteste Dokument ist von 1820, also gut 200 Jahre alt.