
Gespräche mit BISS-Verkäufer*innen

Bürger in sozialen Schwierigkeiten
Die Anfänge der Münchner Straßenzeitung „BISS-Bürger in sozialen Schwierigkeiten” gehen weit zurück bis ins Jahr 1991. Damals fand in der Evangelischen Akademie Tutzing eine Tagung zum Thema Obdachlosigkeit statt, bei der eine vergleichsweise kleine Gruppe engagierter Leute – Journalisten, Sozialarbeiterinnen und Kirchenleute – mit obdachlosen Menschen ins Gespräch kam. Es entstand die Idee, nach englischem Vorbild eine Straßenzeitung zu gründen, die armen und obdachlosen Menschen eine Aufgabe und ein Einkommen bietet. Es dauerte noch zwei Jahre, bis am 17. Oktober 1993, dem UNO-Welttag zur Überwindung der Armut, in München BISS als erste deutsche Straßenzeitung mit einer Auflage von 10.000 Exemplaren auf den Markt kam.
Inhalt | Weiterleben | Schwierige Lebensphasen lassen sich in Gemeinschaft besser meistern | 6 Ein Leben für die Pflege: Claus und Ute Fussek im Interview| 12 Tandem: Tagesangebot im Hospiz | 16 Hand in Hand 15 Jahre Stiftung BISS | 18 Aus dem System gefallen: Leben ohne Krankenversicherung| 20 Fach ohne Dach Wohnungsnot bei Studierenden| 5 Wie ich wohne | 26 BISS-Verkäufer*innen erzählen, was sie bewegt | Rubriken | 3 Editorial | 25 Patenuhren | 28 Freunde und Gönner | 30 Impressum, Kooperationspartner | 31 Adressen
Wer wohnt wie? In der Kolumne geben Menschen aus dem BISS-Netzwerk Einblicke in ihren Wohnalltag. Sie erzählen, wie sie früher gelebt haben, wie sie momentan wohnen und was sie sich für die Zukunft erhoffen.
Protokoll FELICITAS WILKE
Foto MARTIN FENGEL
Der Familienmensch
„Ich bekomme in meiner Wohnung oft Besuch. Wenn man sich auf dem Balkon umschaut, dann sieht man auch, von wem. Dort habe ich eine Barbie und einen Teddy für meine Enkelinnen verstaut, die sieben und fünf Jahre alt sind und um die Ecke wohnen. Sie sind oft bei mir und übernachten auch regelmäßig bei mir. Oh, wie ich es liebe, Oma zu sein! Ich koche und backe für sie, ich spiele mit ihnen und erfülle ihnen auch gern Wünsche. Typisch Oma eben. Meine Familie ist mein Reichtum, mit ihr hat Gott mich gesegnet. Ich habe vier Kinder aus erster Ehe, zwei Kinder mit meinem zweiten Mann und noch mal drei Kinder, die er in die Ehe mitgebracht hat: ergibt insgesamt neun Kinder, 18 Enkelkinder und sogar schon Urenkel! Als noch nicht alle Kinder aus dem Haus waren, haben wir in einer großen Wohnung in der Orleansstraße in Haidhausen gewohnt. Sie hatte fünf Zimmer und mehr als 100 Quadratmeter. Seit die Kinder nicht mehr bei uns leben, wohnen mein Mann und ich in einer Zweizimmerwohnung in Riem. Als wir 2008 hierhergezogen sind, war die Wohnanlage noch ganz neu. Hier haben wir es uns gemütlich gemacht: Das Wohnzimmer haben wir mit zwei großen Sofas mit Blumenmuster eingerichtet, dann haben wir noch einen Sessel und eine kleinere Couch. Am Anfang waren es nicht ganz so viele Möbel, aber als mein Sohn umgezogen ist und ein Sofa übrig hatte, haben wir das übernommen. Die Familie ist ja groß genug dafür. Am Fenster hängen Gardinen, auf dem Esstisch steht eine Vase mit großen Stoffblumen. Für unsere 56 Quadratmeter mit Balkon fallen 850 Euro warm an, wovon einen Großteil das Sozialamt übernimmt. 130 Euro zahlt mein Mann. In Riem fühlen wir uns sehr wohl: Wohin man blickt, findet man Parks und Spielplätze, der Buga-See zum Baden und die Riem-Arcaden zum Einkaufen sind auch in der Nähe. Ursprünglich komme ich aus Satu Mare in Rumänien, wo ich mit meinem Bruder und meinen Eltern in einer kleinen Wohnung aufgewachsen bin. Die Familie hatte mein ganzes Leben lang schon einen hohen Stellenwert für mich. Ich hatte eine schöne Kindheit, in der ich meine Mutter und meinen Vater nie habe streiten hören. Nach der Schule heiratete ich und bekam schnell Kinder. Doch meine Ehe war leider nicht glücklich, wir stritten oft. Um meinen Kindern auch eine unbeschwerte Kindheit ermöglichen zu können, ging ich mit ihnen weg. Ich lernte meinen zweiten Mann kennen und ging mit ihm nach München, wo wir uns ein neues Leben aufbauten. Anfangs lebten wir in Pensionen, bis wir an meinem Geburtstag im Jahr 1993 den Schlüssel für unsere erste eigene Wohnung überreicht bekamen. Diesen Tag werde ich nie vergessen! In der Zwischenzeit hatten wir auch Arbeit gefunden: Mein Mann war bei einer Putzfirma tätig, ich kümmerte mich vor allem um unsere große Familie und putzte auch stundenweise. Heute sind wir beide Rentner, wobei ich nebenher noch die BISS verkaufe. Nach mehr als 30 Jahren ist München zu meiner Heimat geworden. Wenn ich zu Besuch in Rumänien bin, habe ich mittlerweile Heimweh nach München. Kein Wunder, hier leben ja auch alle meine Kinder!“
Text CLAUDIA STEINER
Foto JOHANNES GRAF
Andras Szikora hat sich viele Jahre von Job zu Job gehangelt. Der aus Ungarn stammende Mann schuftete als Spengler und Isolierer auf Baustellen in Deutschland, Österreich, der Schweiz und in den Niederlanden – immer dort, wo er Arbeit bekam. Weil er immer wieder in anderen Ländern arbeitete, wurde er nicht vom Sozialsystem erfasst. Irgendwann ging seine Firma pleite und er wurde nicht bezahlt. Keine Arbeit keine Wohnung. Ohne Wohnung keine neue Arbeit. Er und seine Frau landeten auf der Straße. „Wir haben viel getrunken. Wodka, Bier, Wein“, sagt er und schüttelt ungläubig den Kopf. Seine Frau starb 2017. Mit ihm ging es immer weiter bergab. „Vor einem Jahr warst du ganz unten“, sagt Oliver Gunia, Pflegedienstleiter in der Arztpraxis der Obdachlosenhilfe St. Bonifaz in München. „Andras war damals körperlich und seelisch in einem dramatischen Zustand.“ Der 48-Jährige, der im frisch gebügelten Hemd im Behandlungszimmer sitzt, nickt. In Deutschland gilt eine Krankenversicherungspflicht. Doch Menschen wie Andras Szikora haben oft keine Krankenversicherung. Das Statistische Bundesamt geht davon aus, dass 2019 bundesweit rund 61.000 Menschen nicht krankenversichert waren – die tatsächliche Zahl dürfte deutlich höher sein. Nach Schätzungen des Sozialreferats haben allein in München rund 2.000 Menschen keine Krankenversicherung. Arbeitssuchende EU-Bürger und -Bürgerinnen ohne Anspruch auf Sozialleistungen seien die größte Gruppe, heißt es. Doch auch deutsche Staatsbürger und Menschen aus Drittstaaten – oft mit ungeklärtem Aufenthaltsstatus – seien betroffen. Auch immer mehr Selbstständige, die zum Beispiel während der Corona-Pandemie in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten sind und ihre private Krankenversicherung nicht mehr zahlen konnten, stehen oft plötzlich ohne Versicherung da. Zwar müssen Kliniken und Ärzte Kranke in Notfällen behandeln, egal ob mit oder ohne Versicherung. Doch immer wieder werden Patientinnen und Patienten von Praxen abgewiesen oder sie trauen sich erst gar nicht, zu einem Arzt zu gehen – aus Scham oder aus Furcht vor hohen Kosten. „Viele Menschen bekommen Angst, wenn wir ihnen sagen, dass sie ins Krankenhaus müssen“, sagt Gunia. „Sie fürchten, dass sie dann exorbitante Rechnungen bekommen.“ Oft kommen Patienten deshalb erst dann in die Praxis der Obdachlosenhilfe, wenn es gar nicht mehr anders geht. „Es ist wichtig, niedrigschwellige Angebote zu haben“, sagt die Ärztin Corinna Kuhn, die seit gut einem halben Jahr die Praxis von St. Bonifaz leitet. 2022 kamen 855 Patienten, manche Patienten kommen nur einmal, andere mit chronischen Problemen täglich. Insgesamt wurden im vergangenen Jahr rund 5.400 Kontakte gezählt. Kuhns Patienten haben chronische Krankheiten, schwer heilende Wunden, Erfrierungen im Winter und schwerste Sonnenbrände im Sommer. „Man denkt immer, dass es Obdachlosen im Sommer besser geht, aber auch die Hitze ist für sie schlimm. Oft sind die Menschen dehydriert oder sie haben schwere Sonnenbrände, denn natürlich können sie sich keine Sonnencreme leisten.“ In St. Bonifaz bekommen die Patienten auch Medikamente oder Fahrkarten, um in ein paar Tagen wieder in die Praxis kommen zu können. „Viele Patienten – auch aus dem Münchner Umland – fahren schwarz in die Praxis. Und wenn sie mehrmals erwischt werden und ihre Geldstrafe nicht zahlen können, können sie dafür auch in den Knast gehen“, sagt Gunia. Dies soll geändert werden – möglicherweise ist Schwarzfahren bald nur noch eine Ordnungswidrigkeit und keine Straftat mehr. Gunia: „Diese Änderung ist dringend notwendig. Viele Menschen können sich einfach keinen Fahrschein leisten.“ Wenn die Patienten einen Spezialisten brauchen, schickt Dr. Kuhn die Männer und Frauen auch in andere Praxen wie zu den Maltesern, wo es neben einer allgemeinen Sprechstunde auch einen Zahnarzt, einen Kinderarzt und einen Gynäkologen gibt. „Wir sind in München gut vernetzt“, so die Fachärztin für Allgemeinmedizin. „Willkommen ist uns jeder Mensch“, heißt es auf der Homepage der Malteser Medizin München. Und deshalb müssen Patienten, die nicht nur ohne Versicherung, sondern teils auch ohne gültigen Aufenthaltsstatus sind, in der Praxis keinen Namen nennen. Viele Menschen gehen aus Angst vor Abschiebung nicht zum Arzt. Auch kommen immer wieder Ortskräfte aus Afghanistan, die zwar mit Visum nach Deutschland einreisen konnten, teilweise aber monatelang auf ihre Krankenversicherungskarte warten, Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine, Menschen aus Vietnam, Bulgarien und Rumänien. Doch die größte Patientengruppe bei den Maltesern hat einen deutschen Pass. „Die Zahl der deutschen Bürger und Bürgerinnen ohne Krankenversicherung wird größer“, sagt Veronika Majaura, Leiterin der Migrationsberatung und der Malteser Medizin für Menschen ohne Krankenversicherung. „Die können ihre Krankenversicherung einfach nicht mehr bezahlen.“ 2022 hatte die Praxis der Malteser so viele Patienten wie nie zuvor. Mehr als 1.100 Behandlungen fanden in der Praxis statt. Im Jahr zuvor waren es 25 Prozent weniger. „Die Verzweiflung der Patienten ist oft groß“, sagt Majaura. Erst vor Kurzem kam ein junger Mann in die Sprechstunde des Zahnarztes, der versucht hatte, sich selbst einen Zahn zu ziehen – mit einem Messer und einem Schraubenzieher. Die Ärzte bei Malteser arbeiten ehrenamtlich. Oft sind es Mediziner, die ihre Praxis aufgegeben haben oder bereits in Rente sind, aber auch junge Ärzte, die zwischen zwei Jobs stehen. Patienten können sich nicht nur behandeln, sondern auf Wunsch auch beraten lassen. Sozialarbeiter versuchen zu klären, ob zum Beispiel der Weg zurück in die Versicherung nicht doch möglich ist. Doch die Hürden dafür sind hoch. „Wenn man zum Beispiel ein Jahr lang nicht zahlen konnte, sammelt sich einiges an, und das fällt einem dann auf die Füße, das ist ein Riesenproblem“, sagt Majaura. Auch Corinna Kuhn von St. Bonifaz findet, dass es den Menschen, die aus der Krankenversicherung gefallen sind, nicht leicht gemacht wird. Viele Patienten verstünden die Briefe der Krankenkassen nicht. Oft gebe es sprachliche Barrieren. „Das System hat nicht wirklich Interesse daran, dass die Leute wieder eine Versicherung haben.“ Auch in St. Bonifaz gibt es die Möglichkeit, sich beraten zu lassen. Ein Mitarbeiter der Clearingstelle von Condrobs bietet einmal die Woche Hilfe bei Fragen rund um das Gesundheitssystem an. Andras Szikora geht es inzwischen deutlich besser. Er hat sich zurück ins Leben gekämpft. Vor einem Jahr erfuhr er bei einem Besuch in St. Bonifaz, dass er eine Leberzirrhose hat. Inzwischen trinkt er nicht mehr. Der 48-Jährige wurde operiert, kommt regelmäßig in die Sprechstunde und wohnt in einer Krankenwohnung und nicht mehr auf der Straße. „Inzwischen vermeide ich den Kontakt mit Ex-Freunden von der Straße“, sagt Szikora. „Fast niemand von den alten Freunden hat mich im Krankenhaus besucht.“ Pflegeleiter Gunia ist beeindruckt, dass sein Patient den Willen zeigt, sein Leben zu ändern. „Andras ist ein echter Vorzeigepatient. Er versucht, sein Leben in den Griff zu bekommen, und hat schon viel geschafft.“ Nun hofft er, dass er bald ein Zimmer, Arbeit und dann auch eine Krankenversicherung hat.
CLEARINGSTELLE FÜR MENSCHEN OHNE KRANKENVERSICHERUNG
Die Landeshauptstadt München hat für Menschen ohne Krankenversicherung einen Gesundheitsfonds über jährlich 500.000 Euro eingerichtet. Zugang zum Gesundheitsfonds haben deutsche Staatsbürger, EU-Bürger und Menschen mit geklärtem und ungeklärtem Aufenthaltsstatus aus Drittstaaten. Voraussetzung ist, dass sich die Betroffenen an die Clearingstelle wenden, die Notwendigkeit der Behandlung medizinisch festgestellt wurde, keine alternativen Finanzierungsmöglichkeiten bestehen und der Lebensmittelpunkt in München liegt.
Clearingstelle Gesundheit
Konradstraße 2, 80801 München
Tel. 089 7167177–90
Fax: 089 7167177–95
E-Mail: clearing.gesundheit@condrobs.de
https://www.condrobs.de/einrichtungen/clearingstelle/
Anlaufstellen für Menschen ohne Krankenversicherung siehe Seite 31.
EIN TEXT AUS DER SCHREIBWERKSTATT
von Valeria Bisioc
Ich war auf dem Weg zu meiner Schwester, als ich an der Bushaltestelle eine Durchsage hörte, in der man Arbeit in der Firma Sanex anbot. Das war eine Fliesenfabrik in meiner Heimatstadt Klausenburg in Rumänien. Ich stellte alle meine Papiere zusammen und bewarb mich. Aufgrund meiner guten Schulbildung – ich war elf Jahre zur Schule gegangen und hatte einen Abschluss – wurde ich genommen. Allerdings wies mich die Meisterin darauf hin, dass ich innerhalb von 14 Tagen alle Handgriffe erlernt haben müsste, sonst könnte ich nicht hierbleiben. Es war mir klar, dass ich das nicht leisten konnte, also sprach ich mit der Meisterin, die für mein Fließband zuständig war. Ich sagte ihr, dass ich versuchen würde, mir innerhalb eines Monats alle Fertigkeiten anzueignen. Sie gewährte mir diese Zeit. Danach arbeitete ich so gut wie andere, die ein Jahr oder länger da waren. Ich war so gut, dass die Meisterin alle, die neu anfingen, zu mir brachte, damit ich sie anlernen konnte. Bis zu 10.000 Platten schaffte ich in acht Stunden. Alle halbe Stunde musste man die Farben wiegen. Denn wenn sich die Temperatur änderte, wirkte sich das auf den Anteil der einzelnen Komponenten und das Gemisch aus. Die Meisterinnen kontrollierten morgens, ob unsere Kittel ganz weiß waren, und etwa alle zwei Stunden, ob die Fliesen alle den gleichen Farbton hatten. Man musste immer ganz aufmerksam und flink sein, um zum Beispiel Risse in den Fliesen zu erkennen, und diese dann schnell vom Band nehmen. Der Druck war groß, was für mich aber okay war, die Arbeit machte mir viel Spaß und war gut bezahlt. Ich erhielt etwa 300 Euro im Monat, wovon man in Rumänien damals ganz gut leben konnte. Als mein Sohn eingeschult wurde, konnte ich dem Druck jedoch nicht mehr standhalten. Ich arbeitete im Schichtdienst, eine Woche vormittags und eine Woche nachmittags. Wenn ich dann von 14 bis 23 Uhr in der Fabrik war, konnte ich nachmittags nicht auf meinen Sohn aufpassen. Darum ließ ich ihn bei einer Nachbarin, doch sie rief mich oft an, dass er nicht auf sie hören würde. Meine Arbeit verschlechterte sich und ich musste aufhören, um mich um mein Kind zu kümmern. Meine Meisterin sagte zu mir: „Vali, was soll aus dir werden, wenn du nicht mehr hier arbeitest? Du wirst es schwer haben.“ Sie sollte recht behalten. Neun Monate war ich arbeitslos, dann bekam ich einen Reinigungsjob im Kaufland. Allerdings verdiente ich nur halb so viel wie in der Fabrik. Damit konnte ich mich nicht über Wasser halten und verließ 2012 Rumänien.
Das Titelbild dieser Ausgabe zeigt „Tom“, fotografiert von Julian Shreddy Elbel, einem der beiden Gewinner des beim BISS-Foto-Award ausgelobten Sonderpreises für junge Fotografinnen und Fotografen unter 25 Jahren. Man sieht, wie ein Mann die Münzen in seiner Hand zählt. Es sind nicht sehr viele und er
wird sich genau überlegen müssen, wofür er das Geld ausgeben kann. Das ist bei unseren Verkäuferinnen und Verkäufern erfreulich anders, da klimpern die Münzen oft gut gelaunt in den Hosentaschen. Ich höre das gern, weil ich weiß, da hat jemand Geld, der vorher keines oder grundsätzlich zu wenig hatte. Überhaupt kann Geld viel bewirken, etwa Miete, Heizung und Strom, Lebensmittel, Kleidung, Medikamente, Zahnersatz und vieles mehr bezahlen zu können. Aber BISS-Verkäufer gewinnen nicht nur finanziell, sondern sie begegnen beim Verkaufen ihren Mitmenschen. Sie haben es ein bisschen besser als andere Menschen, die ebenfalls von Armut und Obdachlosigkeit bedroht oder betroffen sind. Denn BISS-Verkäufer haben die Münchnerinnen und Münchner, die sie anerkennen und wertschätzen, ihnen ihre Aufmerksamkeit schenken, sie freundlich grüßen und sogar die Zeitschrift kaufen. Kürzlich wurden im Amt für Wohnen und Migration die ersten Ergebnisse der Studie „Obdachlose Menschen auf der Straße in München“ vorgestellt. Dazu wurden in einer Winter- und einer Sommerzählung diejenigen obdachlosen Menschen gezählt, die am späten Abend am Tag der Zählung innerhalb des Mittleren Rings im Freien anzutreffen waren und beispielsweise keinen Schlafplatz in einer der Notunterkünfte ansteuerten. „Schlafen Sie heute Nacht draußen?“, diese Frage wurde von allen Befragten bejaht. Als die Ergebnisse anschließend in der Runde diskutiert wurden, waren sich die anwesenden Expertinnen und Experten der Münchner Wohnungslosenhilfe einig, dass insbesondere die sogenannten niedrigschwelligen Hilfen stark nachgefragt werden. Das sind direkt zugängliche Angebote, bei denen der Hilfebedürftige ohne telefonische oder gar Online-Voranmeldung kommen kann und jemanden zum Reden hat, der sich seiner Nöte annimmt, wie bei der Bahnhofsmission, Schiller 25, St. Bonifaz und einigen offenen medizinischen Hilfen auch für Personen ohne Krankenversicherung. Wenn an Tagen wie heute bei uns im Büro „lebhafter Geschäftsbetrieb“ herrscht, also sehr viele Menschen in vielen Sprachen mit- und durcheinanderreden, telefonieren, Zeitschriften zählen und nebenbei noch unsere Perconta-Münzzählmaschine rattert, dann freut mich das, weil ich sehe und sogar höre, wie zugänglich wir für sozial benachteiligte Menschen sind.
Herzlichst
Karin Lohr, Geschäftsführerin