BISS-Ausgabe Dezember 2024 | Frohe Weihnachten

Cover des BISS-Magazins Dezember 2024

Inhalt | Fröhliche Weihnacht? | Für die einen sind die Feiertage die schönste Zeit des Jahres, für die anderen bedeuten sie unerträgliche Einsamkeit. | 6 Mama, Mama, Tochter: Eine Regenbogenfamilie | 10 Träume leben: Das BISS-Stipendium hilft zwei jungen Frauen dabei | Interview mit Prof. Udo Rauchfleisch: Einsamkeit gehört zum Menschsein | 19 Wohin an Weihnachten? | 22 Eine Patenuhr für … Unsere fest angestellten BISS-Verkäuferinnen und -Verkäufer suchen Paten für 2025 | SCHREIBWERKSTATT | 5 Wie ich wohne | 20 BISS-Verkäufer und Verkäuferinnen erzählen, was sie bewegt | Rubriken | 3 Editorial | 26 Patenuhren | 27 Jubilare | 28 Freunde und Gönner | 30 Impressum, Mein Projekt | 31 Adressen

Wie ich wohne

Wer wohnt wie? In der Kolumne geben Menschen aus dem BISS-Netzwerk Einblicke in ihren Wohnalltag. Sie erzählen, wie sie früher gelebt haben, wie sie momentan wohnen und was sie sich für die Zukunft erhoffen

Die Trauernde

Protokoll FELICITAS WILKE

Foto MARTIN FENGEL

„Hier in der Küche sitzt oft die ganze Familie zusammen. Meine Schwiegertochter mit den beiden Enkeln, manchmal auch meine Tochter, die in Rumänien lebt, mit ihrer Familie. Wir kochen und essen zusammen, wir unterstützen uns gegenseitig. Nur ein Stuhl an unserem runden Tisch bleibt seit zwei Jahren leer: Es ist jener, auf dem mein Sohn immer saß. Vor zwei Jahren ist er im Alter von 42 Jahren an einem Gehirntumor verstorben. Und seitdem ist nichts mehr, wie es war. Ich hatte eigentlich ein gutes Leben. Wir leben hier als Familie auf 90 Quadratmetern in einer Erdgeschosswohnung in Trudering. Drei Zimmer, eine schöne Küche, ein Bad und ein Balkon. Und ein Garten, den wir nutzen dürfen. An dem kleinen Teich dort liege ich samstags gern und erhole mich von der Woche. 1.500 Euro zahlen wir warm für die Wohnung, der Mietvertrag läuft über meine Schwiegertochter. Seit fast 40 Jahren lebe ich nun schon mit meiner Familie in Deutschland. Ursprünglich komme ich aus Rumänien. In der Kleinstadt Moldova Nouă ganz in der Nähe der Donau lebte ich unter einem Dach mit meiner Mama, meinem Papa, meinen beiden Geschwistern und meinen Großeltern. Es war eine schöne Kindheit. Später gründete ich selbst eine Familie und bekam zwei Kinder, einen Sohn und eine Tochter. Im Jahr 1985 verließen wir wegen des kommunistischen Regimes unsere Heimat und zogen nach München. Meine Tochter ging zurück nach Rumänien, als sie 20 Jahre alt war, mein Sohn blieb hier, heiratete selbst und wurde auch Vater von zwei Kindern. Ich hatte ein enges Verhältnis zu ihm, seiner Frau und meinen beiden Enkeln. Als die Kinder noch klein waren, lebten wir alle zusammen in einer anderen Wohnung in Trudering. Später zogen wir in die Wohnung, in der wir bis heute wohnen. Ich hatte zwar immer wieder gesundheitliche Probleme und musste mich einigen Operationen unterziehen, aber ich rappelte mich stets auf. Auch wenn ich schon im Rentenalter bin, verkaufe ich seit einigen Jahren die BISS an mehreren Standorten in der Innenstadt, um mir etwas hinzuzuverdienen. Als mein Sohn starb, änderte sich mein Leben schlagartig. Das eigene Kind zu verlieren, ist das Schlimmste, was einer Mutter passieren kann. Seitdem spielt mein Blutdruck verrückt und ich habe Probleme mit dem Herzmuskel. Mein Herz ist gebrochen, im wahrsten Sinne des Wortes. Ich habe inzwischen einen Katheter. Auch wenn mein Sohn nicht mehr lebt, so ist er in der Wohnung doch allgegenwärtig. Das Wohnzimmer mit dem großen Sofa, den vielen Kissen darauf und der Vase mit den Stoffblumen auf dem Tisch: Die Möbel stehen alle noch so dort, wie er sie damals ausgesucht und platziert hat. Das große Bild, das im Wohnzimmer hängt und meinen Sohn zeigt, haben wir nach seinem Tod dort aufgehängt, um ihn immer bei uns zu haben. Die Trauer bleibt, es wird bislang auch nicht besser. Was mir Kraft gibt, ist meine Schwiegertochter, mit der ich weiterhin in der Wohnung lebe. Und mein Glaube: „Vergiss nicht, jeden Tag zu beten“, steht auf einem Schild, das meine Küche schmückt. Ich vergesse es nicht – und danke Gott trotz meiner schweren Zeit für alles, denn das letzte Wort hat immer er.“

Zwei, die auszogen, ihre Träume zu leben

Ceren und Hania sind in Armut aufgewachsen und hatten es nie leicht. Das hat sie jedoch nicht aufgehalten, ihren Weg zu gehen. Unterstützung hatten sie auch durch das BISS-Stipendium.

Von
MORITZ HACKL

Illustration
JULIA BERNHARD

Ceren führt einen durch ihre Fotos auf dem Handy wie durch eine Kunstgalerie. Eines zeigt eine Lichterkette, an der anstelle von Lampions Gesichter hängen, die verschiedene Gefühle zeigen. Trauer, Wut, Freude. Auf einem anderen sieht man eine ältere Dame, die allein in ihrem Wohnzimmer steht, an der Wand hängt ein Foto, das den gleichen Raum zeigt, bloß voller Menschen. „Da geht es um Einsamkeit“, sagt sie. Die Bilder gehören zu der Mappe, die sie im Rahmen einer Bewerbung an einer Designschule in München abgegeben hat. Es sind ausdrucksstarke Bilder, mutig, weil sie so direkt von Dingen sprechen, für die viele Menschen nicht mal Worte finden. Umso überraschender ist es, dass Ceren, 24, mehrfach kurz vor der Entscheidung stand, ihr Leben an der Kasse eines Supermarkts zu verbringen. Ohne Kunst, ohne Ausbildung an der Designschule, auch ohne Leidenschaft. Zum Glück ist es anders gekommen.

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Eine besondere Art Weihnachtsgeschenk

EIN TEXT AUS DER SCHREIBWERKSTATT

von Jasmin Nejmi

Dieses Jahr zu Weihnachten möchte ich einen Post teilen, den ich gelesen habe, der mir sehr gut gefällt und ein bisschen zum Nachdenken anregt. Die Erzählung beginnt mit einem Ehepaar, das sich einen Esel kauft und damit durch sein Dorf zieht. Die Bewohner, an denen es vorbeikommt, kommentieren prompt: „Der arme Esel muss die beiden Fettsäcke tragen. Was für eine Tierquälerei!“ Also reitet am nächsten Tag nur der Mann auf dem Esel. Nun ist zu hören: „Schau dir den Macho an! Er sitzt gemütlich auf dem Esel und seine Frau muss laufen!“ Am anderen Tag reitet die Frau auf dem Esel und die Menge prustet: „Was für ein Weichei, läuft wie ein Dackel hinter seiner Frau her! Sieht man ja, wer die Hosen anhat!“ Daraufhin entscheiden sich die beiden, neben dem Esel herzulaufen. Und dieses Mal sind die Menschen fassungslos: „Sag mal, wie blöd kann man sein?!? Die Trottel laufen, obwohl sie einen Esel haben!“ Was lernt man aus dieser Geschichte? Egal, was du machst, es ist niemals möglich, es allen recht zu machen. Die Leute werden sowieso über dich reden. Deshalb mach das, was sich für dich richtig anfühlt, und nicht, was alle anderen von dir erwarten. Mach dein Ding und lass sie reden! Wenn Ihnen die Geschichte auch so gut gefällt wie mir, teilen Sie sie gern mit Freunden, der Familie und den Arbeitskollegen, denn unter dem
Post stand: „Verschenke es weiter!“

Weihnachten 2024

Karin Lohr; Foto: Volker Derlath

Dieses Jahr war ein gutes Jahr für unser Straßenmagazin: Die Verkaufszahlen von BISS liegen bei durchschnittlich 42.000 verkauften Exemplaren monatlich, ebenso viele wie in den Jahren vor Corona. Wir waren sogar wiederholt vor Monatsende total ausverkauft, sodass die nächste Ausgabe ein paar Tage früher erschienen ist. Dieser Erfolg liegt in erster Linie an unseren couragierten Verkäuferinnen und Verkäufern, die in den Straßen Münchens und der Umgebung unterwegs sind. BISS ist (noch immer) die einzige Straßenzeitung weltweit, die ihrem „Außendienst“ Festanstellungen mit Monatsgehalt, Kranken- und Rentenversicherung, Betriebsrente und mehr bietet. Das ist uns nur möglich, weil so viele weitsichtige und großzügige Menschen unsere Arbeit seit nunmehr 31 Jahren unterstützen: die Leserinnen und Leser des Magazins, diejenigen, die spenden oder sogar eine Patenschaft übernehmen, die engagierten Ehrenamtlichen und natürlich das wache Pfortenteam von St. Bonifaz. Wer die BISS verkauft, ist von Armut und Obdachlosigkeit bedroht oder betroffen. Resigniert hat die Person aber keinesfalls, sondern sie erhofft sich ein besseres Leben mit einem regelmäßigen Einkommen, medizinischer Versorgung, bezahlbarem Wohnraum und Anerkennung durch andere. Dieser weite Sprung in ein besseres Leben ist vielen gelungen. Manche sind schon lange angestellt und haben ihre sozialen Schwierigkeiten überwunden, andere sind erst seit Kurzem dabei und brauchen für ihren neuen Alltag tagtäglich viel Kraft. Besonders schön ist es, wenn bei den Verkäufertreffen die Urkunden für langjährige Festanstellung überreicht werden (siehe Seite 27) oder bei der großen BISS-Weihnachtsfeier alle Verkäuferinnen und Verkäufer zusammenkommen. Sie findet dieses Jahr schon Ende November statt. Da werden im Grünen Saal des Augustiner Stammhauses die Tische wieder schön gedeckt und es begleitet uns ein Akkordeonspieler. Es gibt ein feines Essen, vorab eine klassische Pfannkuchensuppe, die schmeckt immer allen. Nach der Präsentation der Geschäftsführung gibt es Geschenke. Weihnachten feiern unsere Verkäufer so unterschiedlich wie andere Menschen auch: endlich wieder in der eigenen Wohnung, mit Familie, Freunden oder auch allein, oder gar auswärts. BISS-Verkäufer Wolfgang Räuschl etwa lässt sich im Hofbräuhaus den Schweinebraten mit Knödl in Gesellschaft schmecken. Bei einer anderen Feier, einer Familienfeier anlässlich des runden Geburtstags meiner Tante Anni, hat meine kluge Cousine Bärbel ein Gedicht von Reiner Kunze vorgelesen, das so gut in diese gemischte und freundliche Runde gepasst hat:

Fast ein Gebet
Wir haben ein Dach
und Brot im Fach

und Wasser im Haus,
da hält man’s aus.
Und wir haben es warm

und haben ein Bett.
O Gott, daß doch jeder
das alles hätt’!

Egal wo Sie auch feiern, liebe BISS-Leserinnen und -Leser, im Namen aller BISSlerdanke ich Ihnen für alles und wünsche Ihnen frohe und friedliche Weihnachten.


Herzlichst


Karin Lohr, Geschäftsführerin