Mit Begleitung in den Arbeitsmarkt

BISS-Geschäftsführerin Karin Lohr, Foto: Volker Derlath

Eine der besten Entscheidungen meines Lebens war es, nach dem Abitur eine Ausbildung als Hotelkauffrau zu machen. Nun kam ich aus einer Münchner Gärtnersfamilie und stammte nicht von Hoteliers ab. Meinen Berufswunsch habe ich in der dicken, grün eingebundenen Broschüre „Beruf aktuell“ des Arbeitsamts gefunden. Ich habe es damals gut getroffen, denn mein Ausbildungsbetrieb war ein anspruchsvolles Münchner 5-Sterne-Hotel mit Glamour und einem furchtlosen Betriebsrat. Ich arbeitete gern in meinem Beruf und verdiente mir damit während meines späteren Studiums meinen Lebensunterhalt. Für andere jedoch verläuft der Berufseinstieg nicht so reibungslos. Die Zahl der Ausbildungsabbrüche steigt und ein fehlender Berufsabschluss zieht viele Nachteile nach sich. Einer davon sind erfahrungsgemäß Zeiten der Arbeitslosigkeit ohne festes Einkommen, das belastet die ganze Familie. Wenn noch eine Krankheit dazukommt, scheint der Weg zurück in eine gesicherte Existenz und autonome Lebensführung für immer abgeschnitten. Wie gut, dass München ein eigenes Arbeitsmarktprogramm hat, das Münchner Beschäftigungs- und Qualifizierungsprogramm (MBQ), das langzeitarbeitslosen Menschen die Chance bietet, sich wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Einer, der das gerade versucht, ist Fred, der auf unserem Cover den Rollstuhl von Diana schiebt (s. S. 6–11). Fred arbeitet beim „Bus & Bahn Begleitservice“ des Katholischen Männerfürsorgevereins, einem von rund 30 sozialen Betrieben in der Stadt. Diese Betriebe in ganz unterschiedlichen Branchen gibt es, weil die damals rot-grüne Stadtpolitik in den 1980er-Jahren entschied, etwas gegen Langzeitarbeitslosigkeit zu unternehmen. Das MBQ wird finanziell gefördert und am Beispiel des „Begleitservice“ kann man sehen, dass es ohne diese Förderung auch nicht geht. Die sozialen Betriebe setzen auf ein betriebliches Umfeld und ein gutes Miteinander bei der Arbeit. Sie brauchen Platz, die Mieten für die Räume sind hoch und die Fachkräfte, die beruflich ausbilden und sozial beraten, kosten natürlich auch. Die Politik hat längst erkannt, welchen Nutzen das Programm der Stadtgesellschaft bietet. Die Finanzmittel für das MBQ werden jedes Jahr im Stadtrat neu beschlossen. Wie alle Beschlüsse wird das Ergebnis im RatsInformationsSystem (RIS) veröffentlicht (da sieht man dann auch, wer beim letzten Mal dagegen gestimmt hat, AfD und FDP). Fred war früher Koch, wie einige unserer Verkäufer auch. Aus meiner Hotelzeit weiß ich, dass das ein schöner, aber sehr verschleißender Beruf ist, der oft nicht bis zur Rente ausgeübt werden kann. Darum braucht es die Chance, noch einmal neu anzufangen.

Herzlichst


Karin Lohr, Geschäftsführerin

Altes und Neues

Karin Lohr, Foto: Volker Derlath

Mir gefällt an unserer Märzausgabe besonders gut, dass darin zu lesen ist, wie das Leben weitergehen kann, auch wenn nicht alles rosarot ist und die Zeiten stürmisch sind. Da ist kein „Wuiseln“, bairisch für Klagen oder Jammern, zu vernehmen, sondern die Leute packen miteinander an, wie in einer ganz besonderen Wohngemeinschaft (siehe Titelgeschichte) oder indem sie Schwerstkranke am Ende ihres Lebens begleiten. Noch einen Artikel möchte ich Ihnen ans Herz legen: „Bayerische Verschleierungstaktik“ (siehe S. 12–13) über das Informationsfreiheitsgesetz (IFG), das seit 1. Januar 2006 allen Bürgerinnen und Bürgern gegenüber Behörden des Bundes Zugang zu amtlichen Informationen verspricht. Die Bundesländer konnten frei entscheiden, ob sie das Gesetz einführen wollen, was bis auf Niedersachsen und Bayern alle getan haben. In dem Artikel erfährt man mehr über die Hintergründe sowie die Aktivitäten bayerischer Kommunen. Wir BISSler haben ja in der Vergangenheit selbst erleben müssen, wie die bayerische Regierung einem kommerziellen Immobilieninvestor im Jahr 2011 den Vorzug vor unserem Projekt „Hotel BISS“ gegeben hat. Viele werden sich erinnern, dass BISS plante, das ehemalige Frauengefängnis am Neudeck zu kaufen und an diesem besonderen Ort ein erstklassiges Ausbildungshotel für benachteiligte Jugendliche zu gründen sowie Mehr-Generationen-Wohnen anzubieten. Ein besseres Angebot zum Wohle aller hat es nicht gegeben. Natürlich haben wir nachgefragt, wer die Immobilie gekauft hat und für welche Summe – erfahren haben wir gar nichts. „Aus Gründen des Käuferschutzes“, wurde uns lapidar vom damaligen bayerischen CSU-Finanzminister, einem Nürnberger, mitgeteilt. Es scheint, als wäre das heute noch genauso üblich. Oder kommt mit einer neuen Regierung endlich ein bundesweites Transparenzgesetz? Wir sind gespannt, ob Abgeordnete aus Bayern dabei bremsen oder das Vorhaben endlich voranbringen. Da ist es gut, dass heute eine ausgesprochen erfreuliche Angelegenheit zum vorläufigen Abschluss gekommen ist. Es hatte sich ein BISS-Leser gemeldet, der eine kleinere Wohnung vermietet. Die hat sich, zusammen mit unserem Sozialarbeiter, ein BISS-Verkäufer mit seiner Frau, beide angestellt mit sicherem Einkommen, angesehen. Es ist eine hübsche Wohnung mit eingebauter Küche in zentraler Lage. Die Miete ist nicht billig, aber bezahlbar, wunderbar. Vorhin haben der Eigentümer und ich für BISS den Mietvertrag unterschrieben. Zunächst befristet für ein Jahr, danach wird der Vertrag direkt zwischen dem Vermieter und den Mietern abgeschlossen. Der Frühling kann kommen!

Herzlichst

Karin Lohr, Geschäftsführerin

Bundestagswahl 2025 – für ein gutes Zusammenleben

Karin Lohr, Geschäftsführerin (Foto: Volker Derlath)

Am 23. Februar wird der Deutsche Bundestag wieder neu gewählt. Wie vor jeder Wahl informieren wir in einer Verkäufersitzung alle BISSler über den Ablauf: Es werden Muster der Wahlunterlagen, wie Stimmzettel und dazugehörige Umschläge, ausgelegt und erläutert, wie das mit dem Wählerverzeichnis funktioniert. Wer keine Unterlagen erhalten hat, den unterstützt die Sozialarbeit bei der Anforderung, denn es sollen ja so viele Verkäuferinnen und Verkäufer wie möglich ihr Wahlrecht ausüben können. Es hat sich in den vergangenen Jahren bewährt, zu erklären, wie einfach man seine Stimme durch die Briefwahl abgeben kann. Wahlberechtigte Münchnerinnen und Münchner können ihre Briefwahlunterlagen persönlich im Kreisverwaltungsreferat und bei den Bezirksinspektionen in den Stadtvierteln abholen. Dort besteht auch die Möglichkeit, gleich beim Abholen zu wählen, also sofort den ausgefüllten Wahlschein in die Wahlurne einzuwerfen. Dann braucht man am Wahlsonntag nicht persönlich ins Wahllokal zu gehen, obwohl das in einer Demokratie ein besonderes Erlebnis ist. Für BISS-Verkäufer Zuheir Takiyan, der zum ersten Mal in Deutschland wählt, ist es sogar „wie ein Geschenk“ (siehe Schreibwerkstatt Seite 22). Für den Ausgang der Bundestagswahl 2025 hoffen wir, dass es nicht reichen wird für eine Mehrheit der breitbeinigen Narzissten (m/w/d) die alles schlechtreden und jeden runtermachen, der nicht so denkt wie sie. Sie veranstalten zwar ein lautes Spektakel, an einem guten Leben für möglichst viele Menschen jedoch sind sie nicht interessiert. Diejenigen, die wirklich einen Grund hätten, zu schreien, weil es für sie keinen bezahlbaren Wohnraum gibt und keine Arbeit, von der sie leben können, sind still. Dabei ist Deutschland seit fast 80 Jahren ein freies Land in Frieden und Wohlstand. Es gibt so viele Menschen in diesem Land, die sich für ein gutes Zusammenleben und einen freundlichen Umgang miteinander einsetzen, in den Schulen und Kindergärten, am Arbeitsplatz, in den Kirchen und Vereinen und als ehrenamtlich Engagierte. Wie sagt es Magdalena, die als Weisungsbetreuerin für straffällige Jugendliche arbeitet (siehe S. 6 bis 9), so treffend: „Ich glaube, dass man die Veränderung sein muss, die man haben möchte.“ Ja, unbedingt, denn so ist eine Veränderung zum Besseren möglich.


Herzlichst

Karin Lohr, Geschäftsführerin

Den Felsblock bergauf schieben

BISS-Geschäftsführerin Karin Lohr (Foto: Volker Derlath

Unsere BISS-Weihnachtsfeier mit den rund 100 Verkäuferinnen und Verkäufern am Ende des vergangenen Jahres war ein schönes Erlebnis. Die Stimmung der Gäste war bestens und die Geschenke haben große Freude gemacht. Bei einem Jahresrückblick wurde besonders an die verstorbenen Verkäufer erinnert, danach gab es viel Gesprächsstoff. Auch die für den 23. Februar anstehende Bundestagswahl war ein Thema. Zwar sind nicht alle unsere Verkäuferinnen und Verkäufer bei dieser Wahl wahlberechtigt, es gibt aber genügend Deutsche, die ermuntert werden sollen, ihr Wahlrecht auszuüben. Darunter BISS-Verkäufer Herr T., endlich eingebürgert und damit „neudeutsch“, für den es das erste Mal sein wird. Eine möglichst hohe Beteiligung an einer Wahl erreicht man nicht, indem man pauschal die Politik schlechtredet, sondern an das erinnert, was in Krisenzeiten in der Vergangenheit gut gelaufen ist. Wir haben uns bei dieser Gelegenheit an die Feier von vor zwei Jahren erinnert, bei der die damals Anwesenden sehr verunsichert waren, wie hart die Energiekrise sie wohl treffen würde. Vom Faktor 2,5 bei den Kosten für Strom und Gas wurde gesprochen und davon, dass im schlimmsten Fall die Versorgung ganz unterbrochen wäre. Diese Befürchtungen haben sich nicht bewahrheitet. Es gelang, mit vereinten Kräften die Krise zu meistern. Es gab damals staatliche Hilfen, wie die Energiepreispauschalen in Höhe von 300 Euro für Angestellte und Rentner, die Übernahme einer kompletten Abschlagszahlung sowie die Gas- und Strompreisbremsen mit gedeckelten Preisen. Darüber hinaus haben wir bei BISS Schulungen veranstaltet, wie man den Energieverbrauch reduzieren kann, und Hilfebedürftige an den Münchner Wärmefonds für Haushalte mit geringem Einkommen vermittelt. Der Aufwand hat sich gelohnt, es kamen bislang keine Verkäufer mit horrenden Nachzahlungen, die aus totaler Unkenntnis entstanden sind. In einem neuen Jahr fängt man wieder von vorne an, das gilt für alle. Im Prinzip geht das in Ordnung, auch Sisyphos hat den großen Felsblock immer wieder aufs Neue den Berg hinaufgeschoben. Wäre es eine Alternative, den Stein nicht zu schieben? Natürlich nicht, denn in unserem Fall schieben viele Menschen gemeinsam an, damit sozial benachteiligte Menschen ein besseres Leben haben. Für ehemals wohnungslose Menschen ist ein Leben in ihrer eigenen Wohnung möglich, dank der großartigen Arbeit der Stiftung BISS (siehe S. 18 bis 23). Wir hatten bei Redaktionsschluss für fast jeden unserer angestellten Verkäuferinnen und Verkäufer eine Patin oder einen Paten gefunden, das ist fantastisch! Im Namen aller BISSler danke ich Ihnen und allen Spendern, Gönnerinnen und Förderern für Ihre Großzügigkeit und wünsche allen ein gutes neues Jahr. Bitte bleiben Sie auch zukünftig an unserer Seite, wir bauen auf Sie!

Herzlichst

Karin Lohr, Geschäftsführerin