Den Felsblock bergauf schieben

BISS-Geschäftsführerin Karin Lohr (Foto: Volker Derlath

Unsere BISS-Weihnachtsfeier mit den rund 100 Verkäuferinnen und Verkäufern am Ende des vergangenen Jahres war ein schönes Erlebnis. Die Stimmung der Gäste war bestens und die Geschenke haben große Freude gemacht. Bei einem Jahresrückblick wurde besonders an die verstorbenen Verkäufer erinnert, danach gab es viel Gesprächsstoff. Auch die für den 23. Februar anstehende Bundestagswahl war ein Thema. Zwar sind nicht alle unsere Verkäuferinnen und Verkäufer bei dieser Wahl wahlberechtigt, es gibt aber genügend Deutsche, die ermuntert werden sollen, ihr Wahlrecht auszuüben. Darunter BISS-Verkäufer Herr T., endlich eingebürgert und damit „neudeutsch“, für den es das erste Mal sein wird. Eine möglichst hohe Beteiligung an einer Wahl erreicht man nicht, indem man pauschal die Politik schlechtredet, sondern an das erinnert, was in Krisenzeiten in der Vergangenheit gut gelaufen ist. Wir haben uns bei dieser Gelegenheit an die Feier von vor zwei Jahren erinnert, bei der die damals Anwesenden sehr verunsichert waren, wie hart die Energiekrise sie wohl treffen würde. Vom Faktor 2,5 bei den Kosten für Strom und Gas wurde gesprochen und davon, dass im schlimmsten Fall die Versorgung ganz unterbrochen wäre. Diese Befürchtungen haben sich nicht bewahrheitet. Es gelang, mit vereinten Kräften die Krise zu meistern. Es gab damals staatliche Hilfen, wie die Energiepreispauschalen in Höhe von 300 Euro für Angestellte und Rentner, die Übernahme einer kompletten Abschlagszahlung sowie die Gas- und Strompreisbremsen mit gedeckelten Preisen. Darüber hinaus haben wir bei BISS Schulungen veranstaltet, wie man den Energieverbrauch reduzieren kann, und Hilfebedürftige an den Münchner Wärmefonds für Haushalte mit geringem Einkommen vermittelt. Der Aufwand hat sich gelohnt, es kamen bislang keine Verkäufer mit horrenden Nachzahlungen, die aus totaler Unkenntnis entstanden sind. In einem neuen Jahr fängt man wieder von vorne an, das gilt für alle. Im Prinzip geht das in Ordnung, auch Sisyphos hat den großen Felsblock immer wieder aufs Neue den Berg hinaufgeschoben. Wäre es eine Alternative, den Stein nicht zu schieben? Natürlich nicht, denn in unserem Fall schieben viele Menschen gemeinsam an, damit sozial benachteiligte Menschen ein besseres Leben haben. Für ehemals wohnungslose Menschen ist ein Leben in ihrer eigenen Wohnung möglich, dank der großartigen Arbeit der Stiftung BISS (siehe S. 18 bis 23). Wir hatten bei Redaktionsschluss für fast jeden unserer angestellten Verkäuferinnen und Verkäufer eine Patin oder einen Paten gefunden, das ist fantastisch! Im Namen aller BISSler danke ich Ihnen und allen Spendern, Gönnerinnen und Förderern für Ihre Großzügigkeit und wünsche allen ein gutes neues Jahr. Bitte bleiben Sie auch zukünftig an unserer Seite, wir bauen auf Sie!

Herzlichst

Karin Lohr, Geschäftsführerin

Weihnachten 2024

Karin Lohr; Foto: Volker Derlath

Dieses Jahr war ein gutes Jahr für unser Straßenmagazin: Die Verkaufszahlen von BISS liegen bei durchschnittlich 42.000 verkauften Exemplaren monatlich, ebenso viele wie in den Jahren vor Corona. Wir waren sogar wiederholt vor Monatsende total ausverkauft, sodass die nächste Ausgabe ein paar Tage früher erschienen ist. Dieser Erfolg liegt in erster Linie an unseren couragierten Verkäuferinnen und Verkäufern, die in den Straßen Münchens und der Umgebung unterwegs sind. BISS ist (noch immer) die einzige Straßenzeitung weltweit, die ihrem „Außendienst“ Festanstellungen mit Monatsgehalt, Kranken- und Rentenversicherung, Betriebsrente und mehr bietet. Das ist uns nur möglich, weil so viele weitsichtige und großzügige Menschen unsere Arbeit seit nunmehr 31 Jahren unterstützen: die Leserinnen und Leser des Magazins, diejenigen, die spenden oder sogar eine Patenschaft übernehmen, die engagierten Ehrenamtlichen und natürlich das wache Pfortenteam von St. Bonifaz. Wer die BISS verkauft, ist von Armut und Obdachlosigkeit bedroht oder betroffen. Resigniert hat die Person aber keinesfalls, sondern sie erhofft sich ein besseres Leben mit einem regelmäßigen Einkommen, medizinischer Versorgung, bezahlbarem Wohnraum und Anerkennung durch andere. Dieser weite Sprung in ein besseres Leben ist vielen gelungen. Manche sind schon lange angestellt und haben ihre sozialen Schwierigkeiten überwunden, andere sind erst seit Kurzem dabei und brauchen für ihren neuen Alltag tagtäglich viel Kraft. Besonders schön ist es, wenn bei den Verkäufertreffen die Urkunden für langjährige Festanstellung überreicht werden (siehe Seite 27) oder bei der großen BISS-Weihnachtsfeier alle Verkäuferinnen und Verkäufer zusammenkommen. Sie findet dieses Jahr schon Ende November statt. Da werden im Grünen Saal des Augustiner Stammhauses die Tische wieder schön gedeckt und es begleitet uns ein Akkordeonspieler. Es gibt ein feines Essen, vorab eine klassische Pfannkuchensuppe, die schmeckt immer allen. Nach der Präsentation der Geschäftsführung gibt es Geschenke. Weihnachten feiern unsere Verkäufer so unterschiedlich wie andere Menschen auch: endlich wieder in der eigenen Wohnung, mit Familie, Freunden oder auch allein, oder gar auswärts. BISS-Verkäufer Wolfgang Räuschl etwa lässt sich im Hofbräuhaus den Schweinebraten mit Knödl in Gesellschaft schmecken. Bei einer anderen Feier, einer Familienfeier anlässlich des runden Geburtstags meiner Tante Anni, hat meine kluge Cousine Bärbel ein Gedicht von Reiner Kunze vorgelesen, das so gut in diese gemischte und freundliche Runde gepasst hat:

Fast ein Gebet
Wir haben ein Dach
und Brot im Fach

und Wasser im Haus,
da hält man’s aus.
Und wir haben es warm

und haben ein Bett.
O Gott, daß doch jeder
das alles hätt’!

Egal wo Sie auch feiern, liebe BISS-Leserinnen und -Leser, im Namen aller BISSlerdanke ich Ihnen für alles und wünsche Ihnen frohe und friedliche Weihnachten.


Herzlichst


Karin Lohr, Geschäftsführerin

BISS sammelt keine Spenden auf der Straße

Karin Lohr; Foto: Volker Derlath

Neulich rief uns Frau G. an, eine langjährige BISS-Leserin und Unterstützerin. Sie sei auf dem Münchner Viktualienmarkt unterwegs gewesen und dort von zwei jüngeren Frauen angesprochen worden. Sie hätten einen seriösen und geordneten Eindruck gemacht, sehr gut Deutsch gesprochen und eine Ausgabe der BISS vorgezeigt. „Sie wollen doch was von mir“, erkannte Frau G. sofort, worauf die beiden sich als „Spendensammlerinnen“ zu erkennen gaben. Sie würden für die Suppenküche von BISS sammeln, ob Frau G. zu diesem guten Zweck beitragen wolle. Der aber kam das Ganze gleich komisch vor, sie gab kein Geld, sondern rief umgehend bei uns an. Wir konnten die Sache schnell aufklären: Hier handelte es sich um Betrügerinnen, die wiederholt in der Innenstadt oder an anderen gut besuchten Orten unterwegs sind. Sie geben nur vor, für die BISS oder für eine andere bekannte Einrichtung wie die Bahnhofsmission zu sammeln. Das Geld stecken sie jedoch in die eigene Tasche. Ihr Vorgehen empfinden wir als doppelten Betrug: Es werden sowohl die gut meinenden Menschen geschädigt, die Geld geben, in dem Glauben, eine seriöse Organisation zu unterstützen. Aber ebenso werden die hilfebedürftigen Menschen geschädigt, denn wer meint, bereits auf der Straße gespendet zu haben, wird das wahrscheinlich nicht gleich wieder tun. BISS-Verkäuferinnen und -Verkäufer sind sogar besonders betroffen, denn oft verkaufen sie das Magazin an den belebten Orten in der Stadt. Wer jedoch zuvor vermeintlich „gespendet“ hat, wird einem Verkäufer möglicherweise nicht mehr das Magazin abkaufen. Das ist bitter. Deshalb möchten wir daran erinnern, dass BISS keine Spenden auf der Straße sammelt. BISS Verkäuferinnen und -Verkäufer verkaufen die Straßenzeitung, sonst nichts. Wenn bald wieder die Zeit der Christkindlmärkte und Glühweinstände beginnt, ist nicht ausgeschlossen, dass auch Sie einmal von den betrügerischen „Spendensammlerinnen“ angesprochen werden. Spenden Sie ihnen nichts, und wenn Sie dieser doppelte Betrug auch so aufregt wie uns, dann rufen Sie uns gern in der Redaktion an. Unsere Straßensozialarbeit ist in der ganzen Stadt unterwegs. Sie besucht die Verkäufer auf den Märkten, in den Einkaufszentren und scheut auch nicht den Weg in die Vororte, wenn etwas nicht so läuft, wie es laufen sollte. Und bitte denken Sie daran, kaufen Sie die BISS nur bei Verkäufern, die ihren Ausweis sichtbar bei sich tragen. Sie können die Person auch danach fragen, wenn Sie den Ausweis nicht gleich sehen. Das kann der Einstieg in ein freundliches Gespräch sein, und darauf kommt es an, bei den Begegnungen zwischen den Menschen auf der Straße.

Herzlichst

Karin Lohr, Geschäftsführerin

Möchte jemand tauschen?

Karin Lohr, Foto: Volker Derlath

Manche meinen, der Regelsatz für das Bürgergeld sei zu hoch (563 Euro pro Monat für Alleinstehende). Dadurch biete es Menschen, die eigentlich arbeiten könnten, den Anreiz, von dieser Grundsicherung zu leben und die Arbeitssuche aufzugeben. Die Zahlen zum Thema Bürgergeld liegen auf dem Tisch: 5,5 Millionen Menschen in Deutschland sind auf das Bürgergeld angewiesen, davon sind 1,8 Millionen Kinder und Jugendliche. Weitere zwei Millionen sind nur bedingt erwerbsfähig oder Aufstocker zum Einkommen (Quelle: Marcel Fratzscher, DIW). Bleiben 1,7 Millionen erwerbsfähige Leistungsbezieher, die unserer Erfahrung nach mehrheitlich lieber arbeiten würden, als Bürgergeld zu beziehen. Häufig stecken sie in Lebenskrisen oder Umbrüchen fest und brauchen zeitweise Unterstützung, bis sie wieder eine Arbeitsstelle finden und keine Hilfen mehr benötigen. Hier vor Ort fördern etwa das Münchner Beschäftigungs- und Qualifizierungsprogramm (MBQ) und die berufsbezogene Jugendhilfe die berufliche Integration. Denn wer eine abgeschlossene Ausbildung hat, findet viel einfacher einen Arbeitsplatz und kann seinen Lebensunterhalt selbst bestreiten. Wer die BISS liest, weiß das schon längst. Denn unsere Verkäuferinnen und Verkäufer bemühen sich trotz schwieriger Lebensumstände jeden Tag aufs Neue um ein besseres Leben. Einer von ihnen war Manfred Kügler, der erst 58 Jahre alt war, als er im August nach längerer Krankheit verstarb (Nachruf Seite 19). Seine Kundschaft weiß, wie unglaublich hart er gekämpft hat. Es gibt aber auch gute Nachrichten: BISS-Verkäufer Petru Radu ist überglücklich, denn er hat mit Unterstützung von BISS eine Wohnung gefunden. Es ist eine ganz besondere Wohnung, zu der die Benefizauktion zum 30-jährigen BISS-Jubiläum im vergangenen Jahr den Grundstein gelegt hat (siehe Seiten 24 und 25). Und wer die Patenseite aufmerksam studiert, kann sehen, das Ladislav Dieti zurück und seit dem 1. September wieder fest angestellt ist. Er hat seinen Schlaganfall überstanden und wollte, wie die beiden anderen Herren auch, unter allen Umständen wieder zurück in ein Leben mit einer sinnvollen Aufgabe, mit Festanstellung und insbesondere mit dem belebenden Kontakt zu den BISS-Leserinnen und -Lesern. Um wieder zum Bürgergeld zurückzukommen: Es soll helfen, existenzielle Krisen im Leben zu überstehen. Wer behauptet, die Mehrheit derjenigen, die darauf angewiesen sind, wollen es nicht anders, der sagt die Unwahrheit. Oder die Person weiß es nicht besser, beides finde ich gleichermaßen erschreckend. Insbesondere, wenn in der politischen Diskussion Stimmung gegen Schwächere gemacht wird. Das Leben tauschen, da bin ich mir sicher, will keiner.

Herzlichst

Abenteuer Bahn

Foto: Volker Derlath

Auf einer Reise mit der Bahn kann man viel erleben. Bei unserer Exkursion nach Fürth (siehe Seite 29 im Heft) haben wir die Bahn sowohl von ihrer besten als auch von einer ihrer schlimmsten Seiten erlebt. Auf der Hinfahrt lief alles wie am Schnürchen: Abfahrt in München pünktlich, umsteigen wie geplant in Nürnberg nach Fürth und von dort ein paar Stationen mit dem Bus an unser Ziel. Nachmittags ging’s zurück, zunächst war alles unauffällig. Letzter Halt vor München war Dachau, da dachte man schon, jetzt kann uns nichts mehr passieren. Bis der Zug abrupt zum Stehen kam. Es folgte eine knappe Durchsage: Weichenstörung. Auf den Gleisen links und rechts fuhren munter ICEs, andere Züge und S-Bahnen an uns vorbei, anscheinend war nur „unsere“ Weiche davon betroffen. Nach zwei Stunden im vollen Zug bei hochsommerlichen Temperaturen ging’s erst ein bisschen zurück und dann die letzten paar Kilometer bis München. Wenn das ein unvorhergesehenes Ereignis gewesen wäre, kann man es nur ertragen. In unserem Fall aber haben wir kurz nach Abfahrt des Zuges in Nürnberg eine leise Durchsage gehört, die vermutlich nicht für die Reisenden bestimmt war: „Dieser Zug kommt aufgrund einer Weichenstörung voraussichtlich statt um 16.55 erst gegen 19 Uhr in München an.“ Alle Reisenden hätten also locker noch in Dachau und damit vor der maroden Weiche umsteigen können und wären so nicht geschlagene vier Stunden von Nürnberg nach München unterwegs gewesen.

Es gibt Dinge im Leben, die kann man nicht ändern. Die großen Schwierigkeiten der Bahn gehören nicht dazu, denn die Ursachen sind bekannt: Es gibt zu wenig Züge, zu wenig Gleise und zu wenig Personal. Dabei fahren immer mehr Menschen mit der Bahn, allein im ersten Halbjahr 2024 waren es 919,2 Millionen Reisende. Die steigenden Fahrgastzahlen werden dem beliebten Deutschlandticket zugeschrieben, eigentlich ein Riesenerfolg. Viele verstehen nicht, warum ein Unternehmen, das zu 100 Prozent im Eigentum des Bundes ist, Gewinn machen soll. Die Bahn gehört doch zur wichtigsten Infrastruktur eines Landes, wertvoll und unverzichtbar. Autobahnen und Parkplätze erwirtschaften ebenfalls keinen Überschuss, und doch hat die Politik in den vergangenen Jahrzehnten vorzugsweise in sie investiert. Ich wünsche mir in der Politik endlich einmal eine leidenschaftliche Verkehrsministerin, Bahnfahrerin, die Bescheid weiß und das Beste für die Schiene rausholen will. Oder einen Finanzminister, der nachts nicht schlafen kann, weil er überlegt, woher er das so dringend benötigte Geld nehmen soll, etwa durch konsequentes Verhindern von Steuerbetrügereien oder durch Wiedereinführung einer Vermögenssteuer für große Vermögen. Abenteuerliche Vorstellung, aber warum eigentlich?

Herzlichst

Karin Lohr, Geschäftsführerin