Es ist nicht alles, wie es scheint

EIN TEXT AUS DER SCHREIBWERKSTATT

von Istvan Mathe

Ich möchte Ihnen eine Geschichte erzählen, nach der Sie vielleicht anders durch die Stadt gehen: Als ich vor ungefähr zehn Jahren aus Rumänien nach Deutschland gekommen bin, habe ich zuerst für eine Zeitarbeitsfirma gearbeitet. Das war nicht einfach. Denn sie hat mein ganzes Leben bestimmt. Sie sagten mir, wann ich freihabe. Sie sagten, wann ich zu arbeiten habe. Ich habe alles mögliche gemacht, meistens sieben Tage die Woche: fünf Tage in einer Bäckerei, dann auf einer Baustelle. Immer so weiter. Krank sein ging nicht, dann hast du die Arbeit verloren. Zwei bis drei Euro habe ich pro Tag für Essen ausgegeben, den Rest habe ich nach Hause zu meiner Frau und meinen beiden Töchtern geschickt. Geschlafen habe ich in einem Schlafsack draußen. Zum Beispiel in Kircheneingängen. Egal, ob es geregnet oder geschneit hat. Zwei Jahre ging das ungefähr so. Oft haben mich Leute angeschrien oder nachts mit Lampen geblendet: Geh arbeiten! Aber das ist genau das, was ich gemacht habe. Ich habe gearbeitet. Ich hatte aber keine Wohnung. So geht es vielen, die Sie auf der Straße sehen. Dann bin ich in eine Pension gezogen und meine Frau und meine beiden Töchter sind gekommen. Wir mussten jede Woche die Pension wechseln. Am Ende hatten wir drei, zwischen denen wir gependelt sind. Meine Töchter waren im Kindergarten, zu dem haben wir sie jeden Tag gebracht, egal wo wir gerade untergebracht waren. Für meine Töchter war diese Zeit nicht leicht. Dann habe ich von der BISS erfahren. Am Anfang dachte ich, das ist nichts für mich. Weil ich zu wenig Deutsch kann und auch weil ich bisher immer schwer körperlich gearbeitet habe. Herr Denninger hat dann zu mir gesagt, dass er uns eine Wohnung vermitteln kann. Ein Lottogewinn, ohne dass ich Lotto gespielt hatte! Ich habe dann das Verkaufen der BISS versucht, und es hat geklappt. Ich wohne jetzt mit meinen beiden Töchtern, sie sind 13 und 15. Meine Frau ist nicht mehr bei uns. Wir haben eine Wohnung. Ich habe Arbeit. Sie gibt mir nicht nur Geld, sondern ich lerne auch besser Deutsch. Vor allem aber bekomme ich durch diese Arbeit Respekt. Respekt von meiner Kundschaft.

Tierische Gedanken

EIN TEXT AUS DER SCHREIBWERKSTATT

von Dirk Schuchardt

Heute möchte ich mal darüber schreiben, wie ich auf die Idee gekommen bin, Geschichten aus der Sicht meines Hundes zu erzählen. Wer selbst einen Hund oder eine Katze hat, wird wissen, was ich meine, wenn ich sage, dass die Tiere quasi alles verstehen. Wenn man sich intensiv mit seinem Vierbeiner beschäftigt, merkt man, dass das Tier auf seine Art versucht, mit seinen Menschen zu kommunizieren. Sei es beim Füttern – wenn die Zeit dafür schon überfällig ist – oder dass der Hund mal Gassi gehen muss, unsere Lieblinge versuchen uns dieses mit eindeutigen Gesten mitzuteilen. Andersrum genauso: Wenn wir immer dieselben „Schlagworte“ benutzen, können unsere Vierbeiner sich diese merken und der jeweiligen Bestimmung zuordnen. Als Beispiel: Wenn ich zu meinem Hund sage, „Alvaro, Gassi gehen“, weiß dieser genau Bescheid und läuft voller Erwartung zur Wohnungstür. Oder bei „Alfi Leckerchen“ geht dieser zu seinem eigens dafür vorgesehenen Napf. Wenn wir Menschen zu Abend essen und er bettelnd zwischen meinen Füßen sitzt und von mir ein „Alfi nein“ als Kommando kommt, trollt er sich laut seufzend in sein Körbchen, so als wollte er sagen: „Schade, dann halt nicht.“ Genauso teilt er uns mit, wenn er spielen will. Er kommt dann mit einem Ball oder einem seiner Stofftiere in der Schnauze zu mir oder den Kindern, legt das jeweilige Spielzeug vor unsere Füße und bellt denjenigen, mit dem er spielen will, erwartungsvoll an. Sollte keiner Zeit oder Lust haben, spielt er halt mit sich und seinem Spielzeug selbst, indem er dieses mit seiner Schnauze in die Luft wirbelt und versucht es wieder aufzufangen. Genauso hat es uns fasziniert, wie Alvaro uns bei unseren alltäglichen Tätigkeiten, den Hausarbeiten, der Freizeitgestaltung und so weiter, meist aufmerksam beobachtet. So manches Mal kam bei mir die Frage auf, was dieser Hund jetzt wohl denkt. Irgendwann kam ich dann auf diese Idee, Geschichten, die auch wirklich passiert sind, aus seiner Sicht zu schreiben.

Als Verkäufer fest angestellt

EIN TEXT AUS DER SCHREIBWERKSTATT

Von Marin Iorga

Ich bin seit Januar 2025 als BISS-Verkäufer fest angestellt. Die BISS verkaufe ich schon seit März des letzten Jahres in Starnberg und Wolfratshausen. Gebürtig bin ich aus Rumänien, aus der Hauptstadt Bukarest. 1990 bin ich dann als Asylsuchender nach Deutschland gekommen, das war kurz nach dem Sturz von Ceausescu. Ich habe als Lkw-Fahrer gearbeitet und beim Bau und dann später in Berlin eine Straßenzeitung verkauft. Anfang 2024 bin ich nach München gekommen, und weil ich schon in Berlin verkauft habe, habe ich mich hier bei BISS beworben. Mit den Menschen hier habe ich sehr viele gute Erfahrungen gemacht.

Meine erste Wahl

EIN TEXT AUS DER SCHREIBWERKSTATT

von Zuheir Takiyan

Ich habe noch gar nicht so lange einen deutschen Pass. Dieses Mal darf ich das erste Mal bei der Bundestagswahl wählen. Ich habe mich schon erkundigt, welche Parteien es gibt. Aber es ist nicht so einfach, weil ich mich von Grund auf neu informieren muss. Ich informiere mich über das Internet, hauptsächlich bei Youtube und Facebook. Für mich ist wichtig, was eine Partei für Ausländer macht. Ob sie für oder gegen Abschiebungen ist. Außerdem will ich wissen, wie die Partei zur Religion steht. Ich bin Christ. Und ich möchte, dass eine Partei dem christlichen Glauben gegenüber offen ist. Ich möchte, dass die Partei, die ich wähle, den Armen auf der Straße hilft. Ich möchte, dass niemand auf der Straße leben muss. Ich mag keine Politiker, die den Menschen Dinge versprechen, die sie dann nicht einhalten. Gute Politik muss ehrlich sein. Es braucht Politiker, die sich wirklich für ihr Land ins Zeug legen. Ich habe in meinem Leben bisher nur einmal gewählt. Das war noch im Irak. Deshalb ist es für mich jetzt wie ein Geschenk, dass ich wählen kann. Auch meine ganze Familie wird jetzt wählen. Es ist wirklich ein Privileg. Ich hoffe, dass es hier nicht so ist wie in dem Sprichwort, das ich aus dem Irak kenne. Dort heißt es: Die Parteien zerstören unsere Häuser und dann bauen wir neue für sie. So richtig vertraut man der Politik also nicht. In Deutschland findet die Wahl immer an einem Sonntag statt. Im Irak meist an einem Arbeitstag, an dem aber alle freibekommen, um zur Wahl gehen zu können. Oft sieht man dort auf Fotos nach der Wahl, dass die Menschen einen violetten oder schwarzen Finger haben. Das passiert in Ländern, in denen es nicht überall einheitliche Dokumente gibt oder nicht jeder Dokumente hat. Um zu verhindern, dass Leute doppelt wählen, wird ihr Finger mit spezieller Wahltinte markiert. Meist ist es der Zeigefinger. Auch mein Finger war damals schwarz. Man kann diese Wahltinte nicht sofort abwaschen. Das ist ja auch der Sinn der Sache. Aber mit Seife geht die Farbe nach ein paar Tagen weg. Es ist in Deutschland also einiges anders als bei meiner letzten Wahl im Irak. Eines aber ist gleich, egal ob in Deutschland oder dem Irak: Am Wahltag muss ich mich entscheiden, wem ich meine Stimme gebe.

Man darf die Anstrengung nicht vermeiden

EIN TEXT AUS DER SCHREIBWERKSTATT

von Tibor Adamec

Wenn ich zur Arbeit aufbreche, habe ich einen Handkoffer. In den passen gut 30 BISS-Magazine und was ich so tagsüber brauche. Er wiegt ungefähr acht bis neun Kilogramm. Jetzt könnte ich mir ein Rollwägelchen besorgen, den Koffer draufschnallen und mir so den Weg zum Marienplatz bequemer machen. Das tue ich nicht, ich trage den Koffer. Als Sportler weiß ich, wie wichtig es ist, dass man den Körper belastet und die Muskeln trainiert. Die Muskulatur baut sonst schneller ab, als man sie durch Training wieder aufbauen kann. Ich bin als junger Mann im Winter beim Militär bei minus zehn Grad 3.000 Meter gelaufen, habe dann Lockerungsübungen gemacht, bin reingegangen, habe mich geduscht, bin zum Essen und dann zum Dienst. Als ich noch jünger war, bin ich immer in Solln gelaufen, ohne Hemd und Unterhemd bei Temperaturen bis minus 17 Grad. Einmal hat mich die Polizei angehalten, die haben geglaubt, ich wäre betrunken, dabei habe ich nie Alkohol angerührt. Wenn man bei so tiefen Temperaturen läuft, friert man nicht, nur wenn man stehen bleibt. Der Körper produziert beim Laufen genug Wärme. Ich bin jetzt 87 Jahre und war noch nie krankgeschrieben. Man muss der Krankheit davonlaufen, wenn du stehen bleibst, dann holt sie dich ein.