Ausgeraubt

EIN TEXT AUS DER SCHREIBWERKSTATT

Von Sorin Moga

Seit einigen Jahren lebe ich auf der Straße. Zwar hatte mich BISS in einer Wohngemeinschaft untergebracht, aber ich kam mit meinem Mitbewohner nicht zurecht. Um Streit aus dem Weg zu gehen, bin ich ausgezogen, seitdem bin ich obdachlos. Vielleicht hatte ich damals nicht recht gehabt, so zu handeln, es tut mir leid, aber ich bin auch nur ein Mensch, der Fehler macht. Möglicherweise kriege ich noch die Gelegenheit, irgendwo zu wohnen, vielleicht auch allein. Im April wurde ich leider Opfer eines Diebstahls. In der Nacht, als ich schlief, ich weiß nicht, zu welcher Zeit und wer es war, durchsuchte jemand meine Jacken- und Hosentaschen, im Glauben, ich hätte dort Geld. Das hatte ich jedoch woanders. Meine ganzen Papiere waren aber in einer Hosentasche. Als ich um vier morgens aufwachte, bemerkte ich, dass sie mir gestohlen worden waren. Am Vormittag ging ich gleich ins BISS-Büro. Ein Mitarbeiter von BISS half mir, neue Karten für die Krankenversicherung, die Bank und den MVV zu bekommen. Nur einen neuen Personalausweis konnte ich noch nicht beantragen, dafür muss ich nach Rumänien reisen. Das werde ich im August tun, wenn wir von BISS den Monat bezahlt bekommen, um Urlaub zu machen. Bis dahin nutze ich als Ersatz die Bescheinigung über die Erstattung einer Anzeige, die ich von der Polizei erhalten habe und auf der meine persönlichen Daten stehen, sowie eine Kopie des Ausweises, die zum Glück im BISS-Büro hinterlegt gewesen war. Ich bin sehr dankbar, dass mir BISS bei der Beschaffung meiner Dokumente so zur Seite gestanden hat.

Ein Dreirad mit 41 Jahren

EIN TEXT AUS DER SCHREIBWERKSTATT

von Jasmin Nejmi

Ich habe Fahrradfahren, verglichen mit anderen Kindern, erst spät gelernt, mit sieben Jahren. Dann aber hat es mir schnell viel Freude bereitet. Bei jedem Wetter war ich damit unterwegs, sogar freihändig bin ich gefahren. Leider wurde mir das Rad irgendwann geklaut, worüber ich sehr traurig war. Später, als Erwachsene, bekam ich von meiner Kirchengemeinde ein neues geschenkt. Ich hatte wieder viel Spaß damit, doch leider wurde es mir abermals geklaut. Damals dachte ich: Jetzt lasse ich es bleiben, ich habe einfach kein Glück mit Fahrrädern. Doch dann habe ich von meiner Betreuerin bei der Schuldnerberatung den Tipp bekommen, dass es noch Stiftungsmittel gibt, auf die man sich bewerben kann, und dass ich mir damit ein neues Rad kaufen könnte. Da ich es allein raus aus meinen Schulden geschafft habe, schlug sie mich für das Programm vor. Ich kann wegen meiner MS-Erkrankung nicht mehr Fahrrad fahren, aber ein Lastenrad mit drei Rädern kann ich steuern. Tatsächlich bekam ich das nötige Geld und konnte mir in einem Geschäft in Feldkirchen ein Lastenrad aussuchen. Es hat vorne ein Rad und hinten zwei, über denen der große Gepäckträger angebracht ist. Der einzige Nachteil ist die etwas hässliche Farbe irgendwo zwischen Gold und Beige. Dafür hat das Rad zwei Schlösser, die es vor einem Diebstahl schützen. Das Gefährt bringt mich zum Ostbahnhof, zum Arzt oder zur Krankengymnastik. Dank des großen Gepäckträgers kann ich auch Katzenstreu oder Katzenfutter transportieren. Als ich kürzlich einen Platten hatte und das Rad bis zur Reparatur nicht nutzen konnte, habe ich erst gemerkt, was mir fehlt, wenn es mal nicht da ist. Jetzt kann ich aber zum Glück wieder damit fahren.

Abschied von einem lieben Kollegen

Ein Text aus der schreibwerkstatt

von Wolfgang „Butzi“ Kurz

Er war einer der besten Kollegen, die ich hatte, fast wie ein Freund. Toni hieß er, und was die Rechtschreibung angeht, war er sehr viel begabter als ich. Seine Kundschaft liebte seine Artikel, auch wenn er nicht so viel schrieb wie ich. Doch seine Artikel blieben den Menschen in Erinnerung. Zum Beispiel der, in dem er über eine Frau schrieb, die er sehr liebte. Oder der, in dem er über den Tod dieser Frau schrieb. Er wollte schon aufhören mit dem Schreiben, aber ich machte ihm vor ein paar Jahren Mut, dass er weitermachen soll. Das tat er auch. Jetzt ist er gestorben, mit 63. Er hatte es am Herzen. Vielleicht hat er den Kummer über den Verlust seiner großen Liebe nie verkraftet. Aber wer weiß es schon, nur der Papa im Himmel! So geh’ hin in Frieden, lieber Toni, und mach’s gut.

Schicksalstag 16. April

EIN TEXT AUS DER SCHREIBWERKSTATT

von Pietro Dorigo

Bis letztes Jahr hatte der 16. April in meinem Leben eine traurige Bedeutung. An diesem Tag ist vor vielen, vielen Jahren mein Opa Amadeo mit 69 Jahren gestorben. Am 16. April 1990 ist leider auch mein Vater gestorben, ebenfalls mit 69 Jahren. Seit dem Tod meines Vaters habe ich mich immer wieder gefragt, manchmal im vollen Ernst, manchmal weniger ernsthaft: „Wann bin ich dran?“ Ich habe gleich kalkuliert, dass es am 16.4.2023 passieren müsste, wenn ich selbst 69 Jahre alt wäre. Bis Ende der 90er-Jahre hat mich dieses Datum immer mal beschäftigt, aber dann habe ich nicht mehr so oft daran gedacht. Ab 2020 kam mir der Gedanke wieder öfter. Seit März 2023 habe ich fast jeden Tag daran gedacht und mich gefragt: „Bin ich jetzt dran oder noch nicht?“ Am 15. April letzten Jahres war ich ganz normal zu Hause und es war mir vollends bewusst, dass morgen der besagte Tag sein würde. Der 15. war ein Samstag und Gott sei Dank musste ich am Tag danach keine BISS verkaufen. Ich bin die ganze Nacht wach geblieben, einzige Gesellschaft war meine Freundin Carmensita, eine italienische Kaffeemaschine. Sie hat mich die ganze Nacht wachgehalten. Gegen halb sechs am Sonntagmorgen wurden die Gedanken immer ernster, weil mein Opa gegen halb sieben gestorben war und mein Vater kurz nach sieben. Immerzu habe ich auf die Uhr geschaut und Kaffee getrunken. Als es halb acht wurde, habe ich unbeabsichtigt einen lauten Befreiungsschrei losgelassen, den, glaube ich, beide Nachbarn gehört haben. Ich weiß nicht, was sie dachten, aber ein paar Tage später habe ich einen von ihnen getroffen, der zu mir sagte: „Hast du laut geträumt?“ Ich antwortete ihm nur „Gott sei Dank!“, ohne ihm eine weitere Erklärung zu geben. Einige Zeit später habe ich mich an eine andere Begebenheit erinnert: Vor langer Zeit, ich war noch sehr jung, vielleicht 15 oder 16, hatte mir ein Magier aus meiner Gegend, der ebenfalls den Namen Pietro trug, ein langes Leben vorausgesagt. Über 90 Jahre alt sollte ich werden. Heute denke ich, vielleicht hat er recht gehabt.

Einfach kann jeder

EIN TEXT AUS DER SCHREIBWERKSTATT

von Olaf Grunow

Seit wir verheiratet sind, ist unser Leben bunter und schöner geworden. Das heißt aber nicht, dass es einfacher geworden ist. Da sind zum Beispiel Ärgernisse mit Ämtern, aber auch Krankheiten und Operationen. Meine Frau wird nun zum zweiten Mal am Herzen operiert und wir hoffen, dass diese OP gut verläuft. Auch bei mir steht eine Operation an, dieses Mal an den Augen: Ich muss mich einer Hornhauttransplantation unterziehen und meinen Grauen Star behandeln lassen. Aber auch das wird hoffentlich gut gehen. Ansonsten versuchen wir gerade, immer öfter nach Berlin zu meiner 86-jährigen Mutter zu fahren, denn keiner weiß, wie lange sie noch hat. Außerdem freuen wir uns, bei dieser Gelegenheit auch jedes Mal meine Geschwister zu sehen. Wie viele von Ihnen schon wissen, stamme ich aus einer Großfamilie mit sieben Geschwistern. Trotz der großen Entfernungen ist unser Verhältnis untereinander sehr liebevoll. Wir halten immer zusammen – so, wie es eigentlich auch sein sollte. Deswegen sind wir auch Silvester 2023/2024 wieder nach Berlin zu unserer Familie gefahren. Es war ein tolles Fest mit reichlich Essen: So gab es etwa Kartoffelsalat mit Würstchen, Soljanka und eine selbst gemachte kalte Platte mit verschiedenen Belägen. Doch am schönsten war, dass wir als Familie zusammenkamen. Meine Mutter hielt von 18 Uhr bis vier Uhr morgens durch, und das in ihrem Alter! Meine Frau wurde von meiner Familie von Anfang an herzlich aufgenommen. Wir werden die Hürden des Lebens weiterhin meistern, denn wir haben uns. Doch auch Sie tragen einen Teil dazu bei