Was verlängert das Leben? 

EIN TEXT AUS DER SCHREIBWERKSTATT

von Thabit Gorgies Dinha

Ein Prinz träumte davon, immer ein starker, junger Mann zu sein und niemals alt zu werden. Also bat er seinen Weisen, ihm Medizin zu besorgen, die ihn für immer jung hält. Der Weise machte sich auf, um in Städten und Dörfern nach Medikamenten zu suchen. Als er wieder einmal in ein Dorf kam und nicht fündig wurde, rieten ihm die Dorfbewohner, auf den Gipfel des nahen Berges zu gehen und mit den beiden Brüdern zu reden, die dort wohnten. Kurz vor Sonnenuntergang kam der Weise am Gipfel an. Dort sah er zwei Häuser. Das erste Haus war klein und unordentlich. Vor der Tür saß ein alter Mann. Der Weise grüßte ihn und fragte, ob er bei ihm übernachten könne. Da rief schon die Frau aus dem Haus: „Wir haben keinen Platz für Gäste. Gehen Sie woandershin!“ Da ging der Weise zum zweiten Haus. Es war schön und ordentlich, umgeben von Blumen und Bäumen, in denen Vögel zwitscherten. Vor dem Haus saß ein junger Mann, begrüßte ihn und rief ins Haus: „Heute haben wir einen Gast!“ Der junge Mann und seine Frau bereiteten dem Weisen den schönsten Empfang und in der Nacht ein warmes Bett. Am nächsten Tag fragte der Weise: „Warum bist du jung und dein Bruder so alt?“ Da lachte der junge Mann und sagte: „Du irrst. Er ist mein kleiner Bruder, ich bin sogar zwanzig Jahre älter als er!“ Da bat ihn der Weise, ihm sein geheimes Kraut der Jugend zu verraten, und versprach, ihm alles im Austausch dafür zu
geben, was er sich wünschte. Der Mann aber antwortete: „Es ist kein Essen und kein Kraut, das mich jung und gesund hält. Der Grund ist, dass ich meine Frau gefunden habe und wir uns mit Barmherzigkeit, Zärtlichkeit, Respekt und Wertschätzung begegnen.“ Diese Geschichte gefällt mir sehr, weil sie zeigt, dass man mit Respekt in der Partnerschaft und als gutes Team immer weiterkommt. Außerdem ist man seinen Kindern damit ein gutes Vorbild. In jeder Familie gibt es Probleme, aber das Fundament für alles ist die Liebe. Wenn es die Liebe gibt, gibt es alles: Toleranz und Verzeihung. Wenn die Liebe einmal vorbei ist, sollte man sich trennen ohne Hass. Das Leben ist eben so.

Die gestohlene Uhr

EIN TEXT AUS DER SCHREIBWERKSTATT

von Thabit Gorgies Dinha

Folgende Geschichte ist mir zugetragen worden: Bei einer Hochzeitsfeier hat einer der Gäste seinen ehemaligen Grundschullehrer getroffen und ihn gleich umarmt. Der Lehrer erwiderte, dass er ihn nicht kenne. Woraufhin ihm der Schüler erzählte: „Wie, Sie erkennen mich nicht? Ich war vor 35 Jahren ihr Schüler. Damals passierte eine für mich schmerzhafte Geschichte. Wissen Sie noch, wie einem Mitschüler eine Uhr gestohlen worden war? Sie haben dann gesagt, alle sollen zur Wand gehen und sich umdrehen, damit Sie unsere Taschen durchsuchen können. Ich zitterte und hatte Angst, denn ich hatte die Uhr gestohlen. Ich wusste, dass ich als Dieb vor allen Schülern und Lehrern bloßgestellt werden würde. Mein Ruf wäre für alle Zeit ruiniert. Nachdem Sie aber die Uhr bei mir gefunden haben, haben Sie nicht aufgehört, sondern auch die übrigen Schüler durchsucht. Erst dann haben Sie die Uhr dem Bestohlenen zurückgegeben. Nie haben Sie mit mir geschimpft. Ich habe keinerlei Tadel erfahren. Meine ganze Schulzeit habe ich hin und her überlegt, ob ich meine Tat Ihnen oder dem Direktor beichten soll. Ich hab es nicht getan, aber ich habe mir geschworen, nie wieder in meinem Leben etwas zu stehlen.“ Nun erinnerte sich der Lehrer und erklärte seinem Schüler: „Erinnerst du dich auch, dass ihr eure Augen schließen musstet? Nicht nur ihr konntet nichts sehen, auch ich habe meine Augen geschlossen, damit ich nicht weiß, wer der Dieb ist.“ Der Schüler bedankte sich dafür, dass der Lehrer ihn nicht bloßgestellt hatte. Der Lehrer klopfte seinem Schüler auf die Schulter. Was ich aus der Geschichte gelernt habe, ist, dass man nicht voreilig ein Geheimnis lüften sollte.

Ausgeraubt

EIN TEXT AUS DER SCHREIBWERKSTATT

Von Sorin Moga

Seit einigen Jahren lebe ich auf der Straße. Zwar hatte mich BISS in einer Wohngemeinschaft untergebracht, aber ich kam mit meinem Mitbewohner nicht zurecht. Um Streit aus dem Weg zu gehen, bin ich ausgezogen, seitdem bin ich obdachlos. Vielleicht hatte ich damals nicht recht gehabt, so zu handeln, es tut mir leid, aber ich bin auch nur ein Mensch, der Fehler macht. Möglicherweise kriege ich noch die Gelegenheit, irgendwo zu wohnen, vielleicht auch allein. Im April wurde ich leider Opfer eines Diebstahls. In der Nacht, als ich schlief, ich weiß nicht, zu welcher Zeit und wer es war, durchsuchte jemand meine Jacken- und Hosentaschen, im Glauben, ich hätte dort Geld. Das hatte ich jedoch woanders. Meine ganzen Papiere waren aber in einer Hosentasche. Als ich um vier morgens aufwachte, bemerkte ich, dass sie mir gestohlen worden waren. Am Vormittag ging ich gleich ins BISS-Büro. Ein Mitarbeiter von BISS half mir, neue Karten für die Krankenversicherung, die Bank und den MVV zu bekommen. Nur einen neuen Personalausweis konnte ich noch nicht beantragen, dafür muss ich nach Rumänien reisen. Das werde ich im August tun, wenn wir von BISS den Monat bezahlt bekommen, um Urlaub zu machen. Bis dahin nutze ich als Ersatz die Bescheinigung über die Erstattung einer Anzeige, die ich von der Polizei erhalten habe und auf der meine persönlichen Daten stehen, sowie eine Kopie des Ausweises, die zum Glück im BISS-Büro hinterlegt gewesen war. Ich bin sehr dankbar, dass mir BISS bei der Beschaffung meiner Dokumente so zur Seite gestanden hat.

Ein Dreirad mit 41 Jahren

EIN TEXT AUS DER SCHREIBWERKSTATT

von Jasmin Nejmi

Ich habe Fahrradfahren, verglichen mit anderen Kindern, erst spät gelernt, mit sieben Jahren. Dann aber hat es mir schnell viel Freude bereitet. Bei jedem Wetter war ich damit unterwegs, sogar freihändig bin ich gefahren. Leider wurde mir das Rad irgendwann geklaut, worüber ich sehr traurig war. Später, als Erwachsene, bekam ich von meiner Kirchengemeinde ein neues geschenkt. Ich hatte wieder viel Spaß damit, doch leider wurde es mir abermals geklaut. Damals dachte ich: Jetzt lasse ich es bleiben, ich habe einfach kein Glück mit Fahrrädern. Doch dann habe ich von meiner Betreuerin bei der Schuldnerberatung den Tipp bekommen, dass es noch Stiftungsmittel gibt, auf die man sich bewerben kann, und dass ich mir damit ein neues Rad kaufen könnte. Da ich es allein raus aus meinen Schulden geschafft habe, schlug sie mich für das Programm vor. Ich kann wegen meiner MS-Erkrankung nicht mehr Fahrrad fahren, aber ein Lastenrad mit drei Rädern kann ich steuern. Tatsächlich bekam ich das nötige Geld und konnte mir in einem Geschäft in Feldkirchen ein Lastenrad aussuchen. Es hat vorne ein Rad und hinten zwei, über denen der große Gepäckträger angebracht ist. Der einzige Nachteil ist die etwas hässliche Farbe irgendwo zwischen Gold und Beige. Dafür hat das Rad zwei Schlösser, die es vor einem Diebstahl schützen. Das Gefährt bringt mich zum Ostbahnhof, zum Arzt oder zur Krankengymnastik. Dank des großen Gepäckträgers kann ich auch Katzenstreu oder Katzenfutter transportieren. Als ich kürzlich einen Platten hatte und das Rad bis zur Reparatur nicht nutzen konnte, habe ich erst gemerkt, was mir fehlt, wenn es mal nicht da ist. Jetzt kann ich aber zum Glück wieder damit fahren.

Abschied von einem lieben Kollegen

Ein Text aus der schreibwerkstatt

von Wolfgang „Butzi“ Kurz

Er war einer der besten Kollegen, die ich hatte, fast wie ein Freund. Toni hieß er, und was die Rechtschreibung angeht, war er sehr viel begabter als ich. Seine Kundschaft liebte seine Artikel, auch wenn er nicht so viel schrieb wie ich. Doch seine Artikel blieben den Menschen in Erinnerung. Zum Beispiel der, in dem er über eine Frau schrieb, die er sehr liebte. Oder der, in dem er über den Tod dieser Frau schrieb. Er wollte schon aufhören mit dem Schreiben, aber ich machte ihm vor ein paar Jahren Mut, dass er weitermachen soll. Das tat er auch. Jetzt ist er gestorben, mit 63. Er hatte es am Herzen. Vielleicht hat er den Kummer über den Verlust seiner großen Liebe nie verkraftet. Aber wer weiß es schon, nur der Papa im Himmel! So geh’ hin in Frieden, lieber Toni, und mach’s gut.