Wie ich wohne

Wer wohnt wie? In der Kolumne geben Menschen aus dem BISS-Netzwerk Einblicke in ihren Wohnalltag. Sie erzählen, wie sie früher gelebt haben, wie sie momentan wohnen und was sie sich für die Zukunft erhoffen.

Protokoll FELICITAS WILKE

Foto: MARTIN FENGEL

Der Erzähler

„Gerade sind ein paar meiner Möbel mit Planen verdeckt, denn bald tut sich etwas in meiner Wohnung: Nach 23 Jahren kommt ein neuer Boden rein. 23 Jahre, genauso lange lebe ich schon in meiner Wohnung im Stadtteil Berg am Laim. Die Anlage wurde um das Jahr 2000 gebaut, ich gehörte zu den Ersten, die einzogen. Hier lebe ich bis heute auf 42 Quadratmetern, für die ich 370 Euro Warmmiete bezahle. Meine Wohnung hat einen kleinen Flur, ein Bad, ein großes Zimmer mit Küchenzeile und einen Balkon, wo ich im Sommer gern meine Zigaretten rauche. In dem Zimmer befindet sich in einer Nische mein Bett. In der Mitte des Raums stehen meine Couch, der Couchtisch, an dem ich auch esse, mein Fernseher und eine schöne, alte Anrichte, die ich von meinem ältesten Sohn bekomme habe. Darin habe ich Geschirr verstaut. In die kleinen Fensterscheiben auf den Schranktürchen habe ich Fotos reingesteckt – „wie so eine Oma“, schimpft meine Lebensgefährtin gern. Aber so habe ich viele Erinnerungsstücke immer im Blick, zum Beispiel das Hochzeitsbild meiner Schwester. In der Nische am anderen Ende des Zimmers habe ich meine Küche. Einen Ofen hat sie nicht, aber dafür eine Mikrowelle. Wenn ich allein zu Hause bin, mache ich aber meist ohnehin nur eine Brotzeit. Allein kochen lohnt sich nicht. Besucht mich meine Lebensgefährtin oder ich sie in ihrer Wohnung in Neuperlach, kochen wir aber schon, immer abwechselnd. Auch wenn ich seit mittlerweile mehr als 40 Jahren in München lebe, komme ich gebürtig aus Straubing. Ich bin in Ittling aufgewachsen, einem inzwischen eingemeindeten Dorf kurz vor Straubing. Später sind wir innerhalb der Stadt umgezogen. Wir waren neun Geschwister und lebten in einer Wohnung. Unser Pech, denn Familien ab zehn Kindern bekamen damals ein Haus gestellt. Ich war der Älteste, aber eher schüchtern. Nach der Schule habe ich drei Jahre lang eine Ausbildung zum Kfz-Mechaniker gemacht. Die Theorie lag mir nicht so sehr, aber geschafft habe ich meinen Abschluss trotzdem. An der Wand über meinem Sofa hängt bis heute mein Gesellenbrief. Eine Zeitlang habe ich auch in diesem Beruf gearbeitet, aber dann bin ich zur Bundeswehr, habe dort meinen Lkw-Führerschein gemacht und als Fahrer gearbeitet. In München ging es für mich zur Deutschen Post. Ich bestand sogar die Beamtenprüfung, doch damals verdienten Angestellte zu Beginn besser, weshalb ich mich nicht verbeamten ließ. Tja, heute bereue ich’s, aber es passt schon. Dann wurde ich krank. Ich bekam Angst- und Wahnzustände und lebte für eine Weile im Blauen Haus für psychisch Kranke. Dann kam ich zur BISS, wo ich seit 17 Jahren arbeite und seit 15 Jahren eigene Geschichten in der „Schreibwerkstatt“ zu Papier bringe. Das Schreiben ist mein Hobby geworden, genauso wie das Lesen. „Moby Dick“, zum Beispiel. Manchmal fühle ich mich einsam in meiner Wohnung, denn viele meiner Freunde sind schon gestorben. Aber dann denke ich an die vier Kinder, die ich dank meiner Lebensgefährtin habe, und an meine fünf Enkerl. Sie sind inzwischen groß, aber die Fotos an meinen Wänden erinnern mich an sie.“