BISS-Ausgabe Juli-August 2024 | Es blüht

Cover des BISS-Magazins Sommer 2024

Inhalt | Es grünt | Wir alle können München ein wenig grüner machen. Green City hilft dabei, dass der Anfang klappt. | 6 Grün statt grau: „Grünpat*innen“ machen München lebenswerter Haustür | 12 Es geht nicht nur um mehr Geld: Interview mit Anette Farrenkopf | 16 Kinderrathaus: Kinder gestalten die Stadt | 20 Boxen statt Knast: Die Work and Box Company hilft Jugendlichen zurück in die Gesellschaft | SCHREIBWERKSTATT| 5 Wie ich wohne | 26 BISS-Verkäufer*innen erzählen, was sie bewegt | Rubriken | 3 Editorial | 25 Patenuhren | 28 Freunde und Gönner | 30 Impressum, Mein Projekt | 31 Adressen

Wie ich wohne

Wer wohnt wie? In der Kolumne geben Menschen aus dem BISS-Netzwerk Einblicke in ihren Wohnalltag. Sie erzählen, wie sie früher gelebt haben, wie sie momentan wohnen und was sie sich für die Zukunft erhoffen.

Protokoll ANNELIESE WELTHER

Foto MARTIN FENGEL

Die mit den Farben spielt

Überall stehen Kräne und Bauzäune herum, nur die Straßen sind geteert, Gehsteige gibt es noch nicht. Das Viertel, in dem ich wohne, Freiham, befindet sich gerade im Aufbau. In meinem Haus fehlen Geländer, der Balkon vor meiner Haustür ist provisorisch mit Grobspanplatten befestigt. Auch drinnen in meiner Einzimmerwohnung ist alles nagelneu und in den Farben Weiß, Rot und Grau eingerichtet. Ich finde, die Kombination von Weiß und Rot erzeugt eine angenehme Stimmung. In Italien habe ich mal eine Wohnung in diesen Farben gesehen und war ganz angetan, nun bin ich froh, mich auch so einrichten zu können. Da ich zuvor in einer Pension wohnte, besaß ich beim Einzug keine Möbel und musste mir alles kaufen. Von BISS habe ich hierfür 1.500 Euro bekommen sowie auch Vorhänge, Lampen und eine kleine Küchenzeile. In der Pension war es mir in all der Enge nicht möglich, richtig zu kochen. Es ist toll, dass ich jetzt die Möglichkeit habe, Gäste zu bewirten und sie sogar bei mir übernachten zu lassen. So war vor Kurzem eine Freundin aus meinem Heimatland Rumänien da und hat mir Truthahnfleisch sowie selbst gemachte Marmeladen und Zacuscă mitgebracht, ein in Rumänien sehr beliebtes Mus aus Paprika, Auberginen und Tomaten. Mein gesamtes Gefrierfach ist voll von dem mitgebrachten Fleisch, das ich vor allem an Feiertagen zubereiten werde. Die Marmeladen und die Zacuscă lagere ich gemeinsam mit Kartoffeln, Zwiebeln und Knoblauch auf meinem Minibalkon, für mehr ist dort gar kein Platz. Neben der Balkontür in einem Regal sind ganz oben Fotos von meinen BISS-Kolleginnen und mir, darunter Familienfotos, auch von meinem Sohn, als er noch klein war, und ganz unten Heiligenbilder. Wenn ich nicht weiß, wie etwas funktioniert, zum Beispiel der Backofen oder die Waschmaschine, frage ich meinen BISS-Kollegen, der nur ein paar Türen weiter wohnt. So allein tue ich mir oft schwer, aber mir ist es unangenehm, den Kollegen ständig zu fragen. Zum Glück komme ich mit den anderen Nachbarn ebenfalls gut aus, sie haben mir zum Beispiel schon beim Einrichten des Internets geholfen. Es wohnen hier sehr nette Menschen, wir grüßen uns, selbst wenn wir uns nur aus der Ferne sehen. Als man mir sagte, dass ich diese Wohnung kriegen würde, konnte ich es nicht glauben; selbst als ich die Schlüssel bereits in den Händen hielt, wusste ich nicht, ob ich nicht doch träume. Für die immense Freude finde ich keine Worte. In Gedanken habe ich Gott gedankt. Jeden Tag, wenn ich nach Hause zurückkehre, bekomme ich richtig Gänsehaut. In der Wohnung ist alles, was ich brauche. Sogar mein mittlerweile 21-jähriger Sohn, der momentan eine Therapie macht, hat einen Schrank für später, wenn er wieder zu mir zieht. Nur eins muss ich mir noch zulegen: Teppiche. Ins Zimmer soll ein grauer und in den Eingangsbereich ein roter kommen.

Arbeiten und boxen statt Knast

Von BENJAMIN EMONTS
Fotos TOBY BINDER

Im Ring der Work and Box Company können die Jugendlichen nicht nur Energie abbauen, sondern lernen auch, die Deckung zu halten und nicht gleich wütend zu werden.

Standhaft bleiben. Die Deckung halten. Einstecken können, ohne gleich wütend zu werden. Das sind die ersten und wohl wichtigsten Lektionen, die der Sozialpädagoge Jürgen Zenkel seinen Schützlingen beim Boxen mit auf den Weg gibt. Im Ring, so seine Anweisung, neigen die Jugendlichen deshalb ihren Oberkörper leicht nach vorn, gehen mit den Beinen etwas in die Knie und halten ihre Fäuste zur Deckung vor das Gesicht. Das Ziel lautet stets: stabil stehen und stabil bleiben. Egal ob im Boxring – oder in der Welt da draußen. Denn genau damit haben die Jugendlichen die größten Probleme. Die Work and Box Company – so heißt das Projekt – ist inzwischen 21 Jahre alt. Sie nimmt sich junger Frauen und Männer im
Alter zwischen 15 und 21 Jahren an. Die meisten von ihnen sind gewaltbereit und bereits straffällig geworden. Sie kommen meist aus prekären familiären Verhältnissen und schleppen traumatische Erlebnisse mit sich herum, die zu Wut, Hass und Gewaltexzessen führen. Die Work and Box Company will diese Jugendlichen trotz aller Widrigkeiten zurück in ein geregeltes Leben führen: durch enge persönliche Betreuung, Arbeit, Unterricht – und eben auch Boxen.

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Ausgeraubt

EIN TEXT AUS DER SCHREIBWERKSTATT

Von Sorin Moga

Seit einigen Jahren lebe ich auf der Straße. Zwar hatte mich BISS in einer Wohngemeinschaft untergebracht, aber ich kam mit meinem Mitbewohner nicht zurecht. Um Streit aus dem Weg zu gehen, bin ich ausgezogen, seitdem bin ich obdachlos. Vielleicht hatte ich damals nicht recht gehabt, so zu handeln, es tut mir leid, aber ich bin auch nur ein Mensch, der Fehler macht. Möglicherweise kriege ich noch die Gelegenheit, irgendwo zu wohnen, vielleicht auch allein. Im April wurde ich leider Opfer eines Diebstahls. In der Nacht, als ich schlief, ich weiß nicht, zu welcher Zeit und wer es war, durchsuchte jemand meine Jacken- und Hosentaschen, im Glauben, ich hätte dort Geld. Das hatte ich jedoch woanders. Meine ganzen Papiere waren aber in einer Hosentasche. Als ich um vier morgens aufwachte, bemerkte ich, dass sie mir gestohlen worden waren. Am Vormittag ging ich gleich ins BISS-Büro. Ein Mitarbeiter von BISS half mir, neue Karten für die Krankenversicherung, die Bank und den MVV zu bekommen. Nur einen neuen Personalausweis konnte ich noch nicht beantragen, dafür muss ich nach Rumänien reisen. Das werde ich im August tun, wenn wir von BISS den Monat bezahlt bekommen, um Urlaub zu machen. Bis dahin nutze ich als Ersatz die Bescheinigung über die Erstattung einer Anzeige, die ich von der Polizei erhalten habe und auf der meine persönlichen Daten stehen, sowie eine Kopie des Ausweises, die zum Glück im BISS-Büro hinterlegt gewesen war. Ich bin sehr dankbar, dass mir BISS bei der Beschaffung meiner Dokumente so zur Seite gestanden hat.

Jubiläum hoch drei

Foto: Volker Derlath

Neulich, beim monatlichen Treffen aller BISSler, war es wieder so weit: Wir ehrten die Verkäuferinnen und Verkäufer, die schon lange bei BISS angestellt sind. Diesmal waren es drei – Gyulfatme Sali mit fünf, Pietro Dorigo mit 15 sowie BISS-Urgestein Christian Zimmermann mit sage und schreibe 25 Jahren Festanstellung. Was für ein besonderer Anlass und für mich eine der schönsten Tätigkeiten überhaupt, unseren Jubilaren in der großen Runde gratulieren zu dürfen. Es blieb aber nicht beim Händeschütteln mit der Geschäftsführung, sondern alle erhielten eine hübsch gerahmte Urkunde und einen Bonus auf ihr Bankkonto für ihre langjährige Treue. Für die Anwesenden war das ein bewegender Moment, denn alle wissen, wie viel Kraft und Mut jeder der drei aufbringen musste, um nach einer Krise wieder auf die Beine zu kommen. Keiner der drei muss auf der Straße oder in einer Notunterkunft übernachten, denn sie haben, auch mit Unterstützung ihres Arbeitgebers, bezahlbaren Wohnraum in München gefunden. Das ist möglich, weil BISS aus seinem Netzwerk großzügige Unterstützung erfährt, die wir an die hilfebedürftigen Menschen weitergeben. Ihnen allen ein großes Dankeschön dafür! Überhaupt war dieses Treffen, wie immer im großen Saal von St. Bonifaz, besonders gelungen. Wir hatten zum ersten Mal eine musikalische Begleitung durch Ariane Seiler am Klavier. Sie hatte sich auf unseren Aufruf im Frühjahr gemeldet und spielte selbst komponierte Stücke. Es war Zufall, dass sie die BISS in der Regel bei Frau Sali kauft, beide freuten sich über das unerwartete Zusammentreffen bei dieser Gelegenheit. Die monatlichen Treffen dienen dazu, miteinander ins Gespräch zu kommen und wichtige Infos weiterzugeben. Wir stellen dabei auch die aktuelle Ausgabe vor. Seit Kurzem geschieht das mittels Beamer und Übertragung auf eine große Leinwand, so haben alle eine gute Sicht. Bevor es dieses Jahr mit der Doppelnummer Juli/August in die Sommerpause geht, findet unser traditioneller Betriebsausflug statt. Der Reisebus ist schon bestellt und das Programm steht. Im August legen unsere angestellten Verkäufer erfahrungsgemäß eine Verkaufspause ein und machen Urlaub. Sie bekommen ihr Gehalt weiterbezahlt, ohne dafür arbeiten zu müssen – wie eben andere Angestellte auch. Mir gefällt es, wenn ich von ihren Reiseplänen und Zielen erfahre und merke, wie besonders diese Urlaubswochen sind und wie groß die Vorfreude ist.

Uns BISSlern und Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, wünsche ich einen schönen Sommer und erholsame Tage. Kommen Sie gesund wieder.


Karin Lohr, Geschäftsführerin