Etwas, das mir niemand wegnimmt

EIN TEXT AUS DER SCHREIBWERKSTATT

von Sanda Boca

Seit ich in Deutschland lebe und bei BISS arbeite, ist mein Lebenswunsch in Erfüllung gegangen, dafür bin ich sowohl den Käuferinnen und Käufern als auch allen Mitarbeitern von BISS sehr dankbar. Vorher kannte ich keine Freude. Als ich als Kind im Heim lebte, kamen Hilfsorganisationen aus Deutschland und brachten uns Geschenke, das heißt Süßigkeiten. Vielleicht brachten sie auch andere Dinge wie beispielsweise Kleidung, jedenfalls bekam ich nur die Süßigkeiten zu Gesicht. Wir Kinder freuten uns nicht über die Geschenke, was daran lag, dass uns die älteren Jungen alles wieder wegnahmen. Oftmals waren diese angestachelt worden von den Lehrern, die ihnen sagten: „Bring mir das, bring mir jenes.“ Nach der 12. Schulklasse hat man mich und die 23 anderen Kinder, mit denen ich aufgewachsen bin, im wahrsten Sinne des Wortes auf die Straße gesetzt. Uns blieb nur noch das, was wir am Leib trugen. Wir lebten auf der Straße, niemand kümmerte sich um uns, niemand half uns. Um uns durchzuschlagen, verdingten wir uns als Erntehelfer und erhielten dafür kein Geld, aber warmes Essen, worüber wir uns aber auch sehr freuten. Das waren ganz kleine Glücksmomente in einem Leben ohne Perspektive. Ein Mann versprach, uns nach Deutschland zu bringen, dort einen Schlafplatz und Arbeit zu besorgen, worauf ich mich einließ. Tatsächlich arbeitete ich in München zwei Monate lang als Reinigungskraft, ich habe Büros sauber gemacht. Allerdings gab es den versprochenen Schlafplatz nicht, ich musste auf der Straße übernachten und zum Essen war ich genötigt, zur Caritas zu gehen. Geld habe ich in dieser Zeit keines gesehen. Da beschloss ich, nicht mehr zu arbeiten, damit mir niemand mehr etwas wegnehmen kann, was mir zusteht. Fortan sammelte ich Flaschen. Über die Caritas habe ich erfahren, dass es eine Straßenzeitung in München gibt und seit 2016 bin ich dort fest angestellt. Ich erlebe dort, dass Geschenke zusätzlich sind, wie Geschenke zu Weihnachten oder zu Ostern, und freue mich ganz besonders, weil sie mir niemand mehr wegnimmt. Ein Geschenk ist auch meine Hündin Kora, die mir viel Freude bereitet und für mich wie ein eigenes Kind ist.

Hometreatment

„Wir sind bei den Patienten zu Hause, wir sind die Gäste“

Illustration: ELEANOR DAVIS

Von
BERNHARD
HIERGEIST

Menschen mit psychischen Erkrankungen können sich immer öfter auch zu Hause behandeln lassen. Eine Behandlungsform mit Vorteilen, die sich allerdings nicht für jeden eignet.

Man hat sich in der Covid-Pandemie daran gewöhnt, dass vieles zu Hause stattfindet – oder gar alles. Angestellte haben sich im Homeoffice eingerichtet, Schulunterricht und Konferenzen finden teilweise per Videotelefonat statt. Vom Wohnzimmer aus lassen sich Konzerte besuchen. Aber eine psychische Erkrankung in den eigenen vier Wänden behandeln lassen? Das wirkt doch noch ungewöhnlich, auch in diesen Zeiten. „Hometreatment“ lautet ein Schlagwort der jüngeren Vergangenheit, also „Behandlung zu Hause“. „Stationsäquivalente Behandlung“ (StäB) lautet ein anderes. Beides sind Behandlungsformen für Menschen mit psychischen Erkrankungen, jedoch gibt es ein paar feine und doch bedeutende Unterschiede. Und beide sind keine Begleiterscheinungen von Corona, wie man vielleicht vermuten würde. Es gibt sie schon länger, nur verbreitet sich diese Information eher langsam. Denn die psychiatrische Versorgung in Deutschland ist eben sehr kompliziert aufgebaut. Das kbo-Isar-Amper-Klinikum des Bezirks Oberbayern etwa bietet die StäB schon seit 2018 an. Dabei handelt es sich um eine „intensive aufsuchende akutpsychiatrische Behandlung“, wie Chefärztin Eva Ketisch erklärt. Patienten mit psychischen Erkrankungen werden dabei über einen Zeitraum von mehreren Wochen von einem Team aus Ärzten, Pflegekräften und Therapeuten behandelt – mit den gleichen therapeutischen Mitteln wie in einer Klinik, aber eben in ihrem Zuhause. „Auch wenn das Team täglich zu einem nach Hause kommt, leisten wir keine dauerhafte Betreuung“, sagt Ketisch. Die StäB habe einen akuten Anlass, ein klares Behandlungsziel und sei nach einigen Wochen abgeschlossen wie ein stationärer Aufenthalt.
Fünfzehn Mitarbeitende sind, ausgehend von der Station in der Lindwurmstraße, mit Autos und E-Bikes im Stadtgebiet unterwegs. Als grobe Daumenregel gilt: Die Patienten müssen in etwa 20 bis 30 Minuten erreichbar sein, damit das Team die Arbeitszeit nicht größtenteils im Auto verbringen muss. Knapp 20 Patienten können das StäB-Angebot gleichzeitig in Anspruch nehmen. Auch Corona hat daran nichts geändert: Wäh­rend der ersten Infektionswelle im Frühjahr 2020 sei die Arbeit etwas heruntergefahren worden, sagt Ketisch. Anschließend ging es mit Sicherheits-und Hygienemaßnahmen weiter wie zuvor.

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Ausstellung „BISS – Einblicke“

Für die Fotoserie „BISS – Einblicke“ hat der renommierte Fotograf Rainer Viertlböck (Interview im BISS-Magazin 12/2021) Wohnungen von BISS-Verkäuferinnen und –Verkäufern fotografiert. Ausgewählte Arbeiten aus dieser Serie sind wieder ab 10. Januar bis Ende Februar 2022 im Münchner Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in der Herzog-Wilhelm-Straße 1 zu sehen. Aktuelle Öffnungszeiten finden Sie unter fes.de/fes-in-bayern.

Ganz neu entstanden ist ein Kurzfilm mit Kommentaren von BISS-Verkäuferinnen und –Verkäufern zu ihrer Wohnsituation, den wir Ihnen ans Herz legen möchten:

https://youtu.be/Xs6NDGB3lTg

Ausstellung und Führungen

Noch bis 25. Februar 2022 / wochentags 9.00-16.00 Uhr

Führungen 27. Jan., 4. Feb. und 18. Feb. 2022 / 16.00-17.00 Uhr

Die aktuellen Öffnungszeiten und den Link zur Anmeldung für eine der Führungen
finden Sie unter
http://fes.de/fes-in-bayern

BISS auf der Langen Nacht der Demokratie

BISS-Geschäftsführerin Karin Lohr und BISS-Verkäufer Wolfgang Räuschl in einer Riesenradgondel bei der Langen Nacht der Demokratie

Ein Job, ein Dach über dem Kopf, Kontakt zu Anderen und Wertschätzung – das sind die Dinge, die Menschen in der Gesellschaft halten. Wie es ist, nicht mehr dazu zu gehören und was Politiker*innen von armen oder obdachlosen Menschen lernen können, davon haben BISS-Geschäftsführerin Karin Lohr und BISS-Verkäufer Wolfgang Räuschl im Himmel über München bei der Langen Nacht der Demokratie 2021 erzählt. BISS nahm als Mitglied des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes in Bayern teil.

https://www.youtube-nocookie.com/embed/d000hsSo0Qg

https://www.paritaet-bayern.de/themen/zivilgesellschaft-und-demokratie/demokratie-staerken/weilallezaehlen/

Wie ich wohne

Wer wohnt wie? In der Kolumne geben BISS-Verkäuferinnen und -Verkäufer Einblicke in ihren Wohnalltag. Sie erzählen, wie sie früher gelebt haben, wie sie momentan wohnen und was sie sich für die Zukunft erhoffen.

Protokoll IRINI BAFAS

Die Ordentliche

Foto: Martin Fengel

„Ich bin sehr, sehr zufrieden mit meiner neuen Wohnung. Seit etwa einem Jahr wohne ich in Bogenhausen und ich finde gar keine Worte dafür, wie gut es mir jetzt geht. Das Gebäude ist ganz neu, alles hier funktioniert. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich WLAN! Die Wohnung ist 26 Quadratmeter groß und besteht aus nur einem Zimmer. Ich habe ein Bett, ein Sofa, einen Couchtisch, einen Fernseher, ein Regal und eine Küchenzeile mit einem richtig schönen Herd. Das Bad gehört mir allein, ich muss es mit niemandem teilen. Die Möbel waren schon da, als ich eingezogen bin, BISS hat sie besorgt. Ich bin in Bulgarien aufgewachsen. Dort habe ich mit meiner Familie in einem Haus gelebt, in dem es nichts gab. Kein warmes Wasser, keine Heizung, kein Bad, nicht mal eine Kanalisation. Früher habe ich als Schneiderin gearbeitet, aber leider hat das Geld trotzdem nicht gereicht. Also bin ich vor über 13 Jahren mit meinem Bruder und seiner Familie nach München gekommen. Fast zehn Jahre lang habe ich in einem Hotel geputzt und durfte dort auch eine Weile wohnen. Irgendwann hat mich der Chef rausgeschmissen, weil ich krank wurde und für längere Zeit ausgefallen bin. Das hier ist jetzt meine vierte Wohnung und mit Abstand die beste. Zwischendurch habe ich in einer Unterkunft gelebt, in der ich mir das Zimmer mit einer Frau teilen musste. Das war sehr unangenehm. Sie hat viel getrunken, ist ständig nachts aufgestanden, hat das Licht angemacht und ist mitten in der Nacht duschen gegangen. Mir ging es zu der Zeit total schlecht, ich war krank, hatte Asthma und Rückenprobleme. Danach zog ich in eine Wohnung, die mir das Jobcenter zugewiesen hatte. Das Zimmer war in Ordnung, aber ich musste mir das Bad und die Toilette mit anderen Bewohnern teilen, und es war oft kalt. Die Menschen dort waren krank und auch mir ging es noch nicht gut. Ich wollte weg und dort wohnen, wo ich meine Ruhe habe. Meine jetzige Wohnung hat mir BISS vermittelt. Nachdem ich fast ein Jahr lang Zeitschriften verkauft habe, kam der Chef zu mir und sagte: „So, ich habe eine Wohnung für Sie.“ Ich war so glücklich. Die Wohnung gehört der Wohnbaugenossenschaft Wogeno und kostet 370 Euro Miete. Sie ist perfekt für mich. Hier kann ich endlich in Ruhe auf dem Sofa sitzen und meinen Kaffee trinken, ohne dass mich jemand stört. Das Einrichten der Wohnung ging schnell, ich brauche nicht viel Kram. Vor Kurzem habe ich mir zwei Kissen mit Leoparden darauf gekauft und einen Teppich mit Glitzer. Ansonsten besitze ich vor allem praktische Dinge: eine schöne Teekanne und die dazu passenden Porzellantassen, die ich in einem Secondhand-Laden in der Nähe gefunden habe. Einen Toaster, einen Sandwichmaker und das Wichtigste: eine Kaffeemaschine. Das Sofa habe ich mit Blümchen-Bettwäsche verschönert. Ich bin ein sehr ordentlicher Mensch. Bei mir ist es immer aufgeräumt und ich liebe es, zu putzen. Das war schon immer so, egal wo und wie ich gelebt habe. Mein Bad ist immer sauber, und wenn ich Besuch bekomme, fällt den Leuten auf, wie gepflegt hier alles ist. Viele Menschen sagen mir, dass das die sauberste Wohnung sei, die sie je gesehen haben. Das ist für mich ein großes Kompliment.