BISS-Ausgabe März 2024 | Chancen

Cover des BISS-Magazins März 2024

Inhalt | Chancen | Das Leben ist nicht immer gerecht, aber es gibt Hilfsangebote, um sich neue Chancen zu eröffnen | 6 Angehende Lehrer in Not: Warum sich viele dennoch keine Hilfe holen | 10 Herzogsägmühle: Ein guter Ort zum Leben | 16 Faktencheck: Was bekommen Geflüchtete bei uns wirklich| 20 Mittelschulabschluss für alle: Chancen auf ein selbstständiges Leben | SCHREIBWERKSTATT | 5 Wie ich wohne | 24 BISS-Verkäufer*innen erzählen, was sie bewegt | Rubriken | 3 Editorial | 26 Patenuhren | 27 Freunde und Gönner | 30 Impressum, Mein Projekt | 31 Adressen

Wie ich wohne

Wer wohnt wie? In der Kolumne geben Menschen aus dem BISS-Netzwerk Einblicke in ihren Wohnalltag. Sie erzählen, wie sie früher gelebt haben, wie sie momentan wohnen und was sie sich für die Zukunft erhoffen.

Protokoll FELICITAS WILKE

Foto: MARTIN FENGEL

Der Erzähler

„Gerade sind ein paar meiner Möbel mit Planen verdeckt, denn bald tut sich etwas in meiner Wohnung: Nach 23 Jahren kommt ein neuer Boden rein. 23 Jahre, genauso lange lebe ich schon in meiner Wohnung im Stadtteil Berg am Laim. Die Anlage wurde um das Jahr 2000 gebaut, ich gehörte zu den Ersten, die einzogen. Hier lebe ich bis heute auf 42 Quadratmetern, für die ich 370 Euro Warmmiete bezahle. Meine Wohnung hat einen kleinen Flur, ein Bad, ein großes Zimmer mit Küchenzeile und einen Balkon, wo ich im Sommer gern meine Zigaretten rauche. In dem Zimmer befindet sich in einer Nische mein Bett. In der Mitte des Raums stehen meine Couch, der Couchtisch, an dem ich auch esse, mein Fernseher und eine schöne, alte Anrichte, die ich von meinem ältesten Sohn bekomme habe. Darin habe ich Geschirr verstaut. In die kleinen Fensterscheiben auf den Schranktürchen habe ich Fotos reingesteckt – „wie so eine Oma“, schimpft meine Lebensgefährtin gern. Aber so habe ich viele Erinnerungsstücke immer im Blick, zum Beispiel das Hochzeitsbild meiner Schwester. In der Nische am anderen Ende des Zimmers habe ich meine Küche. Einen Ofen hat sie nicht, aber dafür eine Mikrowelle. Wenn ich allein zu Hause bin, mache ich aber meist ohnehin nur eine Brotzeit. Allein kochen lohnt sich nicht. Besucht mich meine Lebensgefährtin oder ich sie in ihrer Wohnung in Neuperlach, kochen wir aber schon, immer abwechselnd. Auch wenn ich seit mittlerweile mehr als 40 Jahren in München lebe, komme ich gebürtig aus Straubing. Ich bin in Ittling aufgewachsen, einem inzwischen eingemeindeten Dorf kurz vor Straubing. Später sind wir innerhalb der Stadt umgezogen. Wir waren neun Geschwister und lebten in einer Wohnung. Unser Pech, denn Familien ab zehn Kindern bekamen damals ein Haus gestellt. Ich war der Älteste, aber eher schüchtern. Nach der Schule habe ich drei Jahre lang eine Ausbildung zum Kfz-Mechaniker gemacht. Die Theorie lag mir nicht so sehr, aber geschafft habe ich meinen Abschluss trotzdem. An der Wand über meinem Sofa hängt bis heute mein Gesellenbrief. Eine Zeitlang habe ich auch in diesem Beruf gearbeitet, aber dann bin ich zur Bundeswehr, habe dort meinen Lkw-Führerschein gemacht und als Fahrer gearbeitet. In München ging es für mich zur Deutschen Post. Ich bestand sogar die Beamtenprüfung, doch damals verdienten Angestellte zu Beginn besser, weshalb ich mich nicht verbeamten ließ. Tja, heute bereue ich’s, aber es passt schon. Dann wurde ich krank. Ich bekam Angst- und Wahnzustände und lebte für eine Weile im Blauen Haus für psychisch Kranke. Dann kam ich zur BISS, wo ich seit 17 Jahren arbeite und seit 15 Jahren eigene Geschichten in der „Schreibwerkstatt“ zu Papier bringe. Das Schreiben ist mein Hobby geworden, genauso wie das Lesen. „Moby Dick“, zum Beispiel. Manchmal fühle ich mich einsam in meiner Wohnung, denn viele meiner Freunde sind schon gestorben. Aber dann denke ich an die vier Kinder, die ich dank meiner Lebensgefährtin habe, und an meine fünf Enkerl. Sie sind inzwischen groß, aber die Fotos an meinen Wänden erinnern mich an sie.“

Was bekommen Geflüchtete wirklich bei uns?

Von LISA WEISS

Illustration KATHARINA NOEMI METSCHL

Ob am Stammtisch oder in sozialen Medien – immer wieder kursieren Gerüchte, dass Asylbewerber, Ukrainerinnen oder Geduldete mehr Geld und mehr Leistungen bekommen als Deutsche. Was stimmt wirklich? Wir klären hier einige wichtige Fragen.

WAS IST DER UNTERSCHIED ZWISCHEN MIGRANTEN, FLÜCHTLINGEN UND GEDULDETEN?
Migrantinnen und Migranten sind einfach Menschen, die von einem Land in ein anderes ziehen – egal, aus welchen Gründen.
Asylbewerberinnen und -bewerber haben einen Asylantrag in Deutschland gestellt, sagen also, sie seien schutzbedürftig. Sie dürfen mindestens so lange in Deutschland bleiben, bis über ihren Asylantrag entschieden wurde.
Zu den Flüchtlingen gehören mehrere Gruppen: Zum einen Personen, die Asyl nach dem Grundgesetz bekommen, weil sie zum Beispiel wegen ihrer politischen Überzeugung oder ihrer Religion von ihrem Heimatstaat verfolgt werden. Zum anderen Menschen, die auf Basis der Genfer Flüchtlingskonvention geschützt werden – auch sie müssen belegen, dass sie verfolgt werden, es kann aber auch zum Beispiel eine Bürgerkriegspartei sein, die sie persönlich bedroht. Und dann gibt es noch den sogenannten subsidiären Schutz – den bekommen vor allem Menschen aus Kriegsgebieten. Alle drei Gruppen dürfen in Deutschland bleiben, Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz haben es aber schwerer, ihre Familie nachzuholen.
Geduldete sind dagegen Menschen, deren Asylantrag abgelehnt wurde, die also nicht hierbleiben dürfen, aber momentan nicht abgeschoben werden, zum Beispiel, weil sie krank sind oder weil sie keinen Pass haben.
Ein Sonderfall sind Geflüchtete aus der Ukraine. Sie müssen nicht das normale Asylverfahren durchlaufen, sondern bekommen deutlich unkomplizierter und schneller eine Aufenthaltserlaubnis für Deutschland.

WIE VIEL GELD BEKOMMEN ASYLBEWERBER?
Alleinstehende Asylbewerberinnen und -bewerber haben Anspruch auf 460 Euro pro Monat. Menschen, die in einer Partnerschaft leben, bekommen weniger – der Gesetzgeber geht davon aus, dass sie zusammen kochen und wirtschaften können und daher weniger Geld brauchen. Kinder bekommen je nach Alter zwischen 312 und 408 Euro. Davon müssen sie Essen, Getränke, Kleidung oder Schuhe ebenso kaufen wie Shampoo, Bustickets, Handygebühren. Eine Unterkunft bekommt diese Gruppe meist gestellt. Aber manche Asylbewerber bekommen diese 460 Euro nicht komplett ausbezahlt. Beispielsweise erhalten Menschen in sogenannten Anker-Zentren, also in großen Unterkünften, in denen neu angekommene Asylbewerberinnen und -bewerber untergebracht sind, Essen, Getränke, Kleidung oder Schuhe nur als Sachleistung. Das heißt: Statt Geld für Lebensmittel oder Schuhe bekommen sie Essen aus der Kantine und Kleider aus der Kleiderkammer. Deswegen gibt es weniger Geld für sie, im Allgemeinen zwischen 132 und 204 Euro. Grundsätzlich könnten Asylbewerber und Asylbewerberinnen aber auch gar kein Geld bekommen, wenn alle persönlichen Bedürfnisse durch Wertgutscheine oder Sachleistungen gedeckt sind. In diese Richtung geht auch das Vorhaben, eine Bezahlkarte einzuführen. In der Regel gilt: Anspruch auf das Geld beziehungsweise die Leistungen haben die Menschen ab dem Tag, an dem sie ihren Asylantrag stellen.

Weiterlesen „Was bekommen Geflüchtete wirklich bei uns?“

Einfach kann jeder

EIN TEXT AUS DER SCHREIBWERKSTATT

von Olaf Grunow

Seit wir verheiratet sind, ist unser Leben bunter und schöner geworden. Das heißt aber nicht, dass es einfacher geworden ist. Da sind zum Beispiel Ärgernisse mit Ämtern, aber auch Krankheiten und Operationen. Meine Frau wird nun zum zweiten Mal am Herzen operiert und wir hoffen, dass diese OP gut verläuft. Auch bei mir steht eine Operation an, dieses Mal an den Augen: Ich muss mich einer Hornhauttransplantation unterziehen und meinen Grauen Star behandeln lassen. Aber auch das wird hoffentlich gut gehen. Ansonsten versuchen wir gerade, immer öfter nach Berlin zu meiner 86-jährigen Mutter zu fahren, denn keiner weiß, wie lange sie noch hat. Außerdem freuen wir uns, bei dieser Gelegenheit auch jedes Mal meine Geschwister zu sehen. Wie viele von Ihnen schon wissen, stamme ich aus einer Großfamilie mit sieben Geschwistern. Trotz der großen Entfernungen ist unser Verhältnis untereinander sehr liebevoll. Wir halten immer zusammen – so, wie es eigentlich auch sein sollte. Deswegen sind wir auch Silvester 2023/2024 wieder nach Berlin zu unserer Familie gefahren. Es war ein tolles Fest mit reichlich Essen: So gab es etwa Kartoffelsalat mit Würstchen, Soljanka und eine selbst gemachte kalte Platte mit verschiedenen Belägen. Doch am schönsten war, dass wir als Familie zusammenkamen. Meine Mutter hielt von 18 Uhr bis vier Uhr morgens durch, und das in ihrem Alter! Meine Frau wurde von meiner Familie von Anfang an herzlich aufgenommen. Wir werden die Hürden des Lebens weiterhin meistern, denn wir haben uns. Doch auch Sie tragen einen Teil dazu bei

Wer kann eigentlich die BISS verkaufen?

Karin Lohr, Foto: Volker Derlath

Diese Frage wird uns regelmäßig gestellt, die Antwort darauf ist seit über 30 Jahren gleich: Das Straßenmagazin verkaufen können Personen, die von Armut oder Obdachlosigkeit betroffen oder bedroht sind. Interessierte können zu BISS in die Metzstraße kommen und mit unserem Sozialarbeiter ein Bewerbungsgespräch führen. In dem Gespräch geht es darum, wie und von welchen Einkünften der oder die Betroffene im Moment lebt. Es wird danach gefragt, ob man in einer eigenen Wohnung lebt oder, falls nicht, wo er oder sie die Nacht verbringt. Auch über die Gesundheit und familiäre Lebensumstände wird gesprochen. Sofern Unterlagen vorliegen, beispielsweise der Bescheid über Bürgergeld oder Sozialhilfe oder der Ausweis über eine Behinderung, können Interessierte sie gern mitbringen. BISS ist keine Behörde wie das Jobcenter oder das Wohnungsamt, die prüfen, ob Ansprüche berechtigt sind oder nicht. BISS ist ein gemeinnütziger und mildtätiger Verein, der Menschen in besonderen sozialen Schwierigkeiten hilft. Daher geht es weniger darum, ob jemand das Straßenmagazin verkaufen „darf “. Sondern es geht darum, einzuschätzen, ob die Betroffenen ihre sozialen Schwierigkeiten mithilfe des BISS-Verkaufs überwinden können. Am besten kann man das an einem Beispiel erklären: Neulich erkundigte sich ein jüngerer Mann nach den Voraussetzungen. Er hatte einige Jahre als Auslieferer für Essensbestellungen gearbeitet und war dazu tagtäglich mit einem schweren Rucksack auf dem Fahrrad unterwegs gewesen. Nun zwingen ihn seine chronischen Rückenschmerzen, sich um eine andere Arbeit zu bemühen. Wäre BISS ein konventionelles Unternehmen, hätten wir ihn sicher eingestellt: mehrjährige Berufserfahrung, freundlich, fleißig und ausreichende Deutschkenntnisse. Es gibt aber die Regel, dass nur ältere Personen ab 40 Jahre das Magazin verkaufen können. Denjenigen, die jünger sind, raten wir, noch eine Ausbildung bzw. Umschulung zu machen. So verbessern sie ihre beruflichen und auch sprachlichen Kenntnisse und steigern ihre Chancen auf einen Arbeitsplatz im allgemeinen Arbeitsmarkt. Auch wenn der junge Mann zunächst enttäuscht war, konnte er die Gründe nachvollziehen. Das Straßenmagazin wird von rund 100 Menschen in und um München verkauft, die sich durch ihre Lebensumstände sehr unterscheiden. Sei es die Rentnerin, die ihre Minirente aufbessert und wieder Geld und soziale Kontakte hat, bis hin zu ehemals obdachlosen Personen, die wieder eine Wohnung finden und einen kompletten Neustart wagen. Wenn Sie das BISS-Magazin verkaufen wollen oder jemanden kennen, für den das infrage kommt, dann wenden Sie sich vertrauensvoll an uns und reden Sie mit unserer Sozialarbeit.

Herzlichst


Karin Lohr, Geschäftsführerin