Sozial vermieten

In München warten mehr als 20.000 Menschen auf eine Sozialwohnung. Mit Bauen allein kann die Stadt den steigenden Bedarf nicht decken. Seit 2018 haben Vermieterinnen die Möglichkeit, der Stadt ihre Wohnung über das Belegrechtsprogramm zur Verfügung zu stellen. Ein Angebot, das nicht nur für sozial engagierte Vermieterinnen interessant ist.

Der steigende Bedarf an Sozialwohnungen kann durch Bauen allein nicht gedeckt werden. Das Belegrechtsprogramm der Stadt
München bietet Vermietern und Mietern Vorteile.

Von
THERESA BRANDL
Illustration
ANNA MICHELONI

„Mei.“ Ein typisch bayerisches Wort. Es drückt aus, dass man an der Situation gerade nichts ändern kann. Die Bahn ist schon wieder verspätet? Mei. Es gibt keine Brezn mehr beim Bäcker? Mei. Die Maß kostet auf der Wiesn über 14 Euro? Ja mei. Auch Wolfgang Donhärl kommt dieses Wort im Gespräch oft über die Lippen. Es scheint, als könne er vieles so hinnehmen, wie es ist. In einem Zusammenhang fällt sein Lieblingswort allerdings nie, nämlich wenn es um die Münchner Mietpreise geht. Da verwandelt sich die bayerische Gemütlichkeit, die Wolfgang Donhärl ausstrahlt, ganz schnell in den nicht weniger typischen Grant. Einmal, so erzählt er, habe er die Daten einer der 14 Wohnungen in seinem 120 Jahre alten Haus – von der Mama geerbt – auf Immoscout gestellt. Einfach, um zu schauen, was passiert. Direkt ploppte eine Eilmeldung auf mit der Info, dass er für eine Wohnung in dieser Lage locker 21 Euro pro Quadratmeter verlangen könne. „Dann denkst du dir so: Sag amal, spinnt’s ihr, oder was?“ Donhärl lebt mittlerweile seit 25 Jahren in diesem Haus mitten in der Au, mit Unterbrechungen aber sogar seit 57 Jahren. Er wurde hier geboren. Vor sieben Jahren haben seine Schwester und er es dann geerbt, eines war dabei von Anfang an klar: Sie wollen das fortführen, was die Mama ihnen vorgelebt hat: soziales Vermieten. Es verwundert also nicht, dass Donhärl sofort aufmerksam wurde, als er vom Belegrechtsprogramm gelesen hat. Das Belegrechtsprogramm der Stadt München hat folgendes Ziel: Vermieterinnen stellen der Stadt ihre Wohnung als Sozialwohnung zur Verfügung. Im Gegenzug bekommen die Vermieterinnen eine einmalige Prämie ausbezahlt und erhalten Mietpreise bis zur Höhe des aktuell gültigen Mietspiegels. Warum es ein solches Programm dringend braucht, lässt sich mit zwei Zahlen beschreiben:

WOLFGANG DONHÄRL
Zusammen mit seiner Schwester hat er vor sieben Jahren von seiner Mutter ein Haus geerbt. Beide beschlossen, die Wohnungen im Sinne der Mutter weiter sozial zu vermieten. Das Belegrechtsprogramm bietet dafür interessante Möglichkeiten.


24.249 wohnungssuchende Haushalte waren im vergangenen Jahr registriert, 3.406 Wohnungen konnten in der Zeit vergeben werden. Da klafft eine Lücke, die die Stadt schließen muss, jedoch durch Neubau allein nicht schließen kann. Allein schon deshalb, weil München gar nicht mehr diese Flächen zur Verfügung stehen. Wer sich als privater Vermieterin dafür entscheidet, eine Wohnung zur Verfügung zu stellen, mit dem führt die Stadt zunächst einmal ein Beratungsgespräch. Wenn Interesse besteht, besichtigt und vermisst eine Technikerin die Wohnung und erstellt ein Gutachten darüber, wie viel Miete verlangt werden kann. Vonseiten der Stadt ist dies auf maximal 16 Euro pro Quadratmeter gedeckelt. Sind die Vermieterinnen mit dem Mietpreis einverstanden, kommt ein Vertrag zustande und das Belegrecht der Stadt wird ins Grundbuch der Wohnungseigentümerinnen eingetragen. Nachdem das auf manche Vermieterinnen abschreckend gewirkt hat, so erzählt Kerstin Wolf vom Amt für Wohnen und Soziales, ist nun in einem neuen Stadtratsbeschluss vom Dezember 2023 festgelegt worden, dass zunächst auch eine Einmalbelegung ohne Eintragung ins Grundbuch möglich ist. Sobald die Mieterinnen ausziehen, würde die Wohnung wieder dem privaten Wohnungsmarkt zur Verfügung stehen. Die Stadt erhofft sich davon, dass immer mehr private Vermieterinnen mitmachen, bislang hat sie in diesem Segment auf 39 Wohnungen ein Belegrecht. Eigentlich wünscht sich die Stadt München aber natürlich möglichst lange Laufzeiten. Deshalb wird eine Entscheidung für die Dauer von bis zu 80 Jahren auch mit höheren Prämien belohnt. Diese variieren je nach Größe der Wohnung und Bindungsdauer. Wolfgang Donhärl hat der Stadt für die etwa 70 Quadratmeter große Wohnung ein Belegrecht von zehn Jahren erteilt und dafür 25.000 Euro Prämie bekommen. Das Geld ist mittlerweile schon aufgebraucht, gerade erst hat er den Dachboden isoliert, irgendwann werden neue Heizungen fällig. Trotzdem würde er es immer wieder machen, überlegt sogar, der Stadt für weitere Wohnungen des Hauses Belegrechte zu erteilen. Weil Donhärl selbst im Haus wohnt, beschreibt er sein Engagement als „auch so ein bisschen eigennützig“. Denn schließlich wolle er ja nette Nachbarinnen haben. Das hat er bislang immer bekommen, vor einigen Wochen hat der erste Mieterwechsel stattgefunden.


Das Belegrechtsprogramm wendet sich in erster Linie an einkommensschwache Menschen, die einkommensorientierte Zusatzförderung erhalten – einen Mietzuschuss für geförderte Wohnungen. Dieser Zuschuss wiederum orientiert sich am Einkommen des Haushalts und an der Miethöhe. Einen Teil der Miete zahlt der Haushalt selbst, die Differenz zur Mietspiegelmiete aus dem Gutachten übernimmt die Stadt. Doch auch kommerzielle Vermieter*innen sind für das Programm interessant. Von Vonovia, einem der bundesweit größten Immobilienunternehmen, hat die Stadt derzeit 60 Belegrechte erworben, weitere sieben von Einrichtungen wie etwa Stiftungen. Sollten die Bindungen in diesem Bereich auslaufen, so sagt Kerstin Wolf, plant die Stadt, diese erneut zu verlängern – dann würde auch wiederum eine Prämie ausbezahlt werden. In Zeiten der Klimakrise werden energetische Sanierungsmaßnahmen immer notwendiger und eine Einmalzahlung in Form der Prämie könnte somit attraktiv sein. Eine Sache ist klar: Das Belegrechtsprogramm allein wird die Wohnungsprobleme in der nach Mietpreisen teuersten Stadt Deutschlands nicht lösen, deshalb hat die Stadt München bereits weitere Konzepte entwickelt, um an bereits bestehenden Wohnraum heranzukommen. Es gibt also einige Lösungsansätze, um nicht immer weiter „irgendwie an dieser Spirale mitzudrehen“, wie Wolfgang Donhärl es beschreibt. Er hat sich deshalb vor ein paar Jahren dazu entschlossen, ein Belegrecht ins Grundbuch eintragen zu lassen. Mittlerweile wohnt schon das zweite junge Pärchen in der Dachgeschosswohnung in der Au. Und Wolfgang Donhärl hofft insgeheim vielleicht schon ein bisschen auf den ersten netten Ratsch im Frühjahr – im Hinterhof am gemeinsam von den Mieter*innen genutzten Hochbeet. Oder vielleicht direkt vor der Haustür, denn da trifft sich seit ein paar Jahren bei schönem Wetter die ganze Nachbarschaft: „Das hat Corona gezündet, das hat man richtig gemerkt“, sagt Wolfgang Donhärl und schmunzelt.

INTERESSE?
Wenn Sie eine Wohnung sozial vermieten möchten, bekommen Sie hier weitere Informationen:
E-Mail: belegrechtsprogramm@muenchen.de
Telefon: 089 233-48777
https://stadt.muenchen.de/infos/sozialesvermieten-leicht-gemacht.html