Die Kämpferin

EIN TEXT AUS DER SCHREIBWERKSTATT

von Valeria Bisioc


Ich wurde vor 45 Jahren in Cluj-Napoca in Rumänien geboren. Mein Leben war hart, meine Mutter hat mich und meine Zwillingsschwester im Alter von 18 Monaten im Kinderheim abgegeben. Als ich 18 Jahre alt war und die Schule beendet hatte, musste ich das Heim verlassen und war von da an auf mich allein gestellt. Ich habe eine Beziehung angefangen, aus der ein Sohn hervorgegangen ist. Aber von Anfang an war ich allein mit dem kleinen Kind. Ich schaffte es, einen Platz im Kindergarten zu ergattern. Die Erzieherin dort war eine große Hilfe für mich und ist es noch, nach über 15 Jahren frage ich sie um Rat und erhalte Ratschläge und Hilfe von ihr. Leider hatte ich es damals nicht geschafft, eine eigene Wohnung zu finden, aber auf keinen Fall wollte ich mein Kind so im Stich lassen, wie ich es einst selbst erlebt hatte. Als ich in Cluj-Napoca meine Arbeit verlor, war ich gezwungen, mein Glück im Ausland zu versuchen, so arbeitete ich von 2012 bis 2014 in England in einer Fabrik, danach war ich in Italien und schließlich ein Jahr lang in Deutschland in einem Schlachthof. Aber die schwere Arbeit dort machte mich krank. 2020 kam ich nach München, wo sich meine Freundin Sanda für mich einsetzte und auch für meinen Sohn, den ich zu mir holen konnte. Mir gefällt es bei BISS sehr gut, da ich ganz wunderbare Leute hier getroffen habe, die mich in allen sozialen Belangen unterstützt haben. Leider haben meine gesundheitlichen Probleme wieder zugekommen. Nachdem es eine Zeit lang etwas besser war, kehrten die Schmerzen in der Hüfte und im Rücken wieder zurück. Aber ich bin eine Kämpfernatur, es muss immer weitergehen, schließlich muss ich für meinen Sohn da sein. Ich danke Gott für alles und bitte ihn um Kraft und Hilfe, dass ich jeden Tag weitermachen kann. Doch momentan ist es schwer. Aber ich lasse meine Schmerzen therapieren, war im Krankenhaus und hoffe, dass es mir bald wieder besser geht. Es ist ein ständiges
Auf und Ab, was meine Hüfte und den Rücken angeht. Auf Anfang 2023 freue ich mich riesig – dann kriege ich eine eigene Wohnung. Dennoch, ich muss weiter eine Kämpferin bleiben, eine mit stets einem Lächeln auf den Lippen!

Ohne Halt

EIN TEXT AUS DER SCHREIBWERKSTATT

Von Angela-Rodica Crişan

Seit etwa anderthalb Jahren wohne ich in einer Pension, in einem kleinen Raum mit Etagenbett, ich schlafe oben, meine Mitbewohnerin unten. Mit etwa zehn anderen Frauen teile ich mir das Gemeinschaftsbad. Vergangenen Winter hatte ich es schön warm, aber in diesem Herbst geht die Heizung nicht. Warum das so ist, weiß ich nicht genau, ich habe gehört, dass das Jobcenter wohl etwas noch nicht genehmigt hat. Vielleicht hängt das auch mit den Vorfällen im Haus zusammen: Eine Frau hat einen Menschen getötet und dann ihr Zimmer in Brand gesetzt. Nun sitzt sie im Gefängnis. Wie auch immer, von der Kälte tut mir mittlerweile mein Rücken weh. Nach der Arbeit brauche ich Ruhe, will mir was kochen und auf dem Bett entspannen wie andere Leute auch. Wenn ich aber momentan nach Hause komme, ist es kalt und es stinkt nach Zigaretten, denn meine Mitbewohnerin raucht und trinkt. Sie ist ständig betrunken und schaut fern. Sauber macht sie nie. Der Tag beginnt bei mir um fünf Uhr morgens, dann stehe ich auf, trinke einen Kaffee und kann es kaum erwarten, wieder an der frischen Luft zu sein. Oft sage ich zu Gott: „Herr, ich kann nicht mehr!“ Ich fühle mich wie getrieben, ohne jeglichen Halt. So kann ich nicht weiterleben. Darum war ich beim Jobcenter, um etwas Neues zu kriegen, vielleicht auch mit meiner BISS-Kollegin Valeria zusammen. Sie wohnt auch in einer Pension, aber es ist viel besser dort. Auch könnte ich sie im Alltag unterstützen, da sie krank ist und Probleme mit dem Rücken und den Beinen hat. Mein größter Wunsch ist es aber immer noch, mit meinem kleinen Sohn zusammenzuleben. Auf jeden Fall will ich aber leben, wie es sich für einen Menschen gehört. Aber man weiß nie, an welchem Ort das Glück Gottes einem begegnet.

Ein trauriges Jahr 

EIN TEXT AUS DER SCHREIBWERKSTATT

Von Wolfgang Räuschl

Dieses Jahr war kein leichtes und es wird in die Geschichte eingehen. Es wird uns wohl noch lange in Erinnerung bleiben. Zu Jahresbeginn waren wir erleichtert, als das Corona-Virus langsam nachließ, und es herrschte eine große Aufbruchsstimmung in unserem Land. Aber dann kam der Krieg und Europa hielt den Atem an. Kaum zu glauben, dass Russland in die Ukraine einmarschiert ist und Teile des Landes besetzt hat. Ich habe mich mit vielen Leuten unterhalten, und jeder hatte Angst, denn die meisten hatten das alles schon mal erlebt. Meine neuen Nachbarn sind zwei Frauen mit drei Kindern aus Kiew. Sie erzählen oft vom Krieg. Die Kinder gehen in die Schule und sind sehr brav und anständig. Anfang des Sommers kam die Nachricht, dass der Strom und das Gas teurer werden. Preisanstieg der Lebensmittel, Inflation und dann der Hitzesommer, sodass wir in manchen Gebieten Waldbrände hatten, das Wasser knapp wurde und manche Flüsse austrockneten. An einigen Tagen war es mir nicht möglich, zu arbeiten, da es mir schlichtweg zu heiß war. Wahrscheinlich ist der Klimawandel schuld an allem und wir sollten uns in den nächsten Jahren darauf einstellen, dass es so bleibt.
Jeden Tag erreichen uns neue Schocknachrichten und die Politiker vertrösten uns mit Sonderzahlungen und staatlichen Hilfen, aber das reicht nicht aus. Die Leute haben immer mehr Angst, wenn die Strom- und Gasrechnung kommt. Zur Freude für viele Münchner fand aber das Oktoberfest nach zwei Jahren Pause wieder statt. Doch für mich ist das kein Volksfest mehr, denn das Vergnügen kostet viel Geld auf der Wiesn. Das konnte und wollte ich nicht unterstützen und im Hintergrund lauerte auch noch Corona. An dieses Jahr werden wir uns alle noch erinnern als eines der schwierigsten der letzten Jahrzehnte. Mich hat auch der Tod der englischen Königin bestürzt, die ja lange Zeit auf dem Thron saß und für viele
Menschen auf der ganzen Welt eine große Monarchin war. In der Advents- und Weihnachtszeit möchte ich mich ein wenig zurückhalten und mich nicht dem Einkaufsstress und dem Konsum hingeben. Viel wichtiger ist es, an ein neues, friedliches und hoffentlich besseres Jahr zu denken – ohne Krieg und extreme Preisanstiege, an eines, in dem es für uns Menschen wieder bergauf geht. Ich wünsche allen BISS-Lesern und Stammkunden eine besinnliche und schöne Weihnachtszeit und vor allem viel Gesundheit!

Meine trockene Zeit

EIN TEXT AUS DER SCHREIBWERKSTATT

von Toni Menacher


Eigentlich verliefen die letzten sechs langen Monate überraschend gut. Ich hatte keinen Rückfall. Sehr geholfen hat mir dabei die regelmäßige Teilnahme an den Treffen der Anonymen Alkoholiker (AA). Als Erstes möchte ich erzählen, warum ich mich für diese Selbsthilfegruppe entschieden habe. AA wurde von zwei hoffnungslosen Säufern in den 30er-Jahren in den USA gegründet. Sie stellten fest, dass sie nicht trinken mussten, wenn sie miteinander redeten. Bei AA gibt es keine Anwesenheitsliste oder -pflicht und auch keine Mitgliedschaft. AA finanziert sich ganz allein aus Spenden bei den Meetings. AA folgt einem Prinzip: Man kann etwas von sich erzählen, muss aber nicht. Bei den Treffen gibt es keine Diskussion, sondern man kann von seinen Erlebnissen berichten oder aber der von uns gewählte Gruppensprecher schlägt ein Thema vor, zu dem man einen Beitrag leisten kann, z. B. zu „Suchtdruck“ oder zu „Rückfall“.
Dabei werden keine „klugen“ Ratschläge gegeben. Bei den AA ist es auch üblich, sich mit Vornamen anzusprechen und sich zu duzen. Aber auch private Gespräche vor und nach dem Meeting tun mir sehr gut. Ich habe zwei für mich optimale Gruppen gefunden, die sich jeweils einmal die Woche treffen. In dem Obdachlosenheim, in dem ich jetzt wohne, halte ich mich von Mitbewohnern, die Alkohol trinken, fern. Ich habe Glück, dass ich mir ein Doppelzimmer mit einem Mann teile, der auch nicht trinkt und voll berufstätig ist. Nur selten gehe ich in Gaststätten oder Ähnliches, um nicht in Versuchung zu kommen. Ich muss zugeben, dass ich einige Male einen starken Suchtdruck hatte. So verkaufte ich regelmäßig vor der Bürgersaalkirche in der Fußgängerzone. Mein Blick fiel dabei direkt auf einige Biertische vor einem Restaurant. Als ich einmal mehrere Gäste mit Weißbier sah, was früher mein Lieblingsgetränk war, hatte ich das starke Bedürfnis, selbst eins zu trinken. Ich entschloss mich, lieber woanders zum Verkaufen hinzugehen. Glücklicherweise war am gleichen Abend zufällig ein AA-Meeting. Mir tat es unwahrscheinlich gut, darüber zu reden. Ich möchte mich bei meiner Kundschaft entschuldigen, dass ich viel von meinen Einnahmen zur Befriedigung meiner Sucht verwendet habe! Ich kann jeden verstehen, der nicht mehr bei mir kauft. Ich kann nur eins versprechen: Ich werde alles dafür tun, dass ich trocken bleibe.

Lebenswille

EIN TEXT AUS DER SCHREIBWERKSTATT

von Dirk Schuchardt

Mit Anfang 20 brachen bei mir beinahe gleichzeitig verschiedene Bluterkrankungen aus, die ich von meinen Eltern geerbt hatte. Zuerst kam die Fettstoffwechselstörung und kurz darauf Diabetes. Bis zu diesem Zeitpunkt war ich sportlich noch recht aktiv und wog bei einer Größe von 184 Zentimetern etwa 82 Kilogramm. Einhergehend mit der Fettstoffwechselstörung bekam ich zunehmend Probleme mit meinen Blutgefäßen. Es bildeten sich allmählich Ablagerungen, die im Laufe der Jahre zu Verengungen führten. 2009 hatte ich dann meine erste Operation an der Halsschlagader. Es folgten mehrere Operationen, bis dann 2017 alles zu spät schien. Die Carotis interna links war zu 100 Prozent zu! Die beiden Schlagadern auf der rechten Seite (Carotis in/externa) waren zu 90 Prozent zu. Ich wurde sofort in die Klinik eingewiesen, in der ich schon mehrmals operiert worden war. Die Ärzte dort trauten sich aber nicht mehr, und so wurde ich noch in derselben Nacht mit einem Rettungsdienst nach Harlaching gefahren. Sofort wurde ich in den schon für mich vorbereiteten OP-Saal gebracht. Ich lag also auf dem OP-Tisch, über und neben mir unzählige Apparate und Monitore, und fragte mich, ob ich die Welt außerhalb dieses Raumes noch einmal wiedersehen würde. Einige Menschen werkelten an mir herum, legten Zugänge. Plötzlich trat ein Mann an meine Seite, den ich anhand seines Namensschildes als Professor Doktor identifizieren konnte. Dieser beugte sich zu mir runter und sagte zu mir: „Keine Angst, Herr Schuchardt, ich kriege Sie schon wieder hin. Sie sind mir noch zu jung, um jetzt schon zu gehen. Wir haben ja auch denselben Jahrgang.“ Ich lauschte seinen Worten, und da mir seine Sprechweise so bekannt vorkam, fragte ich ihn: „Herr Professor, wo kommen Sie her?“ Er antwortete mir, dass er aus der Nähe von Dortmund wäre, worauf ich erwiderte, dass ich aus Bergkamen bei Unna käme. Der Professor schaute über mich hinweg zu seinem Oberarzt und sagte erstaunt: „Jetzt muss ich mich aber doppelt anstrengen, der“ – er meinte mich – „kommt auch noch aus demselben Dorf wie ich.“ Von diesem Moment an waren wir Freunde. Auch wenn dieser Mensch mittlerweile seine ärztliche Kunst den Patienten in Norddeutschland zugutekommen lässt, verbindet uns diese Freundschaft. Ich kann ihn jederzeit telefonisch um medizinischen Rat fragen, und er würde sich sogar bereit erklären, mich in seinem jetzigen Wirkungskreis zu operieren. Mein lieber Freund, ich danke dir, dass du mein Leben gerettet hast.