Sprache ist erfinderisch

Karin Lohr, Foto: Volker Derlath

Einmal angenommen, Sie lesen folgende Meldung: „An der Festveranstaltung in Schloss Schleißheim nahmen auch Vertreter der bayerischen Staatsregierung teil. Der Ministerpräsident und drei Staatsminister erschienen in Tracht, einer von ihnen trug ein Dirndl mit geblümter Schürze.“ Das Bild, das im Kopf entsteht, irritiert. Zwar traut man dem einen oder anderen Regierungsmitglied durchaus so einen Auftritt zu, um maximale Aufmerksamkeit zu erreichen. Aber auf einer Festveranstaltung, noch dazu in Schloss Schleißheim? Mit dem generischen Maskulinum, also der grammatisch männlichen Form auch für gemischte Personengruppen, landet man hier in einer Sackgasse. Sollte man also besser „Staatsministerinnen“ schreiben? Nun ist nicht bekannt, ob es in der bayerischen Staatsregierung eine nicht binäre Person gibt, die sich als weder weiblich noch männlich versteht und für eine Vielfalt traditioneller Geschlechterrollen steht. Das Gendersternchen wäre also für genau diese Nachricht nicht optimal. Ganz anders bei einer Politparade der anderen Art, dem Christopher Street Day. Bei dieser Veranstaltung geht es um gleiche Rechte für Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans, inter* und queere Menschen (LGBTIQ). Wie könnte man die Hunderttausenden von Aktivistinnen oder Zuschauer*innen treffender benennen als mit dem Sternchen? Hier leuchtet es besonders hell, und zwar über allen, die friedlich und gut gelaunt an dem Tag in Münchens Straßen unterwegs sind. Unsere Gesellschaft ist in Bewegung und damit auch die Sprache, mit der man sie und die Menschen beschreibt. Das erfordert Nachdenken und gelingt nicht immer auf Anhieb. Eine frühere Gleichstellungsbeauftragte der Stadt hat das schon vor vielen Jahren auf den Punkt gebracht: „Da ist doch nichts gegendert, wenn auch Frauen in der Sprache vorkommen.“ Es ist keine Wortfindung besonders progressiver Kreise, einen weiblichen Gast als „Gästin“ zu bezeichnen. So steht es schon im Deutschen Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm aus dem 19. Jahrhundert. Im besten Fall gelingen gut lesbare, unterhaltsame und genaue Texte, die Geschichten erzählen, aus denen diejenigen, die sie lesen, etwas über den Zustand der Welt erfahren. Dazu braucht es eine präzise und anpassungsfähige Sprache. Dirndl hin oder her.

Herzlichst

Karin Lohr, Geschäftsführerin

Wer kann eigentlich die BISS verkaufen?

Karin Lohr, Foto: Volker Derlath

Diese Frage wird uns regelmäßig gestellt, die Antwort darauf ist seit über 30 Jahren gleich: Das Straßenmagazin verkaufen können Personen, die von Armut oder Obdachlosigkeit betroffen oder bedroht sind. Interessierte können zu BISS in die Metzstraße kommen und mit unserem Sozialarbeiter ein Bewerbungsgespräch führen. In dem Gespräch geht es darum, wie und von welchen Einkünften der oder die Betroffene im Moment lebt. Es wird danach gefragt, ob man in einer eigenen Wohnung lebt oder, falls nicht, wo er oder sie die Nacht verbringt. Auch über die Gesundheit und familiäre Lebensumstände wird gesprochen. Sofern Unterlagen vorliegen, beispielsweise der Bescheid über Bürgergeld oder Sozialhilfe oder der Ausweis über eine Behinderung, können Interessierte sie gern mitbringen. BISS ist keine Behörde wie das Jobcenter oder das Wohnungsamt, die prüfen, ob Ansprüche berechtigt sind oder nicht. BISS ist ein gemeinnütziger und mildtätiger Verein, der Menschen in besonderen sozialen Schwierigkeiten hilft. Daher geht es weniger darum, ob jemand das Straßenmagazin verkaufen „darf “. Sondern es geht darum, einzuschätzen, ob die Betroffenen ihre sozialen Schwierigkeiten mithilfe des BISS-Verkaufs überwinden können. Am besten kann man das an einem Beispiel erklären: Neulich erkundigte sich ein jüngerer Mann nach den Voraussetzungen. Er hatte einige Jahre als Auslieferer für Essensbestellungen gearbeitet und war dazu tagtäglich mit einem schweren Rucksack auf dem Fahrrad unterwegs gewesen. Nun zwingen ihn seine chronischen Rückenschmerzen, sich um eine andere Arbeit zu bemühen. Wäre BISS ein konventionelles Unternehmen, hätten wir ihn sicher eingestellt: mehrjährige Berufserfahrung, freundlich, fleißig und ausreichende Deutschkenntnisse. Es gibt aber die Regel, dass nur ältere Personen ab 40 Jahre das Magazin verkaufen können. Denjenigen, die jünger sind, raten wir, noch eine Ausbildung bzw. Umschulung zu machen. So verbessern sie ihre beruflichen und auch sprachlichen Kenntnisse und steigern ihre Chancen auf einen Arbeitsplatz im allgemeinen Arbeitsmarkt. Auch wenn der junge Mann zunächst enttäuscht war, konnte er die Gründe nachvollziehen. Das Straßenmagazin wird von rund 100 Menschen in und um München verkauft, die sich durch ihre Lebensumstände sehr unterscheiden. Sei es die Rentnerin, die ihre Minirente aufbessert und wieder Geld und soziale Kontakte hat, bis hin zu ehemals obdachlosen Personen, die wieder eine Wohnung finden und einen kompletten Neustart wagen. Wenn Sie das BISS-Magazin verkaufen wollen oder jemanden kennen, für den das infrage kommt, dann wenden Sie sich vertrauensvoll an uns und reden Sie mit unserer Sozialarbeit.

Herzlichst


Karin Lohr, Geschäftsführerin

Wir und ihr

Karin Lohr, Foto: Volker Derlath

WIR gehören zusammen: Auslieferer und Architektinnen, Bauern und Brez’nbäcker, Dramaturginnen und Dachdecker, Eigenheimbesitzer und Einheimische, Fahrradmonteure und Flaneure, Gärtnerinnen und Großstädter, Heizungsbauer und Hauswirtschafterinnen, Installateure und Italienerinnen, Jäger und Juristinnen, Kinder und Kirchenbesucher, Lokführer und Landeier, Musikerinnen und Maurer, Nerds und Notarinnen, Opernliebhaber und Optikerinnen, Polizistinnen und Pizzabäcker, Querflötistinnen, Radlfahrerinnen und Romantiker, Schlussredakteurinnen und Straßenzeitungs-Verkäufer, Thüringer und Trockenbauer, Umweltschützer und Übergewichtige, Vermieterinnen und Verspielte, Weintrinker und Werkstudentinnen, Xylophonistinnen und X-Beinige, Yogis und Yuppies, Zahnärztinnen und Zuagroaste. Wir alle leben in einem Land mit einem unglaublichen Wohlstand, im Frieden und mit einer funktionierenden Demokratie. Es darf doch nicht sein, dass sich gewählte Politikerinnen und Politiker vor einem Mob fürchten müssen, der ihnen auflauert, sie bedroht und bedrängt. Das ist den bayerischen Grünen im Wahlkampf vergangenen Herbst passiert, dem sächsischen CDU-Ministerpräsidenten Michael Kretschmer und Anfang des Jahres dem grünen Vizekanzler Robert Habeck. Das ist doch zum Gruseln, denn der Schritt zur Gewalt ist vorgezeichnet, wie der verstörende Mord an dem hessischen Regierungspräsidenten und der CDU-Lichtgestalt Walter Lübcke gezeigt hat. Von den unsäglichen Anwürfen, denen die Politikerinnen aller Parteien täglich ausgesetzt sind, gar nicht zu reden. Wie kann es sein, dass sich ein Mitglied der bayerischen Staatsregierung als „Revolutionsführer“ geriert und Öl ins Feuer gießt? Es wäre besser, wenn er sich, gemeinsam mit der gesamten gewählten Regierung, allen ihren Privilegien, den großen Budgets der bayerischen Ministerien und den ganzen Mitarbeiterstäben, dafür einsetzen würde, ihre politischen Vorhaben in die Realität umzusetzen. Nur so kann das Leben und Arbeiten der Menschen in Bayern noch besser werden. Denn besser geht immer.
Wir BISSler werden jedenfalls nicht still sein, wenn bestimmte Personen oder gesellschaftliche Gruppen von versprengten Kabarettisten, Narzissten und Lobbyisten (m/w/d) zu vogelfreien Sündenböcken gemacht werden. Schutz und Fürsorge brauchen die Schwächeren, für gegenseitigen Respekt und Wertschätzung sind wir alle verantwortlich.

Herzlichst

Karin Lohr, Geschäftsführerin

Da geht was

Karin Lohr, Foto: Volker Derlath

Kennen Sie auch jemanden, der ständig pleite zu sein scheint? Nicht immer gibt es eine plausible Erklärung dafür, vor allem wenn die betreffende Person ein ordentliches und regelmäßiges Einkommen hat, mit dem sie eigentlich gut über die Runden kommen müsste. Häufiger als man denkt, steckt eine Sucht dahinter. Aber keine nach Alkohol oder Drogen, sondern nach dem Glücksspiel. Diese Sucht sieht und riecht man nicht, das Glücksspiel findet abgeschottet unter Gleichgesinnten in den Wettbüros und Spielhallen und zunehmend online im Internet statt. Ist jemand glücksspielsüchtig, merken das häufig selbst Familie und enge Freunde erst sehr spät. Die rückständige Miete oder die Mahnung des Energieversorgers ist im schlimmsten Fall die Spitze eines Eisbergs mit Schulden in sechsstelliger Höhe. Bei der jüngsten Jahrestagung des Fachverbands Glücksspielsucht kamen wieder engagierte Leute aus ganz unterschiedlichen Bereichen zusammen. Dieses Mal erfuhr man Genaueres über die enorme Resonanz auf OASIS, das bundesweite Spielersperrsystem, mit dem sich Glücksspielsüchtige selbst sperren lassen und so besser schützen können. Ebenfalls spannend war die Diskussion über die massive Werbung für Sportwetten, ein Milliardengeschäft, das mit dem Geld fußballbegeisterter Fans gefüttert wird. Auf der Veranstaltung war wie immer die Selbsthilfe vertreten, in der sich Betroffene zusammenschließen und gegenseitig darin unterstützen, einen Ausweg aus der Sucht zu finden. Klar, man könnte verzweifeln, denn in einem der letzten Vorträge erfuhr man, wie viele Milliarden „dreckiges Geld“ weltweit mittels Glücksspiel verschoben werden. Man erfuhr aber auch, dass sich die Geldströme gut kontrollieren ließen, wenn die Politik das denn wollte. Ein ehemaliger Berliner SPD-Abgeordneter hat das bewiesen, als es ihm durch seine langjährige Hartnäckigkeit gelang, die Zahl der Wetthallen in seinem Wahlbezirk abzubauen. Mit Glücksspielwetten, legal oder illegal, verliert man am Ende immer. Aber Spielsucht ist eine Krankheit, bei der sich Betroffene und Angehörige Hilfe holen können. Auf unserer vorletzten Seite sind einschlägige Adressen aufgeführt. Da geht was, wenn der erste Schritt gemacht ist! Das sagt die Selbsthilfe, und die wissen es am besten. Im Namen aller BISSler wünsche ich Ihnen ein gutes neues Jahr!


Herzlichst

Karin Lohr, Geschäftsführerin