Rapmusik war wohl noch nie so populär wie heute. Das ist nicht unbedingt gut. Denn die aktuellen Rapstars“ reden fast nur über Gewalt, Drogen und dicke Autos. Dabei ist Rap viel mehr, besitzt eine soziale Sprengkraft – in New York genauso wie in Heidelberg oder München.
Von SEBASTIAN SCHULKE
Dumpfe Beats wabern durch die Wände. Sie verlieren sich in den breiten Gängen, die sich durch das „Kunstlabor“ an der Dachauer Straße ziehen. Ein Gang führt zu einer offenen Küche, die hell erleuchtet ist. Schwarzer Boden, schwarze Stühle. Von draußen schaut bereits die Nacht durch die Fenster. Ein junger Mann sitzt an einem großen Tisch. Er heißt Chimdi (25), trinkt ein Glas Wasser und tut so, als ob nichts passiert wäre. Kurz zuvor gab es eine „Weltpremiere“, wie Chimdi es selbst angekündigt hatte. Da zeigte er seinen Leuten hier im Studio sein erstes Musikvideo: „Well done“ heißt der Song. Chimdi ist Musiker, genauer gesagt Rapper. Ein rauschendes Fest mit Schampus, sehr leicht bekleideten Frauen, dicken Geld bündeln und weißen Rauchschwaden, die in der Luft hängen, gibt es allerdings nicht. Weswegen auch. Der junge Mann aus Nigeria trinkt noch ein Glas Wasser, wirkt zufrieden und erleichtert. Großkotziges Gehabe liegt ihm nicht, mag er nicht. Er muss auch gleich schon wieder los. „Arbeiten“, erklärt Chimdi. In der Glockenbachwerkstatt hat er vor ein paar Wochen ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) angefangen.
In das Aufnahmestudio der RefugioKunstwerkstatt kommt er schon länger. „Ein gutes halbes Jahr bestimmt schon“, meint Chimdi. Von Mittwoch bis Samstag finden hier verschiedene Musikangebote statt, heute der Rap-Workshop. Momo Novus und Taiga Trece, zwei Münchner Rapgrößen, helfen den jungen Musikern beim Texteschreiben, den Beats, dem Abmischen und der Aufnahme, stehen den Interessierten mit Rat und Tat zur Seite – musikalisch, aber auch, wenn es darum geht, zu verstehen, wofür Rap eigentlich steht.
Dicke Goldketten, teure Autos und aufgeblasene Gangsta-Gebärden machen zwar heute einen großen Teil der Rapkultur aus. Besonders deutsche Rapper werfen mit „Para“ (Geld), „Beyda“ (Kokain) und „Bitches“ nur so um sich. Doch: Rap ist mehr, kann mehr – viel mehr! Er besitzt eine soziale Sprengkraft, die bereits Mitte des 19. Jahrhunderts auf den Baumwollplantagen in den Südstaaten der USA durch die Gesänge und Parolen der Sklaven erste Formen annimmt. Wie auch in den afroamerikanischen Kirchen, in denen Prediger bis heute über Deklamation und Sprechgesang gesellschaftliche Missstände wie Rassismus, Diskriminierung oder Polizeigewalt aufgreifen, ansprechen und anprangern. Anfang der 1970er Jahre kommt schließlich in New York „Rap“ ins Rollen. In Brooklyn, Harlem oder der Bronx, die damals zu den gefährlichsten Ghettos der Metropole zählen, werden in Abrisshäusern „Blog-Partys“ gefeiert. Es wird getanzt (Breakdance) und gemalt (Graffiti). Dazu legen Discjockeys (DJs) Platten auf, während ein Master of Ceremony (MC) dazu rappt. Eine Jugendkultur und -bewegung entsteht, die sich „Hip-Hop“ nennt. Und die in den Ghettos für weniger Gewalt sorgt. Denn die Gangs tragen ihre Konflikte immer öfter in Form eines Breakdance- oder Rap-Battles aus. Im Klartext: Worte statt Waffen!
Vom Englischen ins Deutsche übersetzt, bedeutet „rap“ ‚plaudern‘ oder ‚schwatzen‘, und das in Form von Reimen mit Witz, Flow und Aussagekraft. Grandmaster Flash & the Furious Five, Afrika Bambaataa oder Kurtis Blow zählen zur ersten Sprechgesang-Generation und rappten in ihren Liedern nicht nur über coole Partys, sondern auch über den harten Alltag in den Straßen, der von Rassismus, Kriminalität, Armut, Drogen sowie fehlender Bildung geprägt war. Von New York zurück nach München: Maki, Abdi, Faro (alle 20 Jahre alt), Don-Caleb (23) und Chimdi (25) heißen die Rapper, die gerade im Aufnahmestudio des Kunstlabors stehen. Die Jungs kennen sich und feiern Chimdis Musikvideo. Der gebürtige Nigerianer lebt seit einem Jahr in München. „Das hätte ich ohne Momo und Taiga niemals geschafft, die mir bei der gesamten Produktion geholfen haben“, sagt Chimdi und erzählt: „Ich bin in einer Kirche aufgewachsen, da drehte sich alles um Gospel und Percussion.“
Vor sechs Jahren verließ Chimdi Nigeria. Er hatte die Senior Secondary School erfolgreich abgeschlossen und ging in die Ukraine, um in Charkiw Medizin zu studieren. Dort beschäftigte er sich auch mit Musik wie Rock‘n‘Roll, Elektro und Rap und begann, auf seinem Handy Beats zu bauen, kleine Videos zu produzieren und das Mastering zu machen. Chimdi: „Das coole bei Rap ist, dass er sich mit allen anderen Musikrichtungen kombinieren lässt.“ Wegen des Kriegs musste er die Ukraine verlassen. Seine Flucht führte ihn nach München. Chimdi ist die ersten Monate obdachlos, kämpft sich allein durch eine fremde Stadt und deren Straßen. Muss ganz neu anfangen. Doch die Musik gibt ihm Kraft und Zuversicht. „Über Rap kann ich sagen, was ich fühle, was in mir steckt. Kann den Leuten etwas über mein Leben, meine Stärken, Schmerzen und Ängste erzählen“, meint Chimdi, „wie es Kendrick Lamar, J. Cole oder Eminem machen. Die haben mich schon durch viele dunkle Zeiten mit ihren Songs gebracht.“ In „Well done“ hat Chimdi einiges aus seinem Leben und Alltag gepackt. „Guns, Girls, Money, Cars – das spielt für mich keine Rolle“, wie er sagt. Harte Arbeit, Armut und Hoffnung stehen in seinem Fokus:
„… and your next meal is uncertain
Monkey dey work
Baboon dey chop
They get fat on your hard work
Just taking, nothing in return
Such cruelty
Evil oppression …“
„… und Dein nächstes Mahl ist ungewiss.
Der Affe schuftet
Sie werden fett von deiner harten Arbeit
Sie nehmen nur, ohne etwas zu erwidern
Solche Grausamkeit
böse Unterdrückung … “
Aber Aufgeben kommt nicht in Frage.
„… Wir werden nicht müde, wir werden nicht
müde. Mach dir keine Sorgen, ich sage, du
wirst es versuchen…“
Das gilt auch für Don-Caleb, der alles andere als müde wirkt. Er muss noch etwas an seinem Text feilen, den er live und direkt im Studio performen möchte. „Ich habe Chimdi bei seinem Videodreh geholfen“, sagt er und betont: „Ich komme auch aus Nigeria, habe Rap erst hier in Europa für mich entdeckt.“ Chimdi habe ihm von den Rap-Workshops erzählt und ihn mitgenommen. „Momo und Taiga geben uns viel Spielraum“, sagt Don-Caleb, der in München eine Ausbildung zum Fachinformatiker macht. „Das ist toll.“ Hier gehe es einfach um Rap – ohne großkotziges Gepose. „Wir bieten den Jungs und Mädels einen großen Werkzeugkoffer, mit dem sie Texte, Beats, eigene Produktionen und Videos erschaffen können“, erklärt Taiga Trece. „Ohne Vorschriften und Vorgaben. Wir sind keine Sozialpädagogen, sondern Künstler, die jungen Menschen über die Rapmusik helfen, ihr inneres Ich zu finden und zu verstehen. Und die so ein eigenes Empowerment entwickeln und aufbauen“, sagt Taiga, die seit mehr als 20 Jahren rappt – auf Deutsch und Spanisch. Die sich als Frau in der Männerbastion namens Rap durchgesetzt hat und Impulse setzt, weit über Münchens Grenzen hinaus. Seit knapp zwei Jahren begleitet sie die Workshops der Refugio-Kunstwerkstatt, bildet mit Momo Novus ein Team. „Vor 15 Jahren stand ich hier noch selbst am Mic“, erinnert sich Momo, bevor er eigene Projekte startete, Rapper wurde und Tontechnik studierte. Er ist seit zwölf Jahren dabei.
„Megaloh aus Deutschland sowie Sniper und IAM aus Frankreich haben mir damals viel gegeben.“ Und genau das wollen Momo und Taiga auch den jungen Menschen mit dem Mic in der Hand geben. „Die jungen Leute wollen etwas sagen – und haben auch etwas zu sagen. Rap hilft zu dem auch Momo und Taiga zählen. Die beiden werden bei ihren Workshops von Rappern wie Kareem, Babou oder Tobi unterstützt. Wenn ihre Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit gewaltverherrlichenden Worten um sich werfen, bleiben sie jedoch cool. „Wenn das der Zugang zum Rap beziehungsweise zu Hip-Hop ist, dann will ich das nicht blockieren. Es ist ein Teil der Rapkultur“, so Momo. „Doch wir sind kein Wochenend-Workshop, sondern jede Woche für die Jungs und Mädels da. Das gesamte Jahr über. So entsteht ein Prozess, bei dem wir immer wieder sehen, wie die Leute innerlich wachsen und verstehen, welche Kraft im Rap steckt.“ Chimdi sei dafür ein gutes Beispiel. Das gilt auch für Maki. Er kommt aus Moosach, ist über Breakdance und Beatboxen zum Rappen gekommen. Seit einem knappen Jahr kommt Maki nun schon zu Momo und Taiga, schreibt Texte, rappt und genießt die Zeit im Studio. „Ich habe keine eigene Crew. Doch mit den Jungs hier macht das einfach Spaß. Wir haben alle Hunger auf Rap, haben einen guten Vibe. Ich kann bei Momo und Taiga mein eigenes Ding bauen – wie mit Legoklötzen.“
Gerade tritt Faro in die MC-Kabine, die von Schaumstoffwänden umgeben ist. Schaumstoffblöcke hängen an der Decke. Perserteppiche bedecken den Boden. Auf einem Sofa haben es sich Chimdi und Don-Caleb bequem gemacht. Abdi steht, ist gespannt auf die Reime seines Kumpels. Zwei Meter von der MC-Kabine entfernt sitzt Taiga an einem Tisch vor einem großen Bildschirm, auf dem „Logic Pro“ leuchtet – ein digitales Mischpult, das zu analogen Zeiten zwei Meter breit und vier Meter lang gewesen wäre und einen eigenen Raum benötigt hätte. Auf dem Tisch stehen noch ein Mikrofonvorverstärker und Kopfhörer sowie ein MIDI-Keyboard. Fette Boxen sorgen für guten Sound. „Unser Studio haben wir komplett selbst zusammengestellt und aufgebaut“, sagt Momo. Neben zwei Turntables mit Mischpult und analogen Synthesizern steht eine riesige Marimba im Raum. Dazu Gitarren, Trommeln und ein Schlagzeug. „Wer will, kann seine Beats selbst machen und einspielen“, erklärt Taiga. Faro hat einen fertigen Beat auf seinem Handy mitgebracht. Taiga hat ihn bereits in das digitale Tonstudio gezogen. Ein harter, schneller Bass dröhnt aus den Boxen. „Das ist Drill“, sagt Abdi und grinst. Dann legt Faro los. Er rappt auf Französisch, schaut auf sein Handy, feuert seine Reime raus. Alle nicken mit den Köpfen. Die Bässe wummern. Nach seiner Performance gibt’s Applaus. Momo sagt dem jungen Rapper, was er bei seiner „Hook“ verbessern und wie er seine Stimme noch prägnanter einsetzen könnte. „Ich komme aus Togo, habe da als Kind jeden Tag Fußball gespielt für die interkulturellen Straßenfußball-Ligen von Buntkicktgut. Die sitzen ja eigentlich hier in München“, erzählt Faro. „Mit 14 bin ich dann hierhergekommen, habe im Waisenhaus gewohnt.“ Durch Buntkicktgut habe er zunächst gut und schnell Anschluss in der fremden Stadt und Kultur gefunden. Doch irgendwann habe er gespürt, „dass ihn die Musik noch mehr kickt als das runde Leder“. Er betont: „Beim Rappen muss es auch rundlaufen, da brauchst du Flow. Momo hat mir da sehr geholfen, er ist mein großer Bruder.“
Dass er in seinen Textzeilen ganz gern mit Girls, Guns, Money und Cars herumpost, erklärt Faro so: „Flexen und Posen ist beim Textschreiben viel einfacher als gesellschaftskritische Aussagen. Die Politik fickt meinen Kopf nur.“ Und Taiga ergänzt: „Mit der Zeit kommen die jungen Rapperinnen und Rapper selbst darauf, dass sie ihren Texten viel mehr Form, Gestalt und Aussagekraft geben können. Wir geben da nur kleine Impulse, lassen unseren Background etwas einfließen.“ Ein erhobener Zeigefinger bringe gar nichts.
Die heutige Rapsession nähert sich dem Ende. Chimdi ist bereits gegangen. Abdi, der aus Äthiopien kommt, tritt heute nicht ans Mic. Dafür Don-Caleb noch mal. Er hat einen Text geschrieben, für den er einen guten Beat braucht. Taiga spielt ihm was vor. „Noch etwas mehr Bass“, sagt er. „Ja, genau. Das ist es.“ Don-Caleb trägt eine Baseball-Cap, ein weißes T-Shirt, schwarze Hose, weiße Sportschuhe, dazu ein schmales silbernes Armband und einen Siegelring an seinem linken Zeigefinger. Sein Bling-Bling fällt sehr dezent aus. Seine Reime sind schnell, klar und positiv. „Gewalt gibt es schon genug auf dieser Erde. Ich möchte die Leute zum Tanzen bringen, eine gute Energie ausstrahlen.“ Dann ist Feierabend für heute. Die jungen Rapper verschwinden in den weiten Gängen des Kunstlabors. Momo und Taiga schließen die Tür. Nächste Woche geht es weiter. Vielleicht mit einer weiteren Weltpremiere …