BISS-Ausgabe Juli-August 2019 | Junge Menschen

Cover des BISS-Magazins Juli-August 2019

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Blut ist dicker als Wasser

EIN TEXT AUS DER SCHREIBWERKSTATT‘

Von Zuheir Takiyan

Es gab einmal einen Mann im Irak, der hatte zwei Söhne. Als er starb, erbten sie seine Firma. Doch die Brüder waren sich nicht einig, was sie mit ihr machen wollten. Der große Bruder wollte sie übernehmen und weiterführen, der kleine Bruder wollte lieber viel Geld haben, statt zu arbeiten. Und so kaufte der Ältere die Firma dem Jüngeren schließlich ab. Der kleinere Bruder war nun auf einmal sehr reich, er gab all sein Geld einem Börsenmakler. Am Anfang lief alles gut für ihn, die Kurse seiner Aktien stiegen und er machte gute Gewinne. Er kaufte sich daraufhin Autos und Uhren und Schmuck und Kleider für seine Frau, sie reisten durch die Welt und genossen das Leben, doch dann brach die Börse ein, alles Geld war weg. Es kam immer öfter zu Streit zwischen dem kleinen Bruder und seiner Frau, am Ende trennten sie sich. Bei der Scheidung verlor er die gemeinsame Wohnung und so landete er am Schluss auf der Straße, wie ein Bettler. Und so ging er eines Tages zu seinem großen Bruder. Dieser war immer noch Chef der einstigen Firma des Vaters, er hatte sie modernisiert, neue Maschinen gekauft, das Geschäft lief gut, er hatte viel Geld verdient und sogar eine zweite Firma gegründet. Der kleine Bruder sah all das und sagte: „Bruder, hilf mir, ich habe alles Geld verloren, gib mir neues.“ Aber der große Bruder dachte, dass es ein Fehler wäre, seinem kleinen Bruder Geld zu geben, schließlich würde dieser es doch wieder nur für Luxus ausgeben. Also sagte er: „Ich kann dir nicht helfen, du hast dein Erbe schon bekommen. Mein Geld brauche ich für mich und meine Familie.“ Doch als der kleine Bruder gegangen war, hatte der große Bruder ein schlechtes Gewissen: Würde er ihm Geld schenken, wäre es so schnell weg wie das Erbe. Würde er ihm nicht helfen, würde sein Bruder verhungern. Am Ende ging er zu einem seiner Angestellten und sagte: „Geh in den Park, dort sitzt mein kleiner Bruder. Sprich ihn an und frage ihn, warum er traurig ist. Dann sollst du ihm eine Arbeit geben in meiner zweiten Firma, aber sage ihm nicht, dass diese auch mir gehört.“ So geschah es. Der kleine Bruder war nun auch wirklich fleißig, er arbeitete hart in der Firma und hatte bald Erfolg. Er fand eine neue Frau und lebte glücklich. Doch dann gab es ein großes Treffen, alle saßen zusammen, die Firmen sollten zusammengelegt werden und ein neuer Chef gewählt werden. Da sah der kleine Bruder, dass die Firma, in der er arbeitete, auch seinem großen Bruder gehörte. Sie hatten sich seit ihrem letzten Treffen nicht gesehen, der kleine Bruder hatte dem großen nie verziehen, dass dieser ihm damals nicht geholfen hatte. Also stimmte er bei der Wahl gegen ihn. Doch da erklärte ihm der große Bruder, dass er es war, der seinem Angestellten damals gesagt hatte, er solle den kleinen Bruder einstellen. „Ich wollte, dass du dir deinen Reichtum selbst erarbeitest“, sagte der große Bruder. „Denn nun bist du reich, aber du hast dir alles selbst verdient und wirst dein Geld nicht mehr einfach vergeuden.“ Und so war am Ende aller Streit vergessen und die beiden Brüder führten die Firmen gemeinsam bis zu ihrem Tod.