von Karin Lohr
Möglicherweise liegt es an meiner Erinnerung an den Spielfilm „Schlaflos in Seattle“ aus den 90er-Jahren mit Meg Ryan und Tom Hanks, dass ich mir Seattle im äußersten Nordwesten der USA als Stadt vorgestellt habe, in der es ausdauernd regnet. Tatsächlich war beim INSP-Treffen Ende Juni der Himmel jeden Tag wolkenlos, und die sommerliche Trocken- und Hitzeperiode hatte dieses Jahr deutlich zu früh eingesetzt, wie unser Gastgeber vor Ort, Tim Harris, Gründer und Chef der Straßenzeitung „Real Change“, erzählte. Wie wichtig solche äußeren Bedingungen für obdachlose Menschen sind, konnte eine Gruppe von Delegierten gleich zu Beginn des Treffens auf einer Tour in eine von mehreren Zeltstädten Seattles erleben. In „Tent City 3“ leben etwa 120 Menschen in größeren Gemeinschafts- und kleineren Campingzelten. Lance, der Sprecher der dortigen Bewohner, meinte, sie seien froh, wenigstens hier einen Platz mit ein paar Bäumen und Schatten zu haben. Die Zeltstädte Seattles existieren mit behördlicher Genehmigung auf privaten und öffentlichen Grundstücken. Alle paar Monate müssen die Zeltstädte abgebaut und an einem neuen Standort, meist am Stadtrand, wieder aufgebaut werden, und es kann gut sein, dass der neue Platz eine Wüste aus Staub und Hitze ist ohne fließendes Wasser und ohne sanitäre Anlagen, nur mit chemischen Toiletten. Und doch sind die Bewohner froh, dass sie in der Zeltstadt einen Schlafplatz gefunden haben, denn sie sind dort geschützt und sicherer vor Übergriffen. Die Innenstadt Seattles wirkt überhaupt nicht heruntergekommen, es gibt viele kleine Läden, Restaurants und Bars und als Hauptattraktion den „Pike Place Market“, einen großen Markt, auf dem vor allem Lebensmittel und Kunstgewerbe angeboten werden. Einem aufmerksamen Beobachter entgehen jedoch nicht die Schlafplätze von obdachlosen Menschen in der Anlage hinter dem Marktgelände und die Zelte und Unterstände unterhalb der Stadtautobahn, in denen viele campieren. Experten berichteten auf der Tagung, dass die Zahl der Menschen, die auf der Straße leben, steigt. So führen massive Kürzungen in der Gesundheitsvorsorge dazu, dass drogenabhängige und psychisch kranke Menschen nicht im System betreut werden, sondern auf der Straße landen – unter ihnen zahlreiche Kriegsveteranen, die traumatisiert aus dem Irak zurückgekommen sind. Ein paar Hundert Zeltplätze und viel zu wenige Plätze in Unterkünften, für die Menschen Schlange stehen, sind jedoch nur ein Tropfen auf dem heißen Stein bei zuletzt offiziell gezählten 10.047 obdachlosen Menschen in King County.
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Monat: Oktober 2015
BISS-Ausgabe Oktober 2015 | Langzeitarbeitslos
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