Inhalt | Fit in der Stadt| Tanzen, Klettern, Yoga – in München gibt es zahllose Angebote, allein oder mit anderen den Sommer sportlich zu verbringen | 6 Fit ohne Geld: Kostenlose Angebote für Jung und Alt | 14 Keine Angst vor der Förderschule: Manche Kinder sind dort besser aufgehoben | 16 Krieg ist immer eine Niederlage: Im Gespräch mit Heinrich Bedford-Strohm | 22 Tagesstätten, Clubhäuser: Ein Ort für Menschen mit psychischen Erkrankungen | 5 Wie ich wohne | 26 BISS-Verkäufer*innen erzählen, was sie bewegt | Rubriken | 3 Editorial | 29 Patenuhren | 28 Freunde und Gönner | 30 Mein Projekt, Impressum | 31 Adressen
Wer wohnt wie? In der Kolumne geben Menschen aus dem BISS-Netzwerk Einblicke in ihren Wohnalltag. Sie erzählen, wie sie früher gelebt haben, wie sie momentan wohnen und was sie sich für die Zukunft erhoffen.
Protokoll FELICITAS WILKE
Foto: MARTIN FENGEL
Der Sammler
Das Wasser begleitet mich schon mein ganzes Leben lang: Geboren bin ich in Rumänien, wo ich, mit meinen Eltern und meiner Schwester, im Donaudelta, ganz in der Nähe vom Schwarzen Meer, aufgewachsen bin. Später verließ ich meine Heimat, um in Italien Geld zu verdienen. Ich lebte in der Nähe von Bologna und arbeitete unter anderem auf dem Bau und in der Landwirtschaft. Auch hier war die Küste nicht sehr weit weg. Und jetzt wohne ich in Starnberg – nur ungefähr einen Kilometer weg vom See. Ich gehe gern am Ufer spazieren. Im Alltag fehlt mir dafür allerdings die Zeit. So gern ich in Starnberg wohne: Es ist sehr weit weg von den Orten, an denen ich die BISS verkaufe. Bis nach Erding, Zorneding, Poing oder Ebersberg brauche ich mit der S-Bahn für eine Strecke bis zu eineinhalb Stunden. Um fünf Uhr aufzustehen macht mir zum Glück nichts aus. Bevor ich nach Starnberg gezogen bin, habe ich längere Zeit in einer Pension gelebt. Sie lag zwar sehr zentral in München, fast ums Eck vom Marienplatz, aber das Leben dort hatte seine Tücken: Ich habe mir das Zimmer dort mit einem Mitbewohner teilen müssen. Zwischen den Menschen dort kam es immer wieder zu Streit. In meiner jetzigen Wohnung habe ich zwar immer noch einen Mitbewohner, aber er ist auch BISS-Verkäufer und wir kennen und verstehen uns gut. In unserer Erdgeschosswohnung hat jeder sein eigenes Zimmer. Das Bad, die Wohnküche und die Terrasse teilen wir uns. Dort sitzen wir bei schönem Wetter gern zusammen und trinken Kaffee oder rauchen eine Zigarette. Wir zahlen beide jeweils 500 Euro Miete mit allem Drum und Dran. So viel habe ich in der Pension auch schon gezahlt. Besonders mag ich an unserer Wohnung die große und moderne Küche. Ich koche gern und esse eigentlich nie auswärts. Bei McDonald’s war ich vielleicht zweimal in meinem ganzen Leben. Stattdessen gibt es Suppe, wie wir sie in Rumänien gern essen. Mit viel Gemüse und einem Suppenhuhn drin. Wenn ich das Essen einmal vorkoche, habe ich mehrere Tage lang ein gutes Essen, das ich nur noch aufwärmen muss. In unserer Wohnung haben auch vorher schon BISS-Verkäufer gelebt, weshalb wir sie möbliert übernehmen konnten. Mein Bett, das Sofa, die Bilder an der Wand – das war alles schon da. Die Uhr, die am Schrank hängt, gehört aber mir. Es ist mein Hobby, alte Gegenstände zu sammeln und, wenn nötig, wieder herzurichten. Ich sammle alte Münzen und Geldscheine, aber auch antike Uhren. Auf dem Exemplar am Schrank steht die Jahreszahl 1640. Ich habe sie wieder zum Laufen gebracht. Inzwischen kennen viele Bekannte meine Leidenschaft und weisen mich darauf hin, wenn es alte Uhren zu kaufen gibt. Dann freue ich mich über Nachschub. In absehbarer Zeit werde ich mir aber doch mal Möbel zulegen müssen. Ich plane, wieder nach München zu ziehen, nach Freiham. Meine Freundin will aus Moldawien zu mir nach Deutschland kommen, dafür brauchen wir eine gemeinsame Bleibe. Sie freut sich schon darauf, die Wohnung einzurichten – das wird dann eindeutig ihre Aufgabe!
Kein Geld für Fitnesscenter oder Sportverein? Sportangebote, die nichts kosten, gibt es in der ganzenStadt. Egal, ob Sie an Wänden klettern, gemeinsam tanzen oder Fußball spielen wollen, ob Sie jung oder alt sind, viel oder wenig Zeit haben – die Angebotspalette ist so groß, dass bestimmt auch für Sie etwas dabei ist.
Von BENJAMIN EMONTS Fotos HANNES ROHRER
Es ist Sommer, ein Sportpark in den Münchner Isarauen. Ewgenij tänzelt von einem Bein auf das andere, mit seinem Oberkörper weicht er zurück und schnellt immer wieder nach vorn. Aus dieser Haltung heraus krachen im Sekundentakt seine Fäuste auf einen Boxsack. Links, rechts. Links, rechts. Dreierkombinationen. Aufwärtshaken. Eine gerade Linke. Ewgenij, 43, hat das Box-Abc offensichtlich drauf. Der gebürtige Russe, einst oberbayerischer Boxmeister, gehört seit Jahren zum Inventar im Bewegungspark unweit der Brudermühlbrücke. „Ich bin so etwas wie der Hausmeister“, sagt er und lacht. Als während der Corona-Pandemie die Sportvereine zeitweise schließen mussten, hat Ewgenij die Boxsäcke eigenhändig hierhergeschleppt und mit einigen Gleichgesinnten montiert. Seitdem sind sie so eine Art Attraktion. An Tagen mit solidem Wetter boxen Dutzende Menschen in dem Park, Frauen und Männer, Kinder und Jugendliche, Anfänger und Könner. Sie feilen gemeinsam an ihrer Beinarbeit, an ihrer Technik und an der richtigen Schlagdistanz. „Das ist wahrscheinlich der einzige öffentliche Platz mit Boxsäcken in ganz Europa. Das gibt es sonst nur in Kuba. Und da ist Boxen Volkssport“, sagt Ewgenij und grinst. Die meisten Sportarten, zumal mit Geräten, kosten Geld. In den Vereinen sind monatliche Mitgliedsbeiträge fällig, im Fitnessstudio hohe Gebühren, Kletterhallen und Schwimmbäder kosten Eintritt, Tennisplätze muss man mieten. Und doch zeigen Orte wie der in den Isarauen, dass es auch anders gehen kann. Zahlreiche attraktive Sportangebote in der Stadt sind immer noch kostenlos zu bekommen, weil es Initiativen und Menschen gibt, die sich dafür engagieren. Man muss die Orte nur finden.
Als ich meinen jüngeren Bruder besuchte, erzählte dieser mir, dass er so etwas wie Ahnenforschung über unsere Vorfahren betrieben habe. Er hat dabei einige interessante Dinge herausgefunden. Der Name Schuchardt ist zurückzuführen bis ins 12. Jahrhundert. Unser Stammbaum kann bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgt werden. Aus dieser Zeit datiert auch unser Familienwappen: In ihm befindet sich ein aufrecht stehender Löwe in Seitenansicht, links von seinem Kopf ist ein Ritterschild mit einem aufgezeichneten Steuerrad, an der Hüfte des Löwen ein Schwert und ein Ritterhelm. Der Löwe selbst steht hinter einem Schild, auf dem sich ein Schuh mit zwei Brezn darüber befindet. Das ganze Wappen ist schräg mit roten und weißen Streifen schraffiert. Man hat herausgefunden, dass unsere Vorfahren Handwerker waren, Schuhmacher und Bäcker. Einer von ihnen, unser direkter Urahn, tat sich durch besondere Tapferkeit während einer Gefahrensituation in einer Stadt in Ostpreußen hervor, worauf er zum Ritter geschlagen wurde und auch in den Rat der Stadt berufen wurde. Auf ihn geht das Wappen zurück. Mein Bruder ist noch dabei, genauere Details über die Heldentat unseres Vorfahren herauszufinden. Ein Zweig unseres Stammbaums hat auch den Zusatz „von“, also muss unser Vorfahr auch geadelt worden sein. Im Zweig meiner direkten Familie ist das verloren gegangen. Aber leider gibt es auch nicht so tolle Helden als Vorfahren: Mein Urgroßvater war einer der Bürger aus Celle gewesen, die am „Massaker von Celle“ teilgenommen haben. Diese Tat ist ebenfalls geschichtlich belegt. Im April 1945 wurde der große Verladebahnhof in Celle von alliierten Bombern angegriffen. Auf diesem Bahnhof machte ein Transport mit Juden halt, die in die Konzentrationslager gebracht werden sollten. Alle Deutschen, also alle Bewohner von Celle sowie die Waffen-SS, brachten sich während des Angriffs in die Bunker und Schutzkeller in Sicherheit und überließen die Juden draußen sich selbst. Nach Beendigung des Angriffs wurden die Bürger durch die SS bewaffnet und mussten Jagd auf die Juden machen, die überall versprengt in der Gegend versucht hatten, sich zu retten. Die Bevölkerung musste sie suchen und an Ort und Stelle erschießen. In den Akten haben wir gelesen, dass die SS befohlen hatte: „Entweder ihr erschießt die Juden oder wir erschießen euch!“ Mein Urgroßvater hat dafür seine Strafe vor einem britischen Gericht nach dem Krieg erhalten. Da er zu dem Zeitpunkt noch ein Jugendlicher war, erhielt er eine Gefängnisstrafe von drei Jahren. Ein Jahr für jeden Menschen, den er bei dem Massaker erschossen hat. Ganz schön viel Input für mich, den ich erst mal nach und nach verarbeiten muss. Aber mein Familienwappen gefällt mir. Ich werde es mir von einem Kunstschreiner nachbauen lassen. Ich kenne da jemanden, der das bestimmt macht. Darauf freue ich mich.
Seit dem ersten Mai gibt es das Deutschland-Ticket, mit dem man bundesweit im Nah- und Regionalverkehr für 49 Euro monatlich Bahn fahren kann. Natürlich sollten die BISS-Verkäuferinnen und -Verkäufer ebenfalls die Möglichkeiten dieses Tickets nutzen können. Bisher hatten wir Abos des MVV für IsarCards, die jeden Monat an die Verkäufer ausgegeben wurden. Das verhindert Schwarzfahren und macht mobil. Bei der Umstellung merkten wir schnell, dass der Teufel im Detail steckt, und zwar der böse Ungerechtigkeits-Teufel, der für sozial benachteiligte Menschen zusätzliche Hürden schafft. Ich meine nicht so sehr die vom Gesetzgeber erwünschte digitale Abwicklung, denn das Ticket kann man auch persönlich am Schalter bestellen, die Chipkarte wird einem dann zugeschickt. Das können Menschen mit Bildung und Geld aus der Mitte der Gesellschaft, egal welchen Alters. Wer jedoch kein Bankkonto hat oder wessen Konto gesperrt ist, der hat keinen Zugang. Unter armen und insbesondere obdachlosen Menschen sind das gar nicht so wenige. Eine weitere Hürde ist, dass das Deutschland-Ticket nur als Abonnement abgeschlossen werden kann. Wer aber knapp mit Geld ist, rechnet immer und überall mit jedem Euro, auch beim Kauf einer Fahrkarte für 49 Euro, die sicher an anderer Stelle eingespart werden müssen. Und überhaupt, wie soll sich jemand ohne Wohnung, abgekürzt „ofW“ – ohne festen Wohnsitz –, die Chipkarte zuschicken lassen? Wir BISSler konnten bisher alle Fragen klären und danken ausdrücklich den Münchner Verkehrsbetrieben, die uns sehr geholfen haben. Aber beim Deutschland-Ticket muss dringend und schnell nachgebessert werden, sodass es monatlich mit Bargeld am Automaten erworben werden kann. Seinen Namen könnte der Reisende handschriftlich eintragen, wie bisher schon beim Bayernticket. Man stelle sich vor, für die Nutzung eines Pkw-Parkplatzes in der Münchner Innenstadt existierte eine vergleichbare Vorgehensweise – alles nur digital und als Abonnement, das gäbe einen schönen Aufstand. Der Spruch „Ich bin Fußgänger, Rad- und Bahnfahrer und hätte auch gerne einmal einen Verkehrsminister“ gilt auch für sozial benachteiligte Menschen. Dass sie genauso zu Deutschland gehören wie alle anderen, muss man auch bei den Angeboten des Öffentlichen Verkehrs berücksichtigen.