Inhalt | Hoffnungsvoll ins neue Jahr| Ein neues Zuhause für Igor | 6 Kulturdolmetscher: Brückenbauer in der neuen Heimat | 10 Interview mit Steph. Ritter: Hauptsache Gymnasium? | 14 Männerwohnheim Waakirchner: Straße Endlich ein Zuhause |20 Ein unverhofftes Erbe: Die Stiftung BISS blickt auf ein aufregendes Jahr zurück| 5 Wie ich wohne | 24 BISS-Verkäufer*innen erzählen, was sie bewegt | Rubriken | 3 Editorial | 27 Patenuhren | 28 Freunde und Gönner | 30 Mein Projekt, Impressum | 31 Adressen
Wer wohnt wie? In der Kolumne geben Menschen aus dem BISS-Netzwerk Einblicke in ihren Wohnalltag. Sie erzählen, wie sie früher gelebt haben, wie sie momentan wohnen und was sie sich für die Zukunft erhoffen.
Protokoll ANNELIESE WELTHER
Der ewig Umgesiedelte
Foto: Martin Fengel
Ich wohne in einer WG mit zwei anderen BISS-Verkäufern. Unsere Wohnung ist hell, hat ein Bad mit Fenster, eine kleine Küche und einen Raum im Flur, wo wir alle zusammen am Tisch sitzen können, auch mit unseren Gästen. Oft besucht mich mein Sohn, der viel im Ausland unterwegs ist. Er hat mir einen kleinen Eiffelturm mitgebracht, der neben anderen mir lieben Dingen steht, zum Beispiel einem Stier aus Keramik. Denn ich bin im chinesischen Jahr des Stiers geboren, und zwar in der Stadt Iaşi im Nordosten Rumäniens. Das Haus, in dem ich aufwuchs, besaß große Fenster und war sehr geräumig. Die Schwester meiner Mutter und ihre Familie lebten mit uns, ich teilte das Zimmer mit meinem Cousin. Meine Eltern hatten das Haus 1939/40 bauen können, weil mein Vater beim Militär war und ein gutes Einkommen hatte. Das war dann aber auch der Grund, warum wir von dort fortmussten. Im Zweiten Weltkrieg hatte Rumänien zunächst mit Deutschland gemeinsame Sache gemacht, im Sommer 1944 die Fronten gewechselt und anschließend an der Seite der Sowjetunion gekämpft. Stalin veranlasste, dass Rumäniendeutsche und Militärangehörige, wie wir es waren, in die Sowjetunion umgesiedelt wurden. Gerade mal sieben Jahre alt war ich damals. Fortan wohnten wir mit sechs anderen Personen in einem großen Raum innerhalb einer lang gestreckten Holzbaracke in der Nähe von Omsk in Sibirien, über 2000 km von Moskau entfernt. Im Sommer konnte es 35 °C heiß werden, die Winter dagegen waren streng mit bis zu zwei Metern Schnee. In der Schule wurde ich ständig von den russischen Mitschülern verprügelt. Unter den rumänischen und deutschen Kindern, die wie wir dort angesiedelt wurden, hatte ich jedoch Freunde. Mit etlichen habe ich, sofern sie noch leben, immer noch Kontakt. Erst nach dem Tod Stalins durften wir wegziehen, die Sowjetunion aber nicht verlassen. Wir entschieden uns, nach Bessarabien zu gehen, das früher zu Rumänien gehört hatte und heute weitgehend auf dem Gebiet der Republik Moldau liegt. Beruflich folgte ich dem Beispiel meines Vaters und schlug die militärische Laufbahn ein. Ich kam viel rum in der ganzen Sowjetunion, aber auch in Ungarn und in Polen wurde ich stationiert. Dabei hatte ich immer ein Zimmer mit Küche zum Wohnen, auch dann mit meiner Frau. Wir waren 18, als wir uns kennenlernten, und glücklich mit dem, was wir hatten. Später, als mein Sohn vier Jahre alt war, erhielten wir eine Zweizimmerwohnung. 2012 starb meine Frau an einem Herzinfarkt. Ich beschloss, der Armut zu entfliehen und nach Deutschland zu ziehen. Deutschstämmige Freunde von mir, die das schon vor 25 Jahren getan hatten, nahmen mich erst mal in ihrem Reihenhaus in Nürnberg auf. Einer von ihnen half mir, den Job bei BISS zu bekommen. In München teilte ich mir zunächst eine Wohnung mit einem Mann, der aus dem ehemaligen Jugoslawien stammte und bei der Fremdenlegion gewesen war. Wir verständigten uns auf Russisch. Kurze Zeit später konnte ich in dieses WG-Zimmer einziehen. Hier fühle ich mich richtig zu Hause.
2022 ist in der Stiftung viel geschehen: Nach zwei Jahren Corona-Pause konnten endlich wieder Bildungsprojekte gefördert werden und die Zahl der stiftungseigenen Wohnungen erhöhte sich von neun auf elf. Die Stiftung wurde zum ersten Mal als Testamentsvollstreckerin berufen und konnte in diesem Zusammenhang in einen bestehenden Mietvertrag eintreten. Diese Wohnung haben wir an Geflüchtete aus der Ukraine untervermietet.
Angekommen in München: Anna, Igor und Oleksandr
Text HILDEGARD DENNINGER Fotos HANNES ROHRER
Förderung der Bildung im Kongo und vor Ort
Wir haben uns gefreut, als wir im Dezember 2021 einen Förderantrag für das Schulprojekt in der Republik Kongo erhielten, das wir seit Beginn im Jahr 2012 immer wieder unterstützt haben. Somit konnten wir dazu beitragen, dass es weiterging. Der Plan, eine kostenlose Schule im Kongo zu errichten, die sich durch eine Bäckerei finanziert, ist aufgegangen – auch weil die Initiatoren Simon Zimmermann und Rodrick Sampu nie aufgegeben haben. Die Bäckerei ist schon seit 2018 in Kinshasa in Betrieb, in der Schule konnten 2021 die ersten zwei Klassen mit 60 Schülerinnen und Schülern unterrichtet werden. Es sollen jetzt noch zwei Stockwerke mit Platz für 800 weitere Schülerinnen und Schüler dazukommen. Träger des Projekts ist der Verein Centre Ya Bana, der sowohl in Deutschland als auch im Kongo als gemeinnützig anerkannt ist. In der BISS-Ausgabe 11/2022 wurde ausführlich über das erfolgreiche Sozialprojekt berichtet.
Auch hierzulande konnten wir etlichen Erwachsenen und Kindern Deutschunterricht ermöglichen und eine junge Frau unterstützen, die im München-Kolleg ihr Abitur macht. Der Grundschule in der Guardinistraße haben wir eine Förderung für das Projekt „Kinder treffen Künstler“ zukommen lassen.
Eigentum ist Last
Ich habe meinen Mann vor 40 Jahren – abgesehen von der Liebe – auch deswegen geheiratet, weil wir uns einig darüber waren, niemals eine Wohnung zu kaufen, geschweige denn ein Haus zu bauen. Wir wollten in eine Mietwohnung ziehen, bei der Eigentümer oder Hausverwaltung für alle Probleme zwischen Keller und Dach zuständig sind. Wo man sich außer um die Zahlung der Miete und die Reinigung der Wohnung um nichts weiter kümmern muss. Dieser Wunsch war unserer Kindheit und Jugend auf dem Land geschuldet. Wir sind Nachkriegskinder, deren Familien alles verfügbare Geld einsetzten, um Stall, Scheune und Haus zu bauen. Wir wussten daher aus eigener Erfahrung, dass Eigentum nicht nur Geld, sondern auch viel Zeit und Mühe kostet. Wir beide hatten andere Pläne, wie wir leben, unsere Zeit nutzen, wofür wir arbeiten und Geld ausgeben wollten.
Eigentum ist Lust
Damals hätte ich mir nicht vorstellen können, wie froh ich heute bin, wenn die Stiftung Wohnraum erbt oder wir eine Wohnung kaufen können. Und sollten wir jemals ein Grundstück erben – klein oder groß, egal –, dann würde ich heute sogar mit Freuden bauen. Denn das hieße, dass wir wenigstens in unserem Umfeld Wohnungsnot lindern, Mieten deckeln und dem Vertreiben von armen Menschen und Normalverdienern aus den Innenstädten etwas entgegensetzen können. Und gleichzeitig die Schraube kurz anhalten, die Immobilienpreise und Mieten hochtreibt. Wir kennen zu viele Menschen, die schlecht oder gar nicht untergebracht sind, die in prekären Verhältnissen leben und sich keine hohen Mieten leisten können. Deshalb tun wir (fast) alles, um an dauerhaften Wohnraum zu kommen. Das ist mühsam und oft vergebene Mühe, aber manchmal bekommen wir eine Wohnung, auch ohne unser Zutun.
Seit etwa anderthalb Jahren wohne ich in einer Pension, in einem kleinen Raum mit Etagenbett, ich schlafe oben, meine Mitbewohnerin unten. Mit etwa zehn anderen Frauen teile ich mir das Gemeinschaftsbad. Vergangenen Winter hatte ich es schön warm, aber in diesem Herbst geht die Heizung nicht. Warum das so ist, weiß ich nicht genau, ich habe gehört, dass das Jobcenter wohl etwas noch nicht genehmigt hat. Vielleicht hängt das auch mit den Vorfällen im Haus zusammen: Eine Frau hat einen Menschen getötet und dann ihr Zimmer in Brand gesetzt. Nun sitzt sie im Gefängnis. Wie auch immer, von der Kälte tut mir mittlerweile mein Rücken weh. Nach der Arbeit brauche ich Ruhe, will mir was kochen und auf dem Bett entspannen wie andere Leute auch. Wenn ich aber momentan nach Hause komme, ist es kalt und es stinkt nach Zigaretten, denn meine Mitbewohnerin raucht und trinkt. Sie ist ständig betrunken und schaut fern. Sauber macht sie nie. Der Tag beginnt bei mir um fünf Uhr morgens, dann stehe ich auf, trinke einen Kaffee und kann es kaum erwarten, wieder an der frischen Luft zu sein. Oft sage ich zu Gott: „Herr, ich kann nicht mehr!“ Ich fühle mich wie getrieben, ohne jeglichen Halt. So kann ich nicht weiterleben. Darum war ich beim Jobcenter, um etwas Neues zu kriegen, vielleicht auch mit meiner BISS-Kollegin Valeria zusammen. Sie wohnt auch in einer Pension, aber es ist viel besser dort. Auch könnte ich sie im Alltag unterstützen, da sie krank ist und Probleme mit dem Rücken und den Beinen hat. Mein größter Wunsch ist es aber immer noch, mit meinem kleinen Sohn zusammenzuleben. Auf jeden Fall will ich aber leben, wie es sich für einen Menschen gehört. Aber man weiß nie, an welchem Ort das Glück Gottes einem begegnet.
Um die hohen Energiekosten geht es auch bei BISS. Die Herausforderung ist, dass zu erwartende Nachzahlungen so sicher sind wie das Amen in der Kirche, es sich aber die wenigsten vorstellen können, dass man bereits für eine vergleichsweise kleine Wohnung mit einer Nachzahlung im höheren dreistelligen Bereich rechnen muss. Es bringt nichts, den Leuten Angst zu machen, denn es soll ja keinesfalls jemand in einer kalten Wohnung sitzen und frieren. Aber wir wollen den Verkäuferinnen und Verkäufern und ihren Familien das Thema näherbringen, Tipps zum Energiesparen geben und überhaupt alle motivieren, das Möglichste zu versuchen, so wenig Energie wie möglich zu verschleudern. Unsere Weihnachtsfeier Ende vergangenen Jahres mit rund 100 Gästen bot eine gute Gelegenheit, unseren internen Energiespar-Wettbewerb mit Prämien und attraktiven Gewinnen vorzustellen. Wir machen es wie andere Firmen auch und gründeten eine Taskforce, für die wir zwei Mitarbeiterinnen oder besser „Energiebotschafterinnen“ benannten, unsere Werkstudentin Rita und Shifo aus Tadschikistan, unsere Bundesfreiwillige. Die beiden werden den BISSlern ab Mitte Januar in kleinen Gruppen erklären, wie sich die Miete für eine Wohnung berechnet, welchen Anteil daran Strom-, Heiz- und Warmwasserkosten haben und wie im Einzelfall der individuelle Verbrauch im Vergleich zu den Durchschnittswerten einzuordnen ist. Darüber hinaus haben wir für Interessierte wassersparende Duschköpfe und Sparperlatoren besorgt, die kann sich jeder, der möchte, kostenlos von einem Fachmann installieren lassen. Zwei Strommessgerät zum Ausleihen haben wir auch angeschafft. Kleine Schritte zwar, aber ein Anfang, der die Betroffenen zum Handeln bewegen soll. Unsere 50 angestellten Verkäufer haben im September 2022 mit dem Gehalt eine Zahlung des Bundes bekommen. Viele von ihnen beziehen keine Sozialleistungen mehr und haben voraussichtlich Anspruch auf eine Einmalzahlung aus dem 20-Millionen-Euro-Wärmefonds, den die Stadtwerke München bereitgestellt haben. Für die Auszahlung an einkommensschwache Haushalte wird es in mehreren Münchner Stadtvierteln Orte geben, an die sich Hilfesuchende persönlich wenden können. Einzelheiten werden in der Tagespresse noch bekannt gegeben. Das Energiesparen wird uns jedoch nicht daran hindern, in diesem Jahr auch ausgiebig zu feiern: unser 30-jähriges Jubiläum nämlich. Und das bietet Anlass für die „BISS-Begegnungen“, bei denen Sie immer freitags von 9.30 bis 10.00 Uhr im BISSBüro mit einem unserer Verkäufer ins Gespräch kommen können. Schauen Sie einfach ohne Anmeldung vorbei, wir freuen uns auf Sie!
Ich wünsche Ihnen ein gutes neues Jahr mit tollen Plänen, anregenden Begegnungen und natürlich viel Energie!