Inhalt | Funkelnde Sterne | Zurück und nach vorne schauen: Vieles war im zurückliegenden Jahr schwierig, aber es gibt auch Positives zu berichten, zum Beispiel von unseren Hokis | 6 München wird grüner: Was aus den Hokis geworden ist | 12 Interview mit Prof. Stefan Selke: Menschen kann man retten, aber kein Essen | 16 Cohaus Kloster Schlehdorf: Vom Kloster zum genossenschaftlichen Wohnen | 24 Eine Patenuhr für … Unsere fest angestellten BISS-Verkäufer suchen Paten für 2023| 5 Wie ich wohne | 22 BISS-Verkäufer*innen erzählen, was sie bewegt | Rubriken | 3 Editorial | 28 Patenuhren | 29 Freunde und Gönner | 30 Mein Projekt, Impressum | 31 Adressen
Wer wohnt wie? In der Kolumne geben Menschen aus dem BISS-Netzwerk Einblicke in ihren Wohnalltag. Sie erzählen, wie sie früher gelebt haben, wie sie momentan wohnen und was sie sich für die Zukunft erhoffen.
Protokoll ANNELIESE WELTHER
Der gern Freunde um sich hat
Foto: Martin Fengel
Selten kommt es vor, dass man in eine ganz neu fertiggestellte Wohnung einzieht. Mir war das vor ein paar Jahren vergönnt, als ich mein Einzimmerappartement in Schwabing erhielt, einer Gegend mit vielen Familien. Ein absolutes Kontrastprogramm zu meiner vorherigen Situation: Fünf Jahre lang teilte ich mir ein Zimmer in einer Pension. Anfangs war mir dort etwas mulmig zumute, doch dann freundete ich mich mit meinen beiden Mitbewohnern an. Oft ging es turbulent zu, und nicht selten war die Polizei im Haus. Zweimal hatte ich das Vergnügen, dass Wasser von der Decke tropfte. Der Nachbar von oben hatte vergessen, die Dusche abzudrehen. Ein anderes Mal schmiss einer einen Stuhl und ein Fernsehgerät aus dem Fenster. Eines Morgens ging ich los, um die BISS zu verkaufen, da kamen mir von draußen vermummte Beamte, in Schutzkleidung und mit einem Rammbock ausgestattet, entgegen. Als ich nach der Arbeit zurückkehrte, erfuhr ich, dass sie in unserem Zimmer gewesen waren! Einer meiner Mitbewohner hatte seine Freundin bedroht. In meiner jetzigen Wohnung habe ich mich zunächst daran gewöhnen müssen, dass nicht immer jemand zum Reden da ist. Dabei habe ich schon zuvor allein gelebt, als ich mit 19 von zu Hause ausgezogen bin und eine Dachgeschosswohnung nur für mich hatte. Bis tief in die Nacht hinein spielte ich dort mit meinen Freunden auf der Playstation. Nach zwei Jahren musste ich die Wohnung für den Wehrdienst aufgeben. Bei der Grundausbildung war ich mit fünf weiteren Wehrpflichtigen in einem Zimmer untergebracht. Jeden Morgen weckte uns der Schrei des Offiziers vom Dienst. Nach der Körperpflege mussten wir unser Zimmer putzen. Bei der anschließenden Kontrolle hatte der Offizier immer etwas zu beanstanden. Als Kind hatte ich mit meinen Eltern immer in ländlich gelegenen Dienstwohnungen gelebt, was sehr langweilig war. Freunde zum Spielen gab es nicht. Wenn ich mal einen Schulkameraden besuchen wollte, musste ich drei Kilometer radeln. Aber ich hatte ein eigenes Zimmer, in dem ich alle möglichen Sachen auseinanderschraubte. Nach meiner Wehrdienstzeit zog ich wieder bei meinen Eltern ein. Sie überredeten mich, zu meinem zehn Jahre älteren Bruder nach München umzusiedeln, da die Chancen, eine Arbeit zu finden, dort größer wären. Eine Zeit lang wohnte ich bei ihm und seiner Familie, bis ich in eine Einzimmerwohnung einzog – fast so eine, wie ich jetzt habe, nur etwas kleiner. Ich hatte wechselnde Jobs, wurde arbeitslos und musste meine Bleibe aufgeben. So landete ich in der Pension und dann hier. In der Wohnung gibt es immer etwas, was mir nicht mehr gefällt und verändert werden muss. Als Nächstes werde ich die Wände streichen, denn mit der Zeit ist hier ein Fleck entstanden und dort einer, das nervt mich. Glücklich bin ich über meinen Balkon, wo ich rauchen kann. Dort grille ich zudem hin und wieder mit Freunden, die mich häufig besuchen. Wir kochen auch zusammen oder planen den nächsten gemeinsamen Urlaub.
Pflanzen in Fahrradschläuchen? Vor eineinhalb Jahren entstand die Idee, Pflanzgefäße aus alten Fahrradschläuchen zu entwickeln, zu bepflanzen und so die Stadt ein wenig grüner zu machen.
Fotos und Text: MARGIT ROTH & HANS ALBRECHT LUSZNAT
STEFAN ANDL Mit dem Pulpo-Rad brachte er die HOKIs in ihr neues Zuhause
Die Hokis, so heißen die Pflanzgefäße, sollten aber nicht nur ein Beitrag für ein klimafreundlicheres München sein, sondern auch Menschen Arbeit geben und die Möglichkeit, mehr über ökologische Zusammenhänge zu erfahren und obendrein gemeinsam etwas Schönes zu erleben. Im Oktober letzten Jahres machten wir uns – Mitarbeitende aus der Nähwerkstatt, von Dynamo, Pulpo und BISS – auf den Weg zur Staudengärtnerei Spatz in Oberhausen bei Peißenberg, um die Hokis gemeinsam zu bepflanzen. Im Winter lagerten die Gefäße auf Balkonen und in Hinterhöfen. Als die ersten Schneeglöckchen zu sehen waren, wurden die Blumentöpfe verkauft und mit dem Lastenfahrrad ausgeliefert. Viele der Kunden, die innerhalb Münchens wohnen, haben dabei Stefan Andl kennengelernt. Er war es, der mit bis zu sechs Pflanzsäcken durch München radelte. „300 Kilometer bin ich mit dem Lastenrad kreuz und quer durch die Stadt gefahren, bis alle Pflanzgefäße ausgeliefert waren“, erzählt Andl. „Die meisten Kunden bestellten nicht nur einen, sondern gleich zwei oder drei Pflanzsäcke. Es waren noble Büroadressen dabei, aber auch ganz einfache Mietshäuser.“ Beim Ausliefern erlebte Andl die unterschiedlichsten Reaktionen. „Die allermeisten freuten sich, wenn ich ihnen ihren Hoki überreichte. Es kam aber auch vor, dass die Empfänger gar nichts von ihrem Glück wussten, weil es sich um ein Geschenk handelte. Einer fragte mich sogar, was er denn jetzt tun solle. Ich antwortete ihm: ‚Am besten regelmäßig gießen.‘“
Dieses Jahr war kein leichtes und es wird in die Geschichte eingehen. Es wird uns wohl noch lange in Erinnerung bleiben. Zu Jahresbeginn waren wir erleichtert, als das Corona-Virus langsam nachließ, und es herrschte eine große Aufbruchsstimmung in unserem Land. Aber dann kam der Krieg und Europa hielt den Atem an. Kaum zu glauben, dass Russland in die Ukraine einmarschiert ist und Teile des Landes besetzt hat. Ich habe mich mit vielen Leuten unterhalten, und jeder hatte Angst, denn die meisten hatten das alles schon mal erlebt. Meine neuen Nachbarn sind zwei Frauen mit drei Kindern aus Kiew. Sie erzählen oft vom Krieg. Die Kinder gehen in die Schule und sind sehr brav und anständig. Anfang des Sommers kam die Nachricht, dass der Strom und das Gas teurer werden. Preisanstieg der Lebensmittel, Inflation und dann der Hitzesommer, sodass wir in manchen Gebieten Waldbrände hatten, das Wasser knapp wurde und manche Flüsse austrockneten. An einigen Tagen war es mir nicht möglich, zu arbeiten, da es mir schlichtweg zu heiß war. Wahrscheinlich ist der Klimawandel schuld an allem und wir sollten uns in den nächsten Jahren darauf einstellen, dass es so bleibt. Jeden Tag erreichen uns neue Schocknachrichten und die Politiker vertrösten uns mit Sonderzahlungen und staatlichen Hilfen, aber das reicht nicht aus. Die Leute haben immer mehr Angst, wenn die Strom- und Gasrechnung kommt. Zur Freude für viele Münchner fand aber das Oktoberfest nach zwei Jahren Pause wieder statt. Doch für mich ist das kein Volksfest mehr, denn das Vergnügen kostet viel Geld auf der Wiesn. Das konnte und wollte ich nicht unterstützen und im Hintergrund lauerte auch noch Corona. An dieses Jahr werden wir uns alle noch erinnern als eines der schwierigsten der letzten Jahrzehnte. Mich hat auch der Tod der englischen Königin bestürzt, die ja lange Zeit auf dem Thron saß und für viele Menschen auf der ganzen Welt eine große Monarchin war. In der Advents- und Weihnachtszeit möchte ich mich ein wenig zurückhalten und mich nicht dem Einkaufsstress und dem Konsum hingeben. Viel wichtiger ist es, an ein neues, friedliches und hoffentlich besseres Jahr zu denken – ohne Krieg und extreme Preisanstiege, an eines, in dem es für uns Menschen wieder bergauf geht. Ich wünsche allen BISS-Lesern und Stammkunden eine besinnliche und schöne Weihnachtszeit und vor allem viel Gesundheit!