Thema | Sommerzeit | Liebe über Grenzen hinweg, Große und Kleine, die die Welt ein wenig besser machen wollen, und das Zusammenleben mit einer geflüchteten Familie | 6Umweltschulen: Klimaschutz, ganz praktisch | 12 Binationale Partnerschaften: Nicht immer leicht, aber sehr bereichernd | 16 Interview: Der Schauspieler Ralf Bauer | 20 Wie also helfen? Über das Zusammenleben mit einer ukrainischen Familie | 26 Endlich Deutscher: Tibor Adamec ist eingebürgert worden | 5 Wie ich wohne | 24 BISS-Verkäufer*innen erzählen, was sie bewegt | Rubriken | 3 Editorial | 27 Patenuhren | 28 Freunde und Gönner | 30 Mein Projekt, Impressum | 31 Adressen
Wer wohnt wie? In der Kolumne geben BISS-Verkäuferinnen und -Verkäufer Einblicke in ihren Wohnalltag. Sie erzählen, wie sie früher gelebt haben, wie sie momentan wohnen und was sie sich für die Zukunft erhoffen.
Der aus Unterschleißheim
Protokoll ANNELIESE WELTHER
Foto MARTIN FENGEL
Die 2-Zimmer-Wohnung, die ich mir mit einer BISS-Kollegin teile, liegt ganz oben in einem fünfstöckigen Mehrfamilienhaus inmitten eines Wohngebiets in Unterschleißheim. Unser Gebäude ist das höchste in der Umgebung und ich kann über die vielen kleinen Häuser mit ihren Gärten drum herum bis hinaus auf die Felder blicken. Zu meinem Verkaufsplatz in der Münchner Innenstadt habe ich einen langen Weg: Zuerst fahre ich mit der S-Bahn, dann mit der U-Bahn und dann noch ein Stück mit der Tram. Dennoch bin ich mit meiner Wohnsituation sehr zufrieden, mir gefällt es, dass ich so ruhig und ländlich lebe. An zwei Tagen in der Woche verkaufe ich auch in Unterschleißheim. Die BISS kommt bei den Leuten hier draußen gut an. Meine Käufer sind ganz unterschiedlich, Junge, Alte, Familien, jedoch alle ganz bodenständige Menschen, die sich für mich interessieren und auch immer mal wieder fragen, ob ich etwas benötige. Aber auch über die Käufer in München drin kann ich nur Gutes berichten. Einige von ihnen haben selbst schwere Krisen durchlebt und teilen dennoch das Wenige, das sie haben, mit mir. An meiner Wohnung gefällt mir, dass sie über alles verfügt, was man braucht: Küche, Bad, einen Balkon und ein Kellerabteil. Lange Zeit habe ich von so etwas nur geträumt, zum Beispiel, als ich in meinem Heimatland Rumänien als Schafhirte in einer nach vorn offenen Holzkiste mitten auf dem Feld wohnte, deren Grundfläche gerade mal so groß wie meine Matratze war. Waschen musste ich mich am nahe gelegenen Bach. Damals wünschte ich mir sehnlichst, ich würde in der Fabrik arbeiten und in einer Wohnung leben. Bis zu meinem neunten Lebensjahr hatte ich bereits mit meiner Mutter in einem Wohnblock gewohnt. Rosig war diese Zeit allerdings auch nicht, immer wieder gab es Reibereien zwischen uns. Ganz eskalierte die Lage, als sie sich wieder verheiratete und noch ein Kind erwartete, da musste ich ins Heim. Als ich viele Jahre später nach Bukarest gelangte, konnte ich mir dort keine Wohnung leisten, also schlief ich auf Parkbänken. Sogar in einem Kanalschacht übernachtete ich mal, auf den warmen Heizungsrohren. Tagsüber arbeitete ich auf einer Baustelle. Dort gelang es mir, aus Stellwänden ein Kabuff zusammenzuzimmern, wo ich behelfsmäßig bleiben konnte. Dem Leiter der Baustelle gefiel das ganz gut, da somit der Platz auch nachts bewacht war. Ich besorgte mir einen speziellen Draht, den man normalerweise in Öfen hat, legte ihn auf einen Ziegelstein, erhitzte ihn und konnte mir so was zu essen kochen. Eine bessere Lebenssituation erhoffte ich mir in Deutschland, doch auch hier musste ich fast drei Jahre auf der Straße leben. Mein Tagesablauf sah damals folgendermaßen aus: Nach der Arbeit auf dem Bau kehrte ich um 17 oder 18 Uhr zurück, saß auf einer Parkbank, bis die Leute langsam nach Hause gingen, legte dann einen Karton auf den Boden und darauf meinen Schlafsack. So schlief ich bis sechs Uhr morgens. An dem Springbrunnen wusch ich mich. Wenn ich zur Arbeit ging, versteckte ich den Schlafsack und meinen Kleiderbeutel im Gebüsch. Zum Glück sind diese Zeiten vorbei.
Tibor Adamec ist ein BISSler der ersten Stunde. Er ist einer der ersten drei Verkäufer, die schon 1998 fest angestellt wurden. Seitdem verkauft er die Straßenzeitung an seinem Verkaufsplatz am Marienplatz im Zwischengeschoss, stets freundlich und gut gekleidet, zur Freude seiner vielen Stammkunden, die ihn sofort vermissen, wenn er einmal nicht zur gewohnten Zeit am späteren Vormittag erscheint. Tibor Adamec ist mit sich im Reinen.
Text KARIN LOHR
Foto: Magdalena Jooss
Fleißig und diszipliniert hat er sich ein gutes Leben aufbauen können. Es gab eigentlich nur einen Punkt, der ihm Verdruss bereitete: Er war staatenlos. Ein erster Versuch, die deutsche Staatsbürgerschaft zu erlangen, hat vor vielen Jahren nicht gleich geklappt. Damals war Herr Adamec auch ein bisschen gekränkt, weil er den Eindruck hatte, dass Deutschland ihn nicht als neuen Bürger haben wollte. Der zweite Anlauf, begleitet von unserer Werkstudentin Rita Rostschupkin, lief besser und so kam endlich der langersehnte Tag, an dem Herrn Adamec die deutsche Staatsangehörigkeit verliehen wurde. Das Kreisverwaltungsreferat in der Ruppertstraße ist ein eher schmuckloser Ort, aber Tibor Adamec hat der Behörde an diesem für ihn besonderen Tag Glamour verliehen: Er war wie aus dem Ei gepellt, makellose weiße Jeans, weißes Hemd, schwarz-weiß gemustertes Sakko und Krawatte, mutig im Mustermix und natürlich mit Hut! Fast hätte ihn der Pfortendienst zum Standesamt geschickt, als er sich mit dem Strauß roter und weißer Pfingstrosen nach der angegebenen Zimmernummer erkundigte. Dort lief alles reibungslos, Herr Adamec unterschrieb, nahm die Urkunde in Empfang und am Ende strahlten alle Anwesenden vor Freude und Erleichterung. Natürlich hat Herr Adamec Pläne: Erst einmal will er verreisen, dazu braucht er einen Reisepass, den hat er gleich zwei Tage später beantragt. „Einmal wollte ich nach Dubai, da haben sie mich nicht reingelassen“, das könnte ihm jetzt nicht mehr passieren. BISS-Leser Reinhold H. mailte: „Ich wünsche Herrn Adamec noch eine sehr lange Reihe von sehr guten Jahren in München“ – danach sieht es aus!
Als ich im August 2006 bei BISS anfing, wollte ich eigentlich nur einige Tage hier in München Station machen, um ein wenig Reisegeld zu verdienen. Ich war als Obdachloser auf der Wanderschaft und bestens ausgerüstet mit Ruck- und Schlafsack, Koch- und Essgeschirr und so weiter – alles war vorhanden. Allerdings brachte ich auch schon meinen Diabetes und andere nicht ansteckende Erkrankungen mit. Da der Verkauf für mich sehr gut anlief, reiste ich dann nicht wie geplant weiter, sondern beschloss, länger zu bleiben. Mittlerweile bin ich jetzt im 16. Jahr bei BISS angestellt. Es gibt immer wieder Menschen, die mich fragen, warum ich dieses Magazin verkaufe und nicht was „Richtiges“ arbeite. Laut deren Meinungen sei ich doch meiner körperlichen Beschaffenheit nach in der Lage, was ganz anderes zu machen. Nun ja, ich sehe zwar äußerlich aus wie eine deutsche Eiche, aber innerlich ist diese – symbolisch gesehen –mittlerweile ziemlich hohl. Die Folgeerkrankungen durch meinen Diabetes und meine Stoffwechselstörung sind so extrem, dass es mir mittlerweile unmöglich ist, einer anderen Tätigkeit nachzugehen. Außerdem geht es den Verkäufern, die sich an die Verkaufsregeln halten, wirklich gut. Einkommen stimmt, Betriebsklima passt auch, nette Kundschaft, also was will man mehr? Ich verkaufe die BISS, weil ich von dem Projekt absolut überzeugt bin und weil ich viel Freude dabei habe. Außerdem bin ich mit meiner Frau und den drei Kindern durch den Verkauf finanziell unabhängig von Sozialleistungen, wobei meine Frau ihren Teil mit einem Job als Hauswirtschafterin dazu beiträgt.