Thema | Dazugehören und mitwirken | Es gibt viele Möglichkeiten, um sich in einer Gemeinschaft eingebunden zu fühlen | Ehrenamt: Jeder und jede kann Sinnvolles tun | 12 Hometreatment: Psychische Krisen zu Hause bewältigen | 16 Einbürgerung: Eine Schweizerin will Deutsche werden |20 Who’s next? Ausstellung der TU München im Museum für Architektur der Pinakothek der Moderne | | 5 Wie ich wohne | 22 BISS-Verkäufer*innen erzählen, was sie bewegt | Rubriken | 3 Editorial | 24 Patenuhren | 25 Freunde und Gönner | 30 Mein Projekt, Impressum | 31 Adressen
Werwohnt wie? In der Kolumne geben BISS-Verkäuferinnen und -Verkäufer Einblicke in ihren Wohnalltag. Sie erzählen, wie sie früher gelebt haben, wie sie momentan wohnen und was sie sich für die Zukunft erhoffen.
Protokoll Anneliese Welther
Der Mann mit der Zither
Foto: Martin Fengel
Als ich vor 16 Jahren in meine Zweizimmerwohnung zog, musste ich mich erst einmal daran gewöhnen, eine feste Bleibe zu haben. Viele Jahre war ich obdachlos gewesen. Auf der Straße ist man frei, hat keine Verpflichtungen und keine Verantwortung. Ich hatte meine Bekannten, mit denen ich tagsüber rumsaß und abends „auf Platte ging“, so nannten wir das, wenn wir uns schlafen legten. Nachdem ich in die Wohnung gezogen war, schaffte ich mir zwei Katzen an, um so einen Grund zu haben, nach Hause zu kommen. Es gesellte sich noch ein Hund hinzu, von dem ich dachte, er würde aufgrund seiner Epilepsie vielleicht noch ein halbes Jahr bei mir leben. Daraus wurden zehn Jahre. Leider sind alle drei Tiere bereits verstorben, aber sie sind noch in meiner Nähe, ihre Urnen stehen im Regal meines Wohnzimmers. Mittlerweile habe ich wieder einen Hund. Vor vier Jahren fragte mich eine Kundin, ob ich einen damals fünf Monate alten Welpen nehmen möchte. Seitdem leistet mir die kleine Hündin Gesellschaft beim Verkaufen. Das Geschenk einer anderen Kundin ist das Schmuckstück meiner Wohnung: eine hundert Jahre alte Zither. Das Spielen bringe ich mir selbst bei. Zuerst habe ich gelernt, Noten zu lesen, und jetzt übe ich jeden Tag, an Arbeitstagen etwa eine Viertelstunde, am Wochenende und an Feiertagen anderthalb bis zwei Stunden. Einmal im Monat kommt ein Bekannter und erklärt mir Dinge, die ich noch nicht kann. Die Zither ist ein schwieriges Instrument, da muss man am Ball bleiben. Morgens um halb fünf Uhr stehe ich auf. Wenn ich so früh dusche, habe ich warmes Wasser. Ich wohne im Erdgeschoss, das heißt, wenn jemand über mir auch duscht, kriege ich plötzlich nur noch kaltes Wasser. So früh am Morgen passiert das nie. Bleibt mir mal nichts anderes übrig, als nachmittags kalt zu duschen, ist das jedoch auch kein Drama. Das soll ja gesund sein. Man muss sich eben arrangieren. Aber das muss man ja immer im Leben. Das war schon so, als ich als Kind das Zimmer mit meinen beiden Brüdern teilte. Wir waren damals insgesamt fünf Geschwister und lebten mit den Eltern im tiefsten Ruhrpott, wo im Laufe der Zeit eine Kohlezeche nach der anderen geschlossen wurde. Wegen der hohen Arbeitslosigkeit hat es mich nach München verschlagen, in die „Weltstadt mit Herz“. Mittlerweile finde ich es sehr angenehm, ein Zuhause zu haben, wo man abschalten und schöne Dinge machen kann. Das Wichtigste an meiner Wohnung ist für mich, dass sie gemütlich ist. Etliche Dinge habe ich vom Flohmarkt oder vom Wertstoffhof. Bevor ich ein Teil neu kaufe, schaue ich, ob ich dort etwas bekomme. Alle fünf Jahre streiche ich die Wohnung. In meiner ersten Zeit hier hatte ich bunte Wände. Jetzt finde ich aber, dass Weiß doch am schönsten ist. Jeden Monat lege ich 100 Euro zurück, um sie in meine Wohnung zu investieren. Einmal habe ich einen Kleiderschrank gekauft, ein anderes Mal neue Vorleger für den Fußboden. Es ist das erste Mal, dass ich Interesse an einer Wohnung habe. Durch sie habe ich wieder einen Lebenssinn gefunden. Ich bin sehr zufrieden, dass ich mich so gewandelt habe.
„Wir sind bei den Patienten zu Hause, wir sind die Gäste“
Illustration: ELEANOR DAVIS
Von BERNHARD HIERGEIST
Menschen mit psychischen Erkrankungen können sich immer öfter auch zu Hause behandeln lassen. Eine Behandlungsform mit Vorteilen, die sich allerdings nicht für jeden eignet.
Man hat sich in der Covid-Pandemie daran gewöhnt, dass vieles zu Hause stattfindet – oder gar alles. Angestellte haben sich im Homeoffice eingerichtet, Schulunterricht und Konferenzen finden teilweise per Videotelefonat statt. Vom Wohnzimmer aus lassen sich Konzerte besuchen. Aber eine psychische Erkrankung in den eigenen vier Wänden behandeln lassen? Das wirkt doch noch ungewöhnlich, auch in diesen Zeiten. „Hometreatment“ lautet ein Schlagwort der jüngeren Vergangenheit, also „Behandlung zu Hause“. „Stationsäquivalente Behandlung“ (StäB) lautet ein anderes. Beides sind Behandlungsformen für Menschen mit psychischen Erkrankungen, jedoch gibt es ein paar feine und doch bedeutende Unterschiede. Und beide sind keine Begleiterscheinungen von Corona, wie man vielleicht vermuten würde. Es gibt sie schon länger, nur verbreitet sich diese Information eher langsam. Denn die psychiatrische Versorgung in Deutschland ist eben sehr kompliziert aufgebaut. Das kbo-Isar-Amper-Klinikum des Bezirks Oberbayern etwa bietet die StäB schon seit 2018 an. Dabei handelt es sich um eine „intensive aufsuchende akutpsychiatrische Behandlung“, wie Chefärztin Eva Ketisch erklärt. Patienten mit psychischen Erkrankungen werden dabei über einen Zeitraum von mehreren Wochen von einem Team aus Ärzten, Pflegekräften und Therapeuten behandelt – mit den gleichen therapeutischen Mitteln wie in einer Klinik, aber eben in ihrem Zuhause. „Auch wenn das Team täglich zu einem nach Hause kommt, leisten wir keine dauerhafte Betreuung“, sagt Ketisch. Die StäB habe einen akuten Anlass, ein klares Behandlungsziel und sei nach einigen Wochen abgeschlossen wie ein stationärer Aufenthalt. Fünfzehn Mitarbeitende sind, ausgehend von der Station in der Lindwurmstraße, mit Autos und E-Bikes im Stadtgebiet unterwegs. Als grobe Daumenregel gilt: Die Patienten müssen in etwa 20 bis 30 Minuten erreichbar sein, damit das Team die Arbeitszeit nicht größtenteils im Auto verbringen muss. Knapp 20 Patienten können das StäB-Angebot gleichzeitig in Anspruch nehmen. Auch Corona hat daran nichts geändert: Während der ersten Infektionswelle im Frühjahr 2020 sei die Arbeit etwas heruntergefahren worden, sagt Ketisch. Anschließend ging es mit Sicherheits-und Hygienemaßnahmen weiter wie zuvor.
An meinem Verkaufsort am Odeonsplatz gibt es ein Restaurant, in dem ein Kellner arbeitet, der mir immer mal wieder einen Kaffee ausgibt. So war es auch am 11. Oktober 2021. Ich saß draußen auf der Terrasse, trank einen Espresso und rauchte eine Zigarette. Als ich fertig war, wollte ich gleich mit dem Verkaufen starten und bot die BISS den anderen Gästen an. Da bekam ich plötzlich keine Luft mehr. Eine Kellnerin erkundigte sich, was mit mir los sei. Ich sagte nur: „Holen Sie bitte einen Krankenwagen!“ Das tat sie auch. Zehn Minuten später traf er ein. Ich konnte zuvor noch meinen Sohn erreichen, der rechtzeitig kam, um mit seinem Auto dem Rettungswagen ins Krankenhaus zu folgen. Dort wurde ich in die Notaufnahme gebracht. Nach den Untersuchungen erklärte mir ein Arzt, was mit mir los ist. Er war glücklicherweise Syrer, und ich konnte mich mit ihm auf Arabisch unterhalten. Ich hatte Wasser in der Lunge, und meine Herzklappe musste gegen eine künstliche ausgetauscht werden. Drei Wochen blieb ich im Krankenhaus. Davon musste ich die meiste Zeit im Bett verbringen. Am Leben hielt mich vor allem, dass ich mein Handy dabeihatte und mit meiner Familie und meinen Freunden telefonieren konnte. Auch gab es ein Besucherzimmer, wo ich meine Kinder und meine Frau sehen konnte. Seit der Operation habe ich zwei lange Narben auf der Brust, einen Längsschnitt und einen, der quer von einer Seite zur anderen verläuft. Die beiden Narben schmerzen mich noch immer. Auch muss ich auf dem Rücken schlafen, was mir als Seitenschläfer schwerfällt. Tagsüber trage ich eine Weste, nur nachts darf ich sie ausziehen. Mir wird dreimal täglich Blutdruck, Zucker und Fieber gemessen. Nach dem Krankenhausaufenthalt war ich noch auf Reha in Bernried am Starnberger See. Bis 15.30 Uhr hatte ich dort lauter Termine, entweder ich wurde untersucht oder ich bekam eine Massage, musste auf dem Fitnessrad trainieren und so weiter. Um anschließend die schöne Landschaft zu genießen, war das Wetter leider etwas zu kalt. Jeden Sonntag besuchten mich meine Frau und meine Kinder. Zwei katholische Geistliche aus dem Kloster kamen auch zu mir. Sie haben mit mir gebetet und mir die Kommunion verabreicht. Herr und Frau Denninger waren ebenso da. Vielen Dank an dieser Stelle für das Geschenk von Frau Lohr, das sie mitbrachten. Es rührt mich, dass viele andere über Facebook von meiner Operation gehört und für mich gebetet haben. Bei meinen Kunden und Kundinnen entschuldige ich mich, dass ich eine Zeitlang nicht für sie da sein konnte.
Es war einmal ein Mietshaus in der Thalkirchner Straße, das verkauft und so zum Spekulationsobjekt auf dem Münchner Immobilienmarkt wurde. Der letzte Eigentümer in einer Reihe von Investoren hat angeblich 19,5 Millionen Euro für das Anwesen bezahlt und musste Ende vergangenen Jahres Insolvenz anmelden. Beeindruckend ist, dass eine Gruppe engagierter Bewohner des Mietshauses nicht aufgegeben und erreicht hat, dass die Stadt München mit dem Insolvenzverwalter über einen möglichen Ankauf verhandelt. Leider ist es der Stadt seit einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts Anfang November 2021 in einer Reihe von anderen Fällen untersagt worden, zum Verkauf stehende Wohnhäuser zu erwerben. Denn ihr Vorkaufsrecht auf Grundlage des §26 des Baugesetzbuches darf die Stadt nur eingeschränkt ausüben. Für jemanden, der nicht jeden Tag mit Baurecht zu tun hat, ist das schwer zu verstehen. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts legt fest, dass das Vorkaufsrecht durch die Stadt nur ausgeübt werden darf, wenn der aktuelle Zustand der Immobilie gegen das Gesetz verstößt. Das Vorkaufsrecht darf jedoch nicht ausgeübt werden, wenn sie mit dem Erhalt von bezahlbarem Wohnraum für die Zukunft argumentiert. Experten sagen, diese drohende Gesetzeslücke hätte sich vorher leicht beheben lassen. Das wurde jedoch von dem damals zuständigen Innenministerium unter CSU-Minister Seehofer versäumt. Wenn sich die Länder einig sind, dass zum Verkauf stehende Mietshäuser in den Händen kommunaler Wohnungsgesellschaften besser aufgehoben sind als bei Investoren, können sie das Gesetz per Mehrheitsbeschluss anpassen. Ich verstehe nicht, wie sich demokratische Parteien dem Anliegen, auf diese Art und Weise bezahlbaren Wohnraum zu erhalten, verschließen können. Die Mieten steigen und die Preise des Münchner Immobilienmarkts sind zum Fürchten. Das Vorkaufsrecht kann nicht alle Probleme lösen, aber es ist ein Baustein. Die Stadt München muss leider oft in den sauren Apfel beißen, weil das geltende Recht besagt, dass sie nur in einen bestehenden Vertrag zu dem bereits vereinbarten, nicht jedoch zu einem limitierten Preis einsteigen kann. Das wurde der Stadt von der Opposition vorgeworfen, zu Unrecht, wie ich meine. Denn freiwillig zahlt niemand hohe Preise. Was aber antwortet die Politik beispielsweise einem Krankenpfleger oder der MVV-Busfahrerin, die vergeblich eine Wohnung suchen? Dass man welche hätte kaufen können, die aber denen zu teuer waren, die besser verdienen und bestens versorgt sind? Für Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen ist bezahlbarer Wohnraum überlebensnotwendig. Die Politik kann nicht nur, sondern sie mussschnell handeln.