Foto: Barbara Donaubauer
BISS-Geschäftsführerin Karin Lohr und BISS-Verkäufer Husnain Akbar bekräftigen den unterzeichneten Arbeitsvertrag per Handschlag.
Die Münchner Straßenzeitschrift BISS setzt auf Arbeit als Schlüssel zur Integration und schafft für Verkäufer, die auf dem Arbeitsmarkt keine Chance haben, sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze. BISS-Geschäftsführerin Karin Lohr sagt: „Als BISS 1998 die ersten drei Verkäufer fest anstellte, konnte niemand voraussehen, wie sich das Projekt entwickeln würde. Ursprünglich sollten die Menschen, die mit ihren Nöten zu BISS kommen, nach erfolgreicher „Generalsanierung“ – Wohnungssuche, Schuldenregulierung, Gesundheitsförderung – in eine reguläre Arbeitsstelle vermittelt werden. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass Menschen in besonderen sozialen Schwierigkeiten so gut wie nie die Anforderungen erfüllen, die das Arbeitsleben an Arbeitnehmer stellt. Aus diesem Grund entschloss sich der Verein BISS – Bürger in sozialen Schwierigkeiten e.V., seinen Verkäufern die Chance auf einen festen Arbeitsplatz zu bieten.“
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Jahr: 2016
BISS-Ausgabe November 2016 | Abschied nehmen
Thema | Abschied nehmen: Wie man hier mit Trauer umgeht und welche Rituale dabei helfen | 6 Verwaiste Eltern: Wie kann man nach dem Tod des eigenen Kindes weiterleben? | 10 Friedhofskultur: Wer wird wie in München begraben? | 18 Interview: Heinrich Bedford-Strohm im Gespräch über Barmherzigkeit | 22 A scheene Leich: Der Leichenschmaus hat eine lange Tradition, nicht nur in Bayern | 24 Über den Tellerrand: Zu Besuch bei der Straßenzeitung „The Big Issue Japan“ | Schreibwerkstatt | 5 Käufer und Verkäufer | 26 Aufgelesen: BISS-Verkäufer erzählen, was sie bewegt | Rubriken | 3 Editorial | 28 Patenuhren | 29 Freunde und Gönner | 30 Impressum, Mein Projekt | 31 Adressen
Meine Familie hält zusammen
EIN TEXT AUS DER SCHREIBWERKSTATT
von Toni Menacher
1993 begann mein Neffe Bernhard mit nur 20 Jahren mit dem Hausbau. Es war selbstverständlich, dass wir ihm alle dabei halfen. Sein Bruder kam jeden Tag zu ihm zum Mauern oder um den Boden zu betonieren. Meine Schwester und meine Nichte halfen beim Abtransport des Bauschutts. Meine Mutter kochte für alle, obwohl sie schon über 70 Jahre alt war und gesundheitlich angeschlagen. Ich selbst opferte zwei Wochen Urlaub und half an den Wochenenden. Ich sagte, dass ich niemals einen Stein mauern würde, dazu fehlt mir das Talent – aber dass ich gerne Steine tragen und Mörtel mischen würde. Dazu sagte der beste Freund von Bernhard: Der beste Maurer ist nichts, wenn er keinen Mörtel, Beton oder Steine hat! Und so war ich genauso wichtig wie ein Maurer. Während der zwei Jahre des Neubaus hielten wir wie Pech und Schwefel zusammen. Seit zwei Jahren fahre ich wieder in unregelmäßigen Abständen zu meiner Familie nach Hause. Zuvor hatte ich nur sporadischen Kontakt. Das lag einzig und alleine an mir, ich schämte mich dafür, dass ich sozial abgestürzt war (ab 1998), mit Obdachlosigkeit, wenig Geld und totaler Einsamkeit. Ich war so blöde, dass ich mir nicht vorstellen konnte, dass meine Familie immer zu mir hält. Nach dem Tod meiner Freundin rief ich vor Weihnachten zu Hause an, um ein frohes Fest zu wünschen. Spontan wurde ich eingeladen zu kommen, und ich nahm kurzentschlossen die Einladung an und verbrachte ein sehr schönes Weihnachtsfest. Ab diesem Zeitpunkt brach der Kontakt nicht mehr ab. Mein Fazit ist: Nie wieder werde ich den Kontakt zu meiner Familie abbrechen. Ich bin dankbar dafür, dass wir in guten und schlechten Zeiten zusammenhalten.
Die Unsichtbaren von Kamagasaki
Von Margit Roth
Herr Tanaka lebt auf einem kleinen Stück Karton. Neben dem Karton stehen zwei Plastiktüten mit seinen Habseligkeiten. Mehr hat er nicht, und mehr könnte er auch nicht tragen. Den Tag verbringt Herr Tanaka meistens im Airin Welfare Center, geschützt vor Sonne, Kälte und den Blicken der Passanten. Um 18 Uhr wird das Welfare Center geschlossen. Wenn das Wetter schlecht ist, stellt sich Herr Tanaka in die Schlange, um sich ein Ticket für einen der kostenlosen Schlafplätze in einer Obdachlosenunterkunft zu besorgen. Bei gutem Wetter schläft er irgendwo dort, wo ihn niemand sieht. Das Welfare Center ist kein heimeliger Ort. In der großen Halle ist es auch tagsüber dämmrig, die Wände sind dunkelgrau, die Farbe an vielen Stellen abgeblättert. Die Tür zur Männertoilette steht offen, ein strenger Geruch liegt in der Luft. Trotz der vielen Menschen im Raum ist es unheimlich still. Sie unterhalten sich nicht, sie spielen nicht Karten und hören auch keine Musik – sie sitzen einfach nur auf ihren Kartons und starren ins Leere. Morgens in aller Frühe werden im Welfare Center die Jobs vergeben. An den Säulen hängen gelbe, orange und rote Zettel mit Angeboten. Gesucht werden junge Bauarbeiter für einen Tag oder auch für Wochen. Neben der Anzahl der Tage, für die ein Mitarbeiter gesucht wird, steht das Gehalt auf dem Zettel, meist um die 10.000 Yen am Tag, also 88 Euro, und vor allen Dingen auch, wie viel vom Gehalt bei längeren Jobs für den Schlafplatz gleich einbehalten wird. Eine Wahl haben die Arbeiter nicht – wer den Job will, muss für einen schäbigen Matratzenplatz fast ein Viertel des Lohns wieder abgeben. Früher wurde Herr Tanaka häufig von den Anwerbern ausgewählt. Er kam vom Land, war es gewohnt zu arbeiten und war sich für keine Arbeit zu schade. Die Zeiten sind vorbei – für einen 60-Jährigen hat keiner mehr Verwendung.
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Internationales Treffen der Straßenzeitungen in Griechenland
114 Delegierte aus 29 Ländern trafen sich zum diesjährigen INSP-Kongress in Athen. Fünf Tage lang wurden Konzepte diskutiert, Erfahrungen ausgetauscht und Kooperationen vereinbart – bei sommerlichen 35 Grad und umgeben von antiker Schönheit
von Margit Roth
Für den diesjährigen INSP-Kongress, den jährlich stattfindenden Kongress der Straßenzeitungen, hatten die Organisatoren Athen gewählt, und das aus zweierlei Gründen: Zum einen sollte es ein Zeichen der Anerkennung für die Macher der neu gegründeten Straßenzeitung „Shedia“ sein und zum anderen eine Art wirtschaftliche Unterstützung für das gebeutelte Athen. In den letzten Jahren ist viel darüber geschrieben worden, wie verheerend die Auswirkungen der Wirtschaftskrise auf alle Bereiche des Lebens in Griechenland sind. Wir waren darauf vorbereitet, ähnlich wie vergangenes Jahr in Seattle und das Jahr davor in Glasgow, die Folgen des Geldmangels überall zu sehen. Doch genau das Gegenteil war der Fall – Athen wirkte aufgeräumt und lebendig. Die Märkte und Geschäfte waren gut besucht, die U-Bahnen voll, und abends, wenn die Temperaturen langsam erträglicher wurden, bevölkerten Einheimische und Touristen die Kneipen und Restaurants. Inmitten der Stadt, fast unwirklich schön und völlig unbeeindruckt von den Wirren der Tagespolitik, die Akropolis. Abgesehen von gelegentlichen Streiks, funktionierte die Infrastruktur reibungslos, leer stehende Häuser oder Geschäfte sah man nur selten. Aber nicht immer entspricht das, was man sieht, den tatsächlichen Verhältnissen. Wie es um Athen bestellt ist, durften die Organisatoren und TeilnehmerInnen hautnah erfahren.
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