Wie ich wohne

Wer wohnt wie? In der Kolumne geben Menschen aus dem BISS-Netzwerk Einblicke in ihren Wohnalltag. Sie erzählen, wie sie früher gelebt haben, wie sie momentan wohnen und was sie sich für die Zukunft erhoffen.

Protokoll ANNELIESE WELTHER

Foto MARTIN FENGEL

Die große Schwester

Momentan bin ich bei meinem Bruder untergekommen. Er hat nicht viele Sachen, an der Wand steht ein Bett, dazwischen ein Tisch mit einem Stuhl und dann kommt ein zweites Bett für mich. Vom Zimmer aus geht es seitlich in die Küche. Es gibt auch noch ein Bad mit Waschbecken, Toilette und Badewanne. Die Wohnung liegt im Münchner Stadtteil Thalkirchen, wo ich drei Jahre lang im Sommer auf dem Campingplatz für zehn Euro die Nacht gezeltet habe. Damals schon mochte ich das Viertel, weil immer viele junge Leute hier unterwegs waren. Im Winter habe ich in der Bayernkaserne im Norden der Stadt übernachtet. Das kostete nichts, war allerdings wirklich nur zum Schlafen da, denn um sieben Uhr morgens musste man die Unterkunft verlassen. Anschließend bekam ich vom Jobcenter ein Zimmer in einem Wohnheim vermittelt, das ich mir mit einer anderen Frau teilte. Mit ihr kam ich gut aus, denn ich bin jemand, der in der Regel mit anderen Leuten gut auskommt. Dennoch bevorzuge ich es, bei meinem
Bruder zu sein, hier fühle ich mich wohler, schließlich haben wir schon als Kinder unter einem Dach gewohnt. Das Haus meiner Eltern lag auf dem Land, in der Nähe der rumänischen Stadt Mediaş, es hatte vier Wohnräume, eine Küche, eine Speisekammer und ein Bad. Meine Mutter hat uns allein aufgezogen, da mein Vater früh verstorben ist. Wir führten ein bescheidenes, aber schönes Leben. Als einziges Mädchen durfte ich ein Zimmer für mich allein haben, während sich meine drei Brüder eines teilen mussten. Sie sind elf Jahre zur Schule gegangen, ich acht, da ich bereits mit 13 Jahren einen vier Jahre älteren Jungen geheiratet habe. Mit 14 brachte ich mein erstes Kind zur Welt, mit fünfzehneinhalb mein zweites. Meine Mutter war gegen die Ehe gewesen und hatte mich gewarnt, dass ich mit diesem Jungen nicht glücklich werden würde. Aber ich hörte nicht auf sie und zog mit ihm zu seinen Eltern. Fünf Jahre lang versuchten wir, ein gemeinsames Leben zu führen, im Grunde haben wir uns aber nie richtig verstanden. Nach dem Scheitern der Beziehung bin ich mit den Kindern zu meiner Mutter zurückgekehrt. Arbeit gab es dort keine, weshalb ich weiterzog. Mittlerweile ist meine Mutter gestorben, genauso wie zwei meiner Brüder, sodass nur noch wir beide geblieben sind: mein kleiner Bruder und ich. Das hat uns zusammengeschweißt. Um ihn mache ich mir mehr Sorgen als um meine Kinder, die sich gut im Leben zurechtfinden. Seit dem Tod meiner Mutter fühle ich mich dafür verantwortlich, die Familie zusammenzuhalten. An Ostern und Weihnachten fahre ich nach Rumänien und wohne, da in unser Elternhaus fremde Leute gezogen sind, bei einer Tante. Auch etliche Verwandte kehren von überallher zurück. Wenn wir dann zusammen sind, tragen wir unsere Tracht und pflegen traditionelle Bräuche. Mein Bruder und ich verstehen uns gut, dennoch hoffe ich, bald eine Bleibe für mich allein zu erhalten. Was ich dann in meiner eigenen Wohnung tun werde, was jetzt nicht geht, weiß ich noch nicht. Ich lasse es erst einmal auf mich zukommen. Alles wird sich fügen.