Wie ich wohne

Wer wohnt wie? In der Kolumne geben Menschen aus dem BISS-Netzwerk Einblicke in ihren Wohnalltag. Sie erzählen, wie sie früher gelebt haben, wie sie momentan wohnen und was sie sich für die Zukunft erhoffen.

Die Schwebende

Protokoll ANNELIESE WELTHER

Foto MARTIN FENGEL

Die ersten Tage, nachdem ich in mein jetziges Zimmer gezogen war, schwebte ich wie auf Wolken. Da hatte ich noch gar kein Bett, sondern schlief erst mal auf einer Matratze direkt auf dem Boden, aber das war der reinste Luxus gegenüber dem, womit ich mich schon zufrieden geben musste. Ich bin in Rumänien in einer sehr armen Familie aufgewachsen. Wir lebten auf dem Dorf in einem Holzhaus, das nur aus einem 20 Quadratmeter großen Zimmer bestand. Dort schliefen wir meistens zu neunt. Betten hatten wir nicht, wir legten Decken, die man uns geschenkt hatte, auf den Boden und deckten uns mit Kleidungsstücken zu. Unseren Ofen heizten wir selten mit Holz – vielleicht, wenn jemand von uns für einen verrichteten Dienst bei den Nachbarn ein Netz mit Holzscheiten erhalten hatte. Ansonsten sammelten wir in der Umgebung Äste. Weil meine Familie so arm war, bin ich nur vier Jahre zur Schule gegangen. Statt zu lernen, kümmerte ich mich immer um die kleineren Geschwister. Ohne eine vernünftige Schulbildung ist es sehr schwer, eine Arbeit zu finden. Deshalb verließ ich meinen Mann und meine vierjährige Tochter, um in Spanien zu arbeiten, wo Frauen als Erntehelferinnen gesucht wurden. Dort waren wir direkt auf dem Feld in Kunststoffcontainern untergebracht, jeweils vier Frauen in einem Raum mit zwei Etagenbetten. Es gab je Wohnmodul zwei solcher Zimmer. Eine kleine Dusche und einen Herd teilten wir uns. Bei acht Frauen musste man oft ganz schön lange warten, wenn man duschen, sich Kartoffeln oder ein Spiegelei braten wollte. Mit den anderen Frauen kam ich gut zurecht, obwohl ich mich mit vielen nicht richtig verständigen konnte, da ja nicht alle aus Rumänien kamen. Die Arbeit auf dem Feld war sehr anstrengend. Hauptsächlich pflückte ich Erdbeeren, immer vornübergebeugt, unter einer Plastikplane, die mit Metallstangen befestigt war. Wenn es draußen heiß wurde, konnte sich die Luft darunter auf bis zu 50 Grad erhitzen. Das machte mir so zu schaffen, dass ich ungeheure Kopfschmerzen bekam. Als ich zum Arzt ging, eröffnete er mir, dass mir eine Ader im Gesicht nahe dem Auge geplatzt war. Er erklärte mir, dass ich noch Glück gehabt hätte, dass es an dieser Stelle passiert war. Wäre das Gleiche weiter oben am Kopf geschehen, wäre ich gestorben. Von nun an durfte ich diese Arbeit nicht mehr verrichten und auch keinen Stress mehr haben. Ich ging zurück nach Rumänien, fand aber wieder keinen vernünftigen Job. In dieser Zeit habe ich viel geweint. Meine Schwester lebte in München, also beschloss ich, zu ihr zu fahren. Doch tat ich mich auch hier anfangs sehr schwer, wohnte einen Monat auf der Straße, übernachtete in Parks oder in U-Bahn-Stationen, dann zog ich zu meiner Schwester in die Wohnung und blieb sieben Monate. Aber sie hat auch nur ein Zimmer und dazu noch einen Hund, deshalb waren wir beide froh, als ich hier in diese Zweier-WG mit einem anderen BISS-Kollegen einziehen konnte. Es ist ein tolles Gefühl, einen eigenen Schlüssel zu haben, mit dem man auf- und abschließen kann. Ich kann mein Glück einfach nicht fassen.