Wer wohnt wie? In der Kolumne geben Menschen aus dem BISS-Netzwerk Einblicke in ihren Wohnalltag. Sie erzählen, wie sie früher gelebt haben, wie sie momentan wohnen und was sie sich für die Zukunft erhoffen.
Der Löwe
Protokoll FELICITAS WILKE
Foto MARTIN FENGEL

„Ich bekomme gerade zu spüren, was die gestiegenen Energiepreise bedeuten. In meiner Wohnung habe ich eine Zentralbodenheizung, die nur dann richtig gut funktioniert, wenn man sie hochdreht. Und das ist teuer: Für 2022 steht eine saftige Nachzahlung an, die ich mir nicht leisten kann. Mal sehen, ob mir das Jobcenter helfen kann. In meiner Wohnung zwischen Obersendling und Solln wohne ich seit mittlerweile fast zehn Jahren. Sie liegt im Erdgeschoss eines Neubaus und hat ein Zimmer, eine Küche, ein Bad und eine kleine Terrasse. Als ich hier eingezogen bin, besaß ich keine Möbel, deshalb sind Esstisch, Bett, Kommode und Schränke bunt zusammengewürfelt. Bevor ich in meine jetzige Wohnung gezogen bin, lebte ich lange Zeit in Wohnheimen, zur Untermiete und für einige Jahre auch auf der Straße. Ich habe schon auf Friedhöfen, in Kellerabteilen und offen stehenden Garagen übernachtet. Seitdem finde ich, dass ein Dach über dem Kopf entscheidend ist für ein menschenwürdiges Leben. Ich bin gebürtiger Münchner und habe bis zur zweiten Klasse bei meinen Eltern gelebt. Doch weil ich als Kind misshandelt worden bin und zudem als schwer erziehbar galt, kam ich in die Heckscher Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Dort erging es mir sehr schlecht. Später besuchte ich die Heimschule im österreichischen Kleinwalsertal, wo ich mich wohler fühlte und meinen Hauptschulabschluss machte. Später machte ich eine Lehre bei der Post und arbeitete als Bahnpostfahrer. Abwärts ging es für mich, als ich ins Bahnpostamt in der Nähe des Hauptbahnhofs versetzt wurde. Dort war Alkoholismus weit verbreitet und ich wurde selbst zum Alkoholiker. Meine Partnerschaft ging in die Brüche, ich verlor meine Arbeit und meine Wohnung. Über einige Umwege kam ich zur BISS und es gelang mir nach vielen Reha-Aufenthalten und Entgiftungen, mich vom Alkohol loszusagen. Heute kann ich mich wieder für die Dinge begeistern, die mir wichtig sind im Leben. Dazu gehört auch meine Liebe zu 1860 München. Wie das große Banner an der Wand und die Decke auf meinem Bett belegen, halte ich es schon immer mit den Löwen. Ins Stadion gehe ich zwar nur noch selten, weil man nur schwer an bezahlbare Tickets kommt. Aber die dritten Programme übertragen ja viele Spiele der dritten Liga! In meiner Wohnung fühle ich mich wohl, auch wenn nach fast zehn Jahren die ersten Dinge kaputtgehen. Der Backofen gibt so langsam den Geist auf, die Waschmaschine auch. Leider war es schon mal einfacher, das Geld für neue Geräte anzusparen: Die Energiepreise steigen immer weiter und meine Miete wurde dreimal in Folge erhöht, zuletzt auf 565 Euro. Inzwischen benötige ich, obwohl ich arbeite, eine Aufstockung vom Jobcenter. Auch in der Nachbarschaft habe ich mich schon mal wohler gefühlt. Die nette jugoslawische Familie von nebenan ist ausgezogen, stattdessen bekomme ich viele Konflikte im Haus mit, bei denen auch Drogen und Alkohol im Spiel sind. Das ist schade, aber wenn ich meine Tür zumache, dann geht es schon. Man müsste mich aus dieser Wohnung schon raustragen, um mich als Mieter loszuwerden.“