Wie ich wohne

Wer wohnt wie? In der Kolumne geben Menschen aus dem BISS-Netzwerk Einblicke in ihren Wohnalltag. Sie erzählen, wie sie früher gelebt haben, wie sie momentan wohnen und was sie sich für die Zukunft erhoffen.

Protokoll ANNELIESE WELTHER

Die aus dem Paradies Vertriebene

Foto: Martin Fengel

Seit drei Jahren wohnen wir in diesem nicht gerade großen Zimmer: ich, mein Mann, unsere jetzt sechsjährige Tochter und meine Mutter. Eine Küchenzeile haben wir selbst eingebaut, zuvor gab es hier nur ein Spülbecken. An dem waschen wir uns auch die Hände, denn ein eigenes Badezimmer haben wir nicht. Draußen auf dem Gang teilen wir uns Dusche und WC mit fünf weiteren Parteien. Dummerweise liegen diese beiden sanitären Räume gleich neben unserem Zimmer; sobald die Tür offen steht, kommen unangenehme Gerüche herein. Drinnen haben wir zwei Schlafsofas, einen Tisch mit zwei Stühlen und einen Fernseher. Fürs Wäschewaschen müssen wir in den Waschsalon. Es ist sehr feucht bei uns. An der Decke, unter dem Fenster wie auch hinter dem Bett hat sich bereits Schimmel gebildet. Wir haben Angst, krank davon zu werden, und haben uns ein Spray zum Entfernen besorgt. Unser Vermieter hat bislang nichts unternommen. Für das Zimmer zahlen wir inklusive Nebenkosten 800 Euro im Monat. Mit allen Mitteln versuchen wir, etwas Neues zu finden. Wir hängen Zettel auf und fragen überall nach, ob jemand was für uns hat. Meinen Mann grüßen Bekannte oft gleich mit dem Spruch: „Ich weiß von keiner neuen Wohnung!“ Auch wenn wir unter diesen schlechten Bedingungen leben, gefällt mir München sehr. Das war auch einer der Gründe, warum wir hierhergezogen sind. Zuvor haben wir in einer Zweizimmerwohnung in Frankfurt am Main gelebt, die wir kündigten, genauso wie unsere Jobs, als mein Mann beschloss, mit einem Freund ein Restaurant mit Bar in Fröttmaning zu eröffnen. Eine kleine Wohnung wäre auch dabei gewesen. Das Restaurant lief knapp einen Monat und dann kam Corona. Während des Lockdowns musste es schließen und öffnete nie wieder. Es ging nicht, die Miete nur für die Wohnung zu bezahlen, und der Freund meines Mannes wollte sich nicht mehr an den Kosten beteiligen. So mussten wir raus. Über Bekannte sind wir an dieses Zimmer gelangt. Zuweilen sehne ich mich zurück nach meiner Kindheit in Rumänien. Viel hatten wir nicht: Brot, Öl sowie andere Grundlebensmittel gab es lediglich auf Bezugskarte, Orangen oder Bananen nur an Feiertagen zu kaufen. Aber wir kannten es nicht anders und vermissten daher auch nichts. Meine Mutter backte selbst Brot, im Sommer kochten wir draußen. Mein Opa hielt Schweine und Pferde. Es war herrlich, dort aufzuwachsen mit den zahlreichen Verwandten. Wir Kinder spielten viel zusammen. All das änderte sich mit dem Ende des Sozialismus. Genauso wie viele andere ging ich fort, weil ich glaubte, anderswo ein besseres Leben führen zu können. Fünfzehn Jahre lang war ich in Modena, einer wunderschönen kleinen Stadt in der Emilia-Romagna. Als meine Eltern erkrankten, kehrte ich wieder nach Rumänien zurück. Heute bedauere ich es, weggegangen zu sein, weit entfernt von Vater und Mutter gelebt zu haben. Allerdings sind nur noch wenige Verwandte in meinem Heimatort geblieben, es gibt einfach keine Arbeit. Mein Elternhaus steht aber noch, eine Freundin von uns schaut danach, sodass wir eines Tages vielleicht wieder zurückkehren können.