Wer wohnt wie? In der Kolumne geben Menschen aus dem BISS-Netzwerk Einblicke in ihren Wohnalltag. Sie erzählen, wie sie früher gelebt haben, wie sie momentan wohnen und was sie sich für die Zukunft erhoffen.
Protokoll ANNELIESE WELTHER
Der ewig Umgesiedelte

Ich wohne in einer WG mit zwei anderen BISS-Verkäufern. Unsere Wohnung ist hell, hat ein Bad mit Fenster, eine kleine Küche und einen Raum im Flur, wo wir alle zusammen am Tisch sitzen können, auch mit unseren Gästen. Oft besucht mich mein Sohn, der viel im Ausland unterwegs ist. Er hat mir einen kleinen Eiffelturm mitgebracht, der neben anderen mir lieben Dingen steht, zum Beispiel einem Stier aus Keramik. Denn ich bin im chinesischen Jahr des Stiers geboren, und zwar in der Stadt Iaşi im Nordosten Rumäniens. Das Haus, in dem ich aufwuchs, besaß große Fenster und war sehr geräumig. Die Schwester meiner Mutter und ihre Familie lebten mit uns, ich teilte das Zimmer mit meinem Cousin. Meine Eltern hatten das Haus 1939/40 bauen können, weil mein Vater beim Militär war und ein gutes Einkommen hatte. Das war dann aber auch der Grund, warum wir von dort fortmussten. Im Zweiten Weltkrieg hatte Rumänien zunächst mit Deutschland gemeinsame Sache gemacht, im Sommer 1944 die Fronten gewechselt und anschließend an der Seite der Sowjetunion gekämpft. Stalin veranlasste, dass Rumäniendeutsche und Militärangehörige, wie wir es waren, in die Sowjetunion umgesiedelt wurden. Gerade mal sieben Jahre alt war ich damals. Fortan wohnten wir mit sechs anderen Personen in einem großen Raum innerhalb einer lang gestreckten Holzbaracke in der Nähe von Omsk in Sibirien, über 2000 km von Moskau entfernt. Im Sommer konnte es 35 °C heiß werden, die Winter dagegen waren streng mit bis zu zwei Metern Schnee. In der Schule wurde ich ständig von den russischen Mitschülern verprügelt. Unter den rumänischen und deutschen Kindern, die wie wir dort angesiedelt wurden, hatte ich jedoch Freunde. Mit etlichen habe ich, sofern sie noch leben, immer noch Kontakt. Erst nach dem Tod Stalins durften wir wegziehen, die Sowjetunion aber nicht verlassen. Wir entschieden uns, nach Bessarabien zu gehen, das früher zu Rumänien gehört hatte und heute weitgehend auf dem Gebiet der Republik Moldau liegt. Beruflich folgte ich dem Beispiel meines Vaters und schlug die militärische Laufbahn ein. Ich kam viel rum in der ganzen Sowjetunion, aber auch in Ungarn und in Polen wurde ich stationiert. Dabei hatte ich immer ein Zimmer mit Küche zum Wohnen, auch dann mit meiner Frau. Wir waren 18, als wir uns kennenlernten, und glücklich mit dem, was wir hatten. Später, als mein Sohn vier Jahre alt war, erhielten wir eine Zweizimmerwohnung. 2012 starb meine Frau an einem Herzinfarkt. Ich beschloss, der Armut zu entfliehen und nach Deutschland zu ziehen. Deutschstämmige Freunde von mir, die das schon vor 25 Jahren getan hatten, nahmen mich erst mal in ihrem Reihenhaus in Nürnberg auf. Einer von ihnen half mir, den Job bei BISS zu bekommen. In München teilte ich mir zunächst eine Wohnung mit einem Mann, der aus dem ehemaligen Jugoslawien stammte und bei der Fremdenlegion gewesen war. Wir verständigten uns auf Russisch. Kurze Zeit später konnte ich in dieses WG-Zimmer einziehen. Hier fühle ich mich richtig zu Hause.