Wie ich wohne

Wer wohnt wie? In der Kolumne geben Menschen aus dem BISS-Netzwerk Einblicke in ihren Wohnalltag. Sie erzählen, wie sie früher gelebt haben, wie sie momentan wohnen und was sie sich für die Zukunft erhoffen.

Protokoll ANNELIESE WELTHER

Foto: Martin Fengel

Der Autogrammjäger

Es ist etwas in die Jahre gekommen und müsste mal renoviert werden, mein 1-Zimmer-Appartement, in dem ich schon seit 1980 lebe und zu dem ein kleines Bad, eine Kochnische und ein Balkon gehören. Eigentümer ist mein Bruder, ich habe lebenslanges Wohnrecht und muss nur für die Nebenkosten in Höhe von 198 Euro aufkommen. Wenn ich von meinem Balkon im siebten Stock rausschaue, ist alles bebaut, vor vierzig Jahren waren dagegen noch viele Wiesen zu sehen. Von den Parteien, die damals hier gewohnt haben, ist außer mir nur noch eine da. Früher glaubte ich immer, etwas zu verpassen, wenn ich nicht ausging. Mittlerweile bin ich, auch dank Corona, häuslicher geworden. Theater-, Kino- oder Museumsbesuche sind aber immer noch Teil meines Lebens. Zudem lese ich gern. Eine ganze Reihe Bücher habe ich vor ein paar Jahren schon entsorgt, aber ich besitze immer noch viele, und das Besondere daran: Fast alle sind vom Autor signiert!
An meiner Haustür klebt ein Aufkleber, der mit einem Augenzwinkern darauf hinweist, dass man bei mir „Boarisch“ redet, was aber nicht bedeutet, dass ich Bayerntümelei mag. Keineswegs glaube ich, dass die Welt am bayerischen Wesen genesen muss. Aber als gebürtiger Münchner interessiere ich mich für die Geschichte meines Bundeslandes. Eines meiner gesammelten Bücher ist den Schlössern König Ludwigs II. gewidmet. Ich habe es ergänzt mit Schreiben, die ich auf Anfrage von seinen Nachkommen erhielt. Ein anderes Buch, das mich beeindruckt hat, beschäftigt sich mit der Rolle des Schlosses Nymphenburg im Nationalsozialismus. Die Auseinandersetzung mit dieser Zeit hat für mich auch eine ganz persönliche Seite: Mein Vater hat als Gewerkschaftsmitglied zeitweise im Konzentrationslager Dachau eingesessen. Ich selbst hatte als Kind Probleme, mich zu integrieren, und habe sicher auch das eine oder andere angestellt, sodass meine Eltern mich in ein sogenanntes Knabenerziehungsheim nach Österreich gaben. Von außen war es ein schönes Gebäude, ein richtiges Schloss. Hinter den Mauern erlebte ich jedoch alles andere als eine angenehme Zeit. Es waren die 50er Jahre, was bedeutete, dass wir in Schlafsälen mit 30 bis 35 Kindern schliefen und körperliche Züchtigung an der Tagesordnung war. Für meine in dieser Zeit erlebte Misshandlung habe ich bereits eine Entschädigung erhalten, empfinde die Summe aber als viel zu gering gegenüber dem, was mir dort angetan wurde. Deshalb lasse ich nicht locker und kämpfe um mehr. Was ich in Zukunft auch noch machen will, ist, etwas Platz in meiner Wohnung zu schaffen, indem ich mein Etagenbett loswerde. Zum Schlafen brauche ich es nicht, ich habe schon ein Schlafsofa. Als ich es kaufte, schwebte mir vor, es könnten Besucher darauf übernachten, aber dazu ist es so gut wie nie gekommen. Lange Jahre habe ich es genutzt, als ich noch in einer festen Partnerschaft lebte. Nun bin ich aber ganz froh, solo zu sein. Eine erneute Beziehung könnte ich mir auch nur in einer größeren Wohnung vorstellen.