Wer wohnt wie? In der Kolumne geben Menschen aus dem BISS-Netzwerk Einblicke in ihren Wohnalltag. Sie erzählen, wie sie früher gelebt haben, wie sie momentan wohnen und was sie sich für die Zukunft erhoffen.
Protokoll ANNELIESE WELTHER
Foto MARTIN FENGEL
Der Thermophile

Mit zwei anderen BISS-Verkäufern teile ich mir eine Dreizimmerwohnung in einem der zahlreichen Wohnblocks jenseits der Drygalski-Allee. Mein Lieblingsort hier ist der Balkon – aber nur im Sommer! Wenn ich sonntags nicht arbeite, beobachte ich von dort spielende Kinder und die vielen anderen Menschen, die es an schönen Tagen ins Freie zieht. In nur fünf Ländern in Europa war ich noch nicht beruflich unterwegs, alle liegen sie in Skandinavien. Dahin zieht es mich auch nicht. Das warme Klima liegt mir mehr. Zwölf Jahre habe ich in der Stadt Ventimiglia an der italienischen Riviera in einem Einzimmerappartement gelebt – nur zehn Minuten vom Meer entfernt. Jeden Sonntag ging ich zum Baden. Im Winter war es sehr mild, so etwa wie in München im September. Für mein Appartement zahlte ich übrigens 200 Euro, das ist weniger als die Hälfte von dem, was ich jetzt an Miete für mein WG-Zimmer aufbringen muss. Wahrscheinlich wäre ich immer noch dort, wäre mein Chef nicht an den Folgen eines Arbeitsunfalls mit nur 54 Jahren gestorben. Unser Verhältnis war wie das eines Vaters und eines Sohns gewesen. Er hatte mir mit all dem Behördenkram geholfen und die Wohnung besorgt. In meinem Heimatland Rumänien habe ich als Kind mit meinen Eltern in einem Haus mit drei Zimmern gelebt, meine Großmutter wohnte gleich nebenan. Wir ernährten uns hauptsächlich von dem, was in unserem Garten wuchs, also sehr gesund, meine Oma jedenfalls ist 98 Jahre alt geworden. Mit 14 zog ich in die Hauptstadt Bukarest, um die weiterführende Schule zu besuchen. Das erste Jahr wohnte ich zur Untermiete, danach wechselte ich in ein Internat, das gefiel mir besser, weil ich die ganze Zeit mit Kindern zusammen war, auch wenn ich mir nun das Zimmer mit einem Jungen teilen musste. Später erlernte ich den Beruf des Schreiners und arbeitete ein Jahr in der maschinellen Möbelproduktion. Nach der Wende wurde ich entlassen, wie viele andere auch. Weil die Arbeitsmarktlage in Rumänien damals hoffnungslos war, ging ich 1995 nach Italien. Die ersten zwei Wochen lebte ich in Rom auf der Straße, lernte dann zwei Rumänen kennen, in deren Küche ich auf dem Sofa schlafen durfte. Ich zog weiter in den wirtschaftsstarken Norden des Landes, wo ich bei meinem Chef in Ventimiglia landete. Wir machten Innenausbau, brachten Spiegel an, legten Parkett, und das nicht nur in Italien, beinahe täglich fuhren wir rüber an die Côte d’Azur, übernahmen Aufträge in Cannes, Nizza, Monaco. Eine tolle Zeit war das. Nach dem Tod meines Chefs bin ich nach Deutschland gegangen, weil ich gehört hatte, es gebe hier Arbeit. Zunächst war ich in Frankfurt am Main, fand keinen Job, gelangte dann nach München, wo ich auf einige BISS-Verkäufer aufmerksam wurde. Ich kam mit ihnen ins Gespräch und wurde selbst einer von ihnen. Bis dahin hatte ich etliche Monate auf der Straße gelebt. Nun bin ich froh über mein Zimmer. Mit meinen WG-Kollegen komme ich gut aus, wir respektieren uns gegenseitig. Und wenn ich etwas brauche, habe ich alle Läden in der Nachbarschaft.