Wer wohnt wie? In der Kolumne geben BISS-Verkäuferinnen und -Verkäufer Einblicke in ihren Wohnalltag. Sie erzählen, wie sie früher gelebt haben, wie sie momentan wohnen und was sie sich für die Zukunft erhoffen.
Der Gitarrenspieler
Protokoll ANNELIESE WELTHER
Foto: Martin Fengel

Mein 1-Zimmer-Appartement liegt im siebten Stock. Bei klaren Sichtverhältnissen kann ich das Alpenpanorama bewundern durch das einzige Fenster in meiner Wohnung, das aber dafür so groß ist wie eine ganze Wand. Davor ist ein schmaler Balkon, auf dem ich abends gern sitze und rauche. Im Sommer ist unter mir alles grün, im Winter aber, wenn das Laub weg ist, kann ich auf die Straße sehen. Sie ist sehr befahren und man hört immer etwas Lärm. Aber sie bringt Bewegung in mein Leben. Ich empfinde die Gegend, in der ich wohne, dennoch als ruhig. Meine Nachbarn sind mir gegenüber reserviert, vielleicht, weil ich BISS-Verkäufer bin. Ich beobachte aber auch, dass die meisten mit gestressten oder bekümmerten Gesichtern herumlaufen. Aber ich habe in der Nachbarschaft auch eine deutsche Freundin gefunden und es gibt ein Café und eine Bäckerei hier, wo ich vor der Arbeit oft einen Kaffee trinke. Mein Lieblingsplatz in der Wohnung ist mein Bett. Es könnte etwas größer sein, aber schließlich bin ich auch nicht so groß, das geht schon. Ich arbeite sehr viel, oft bis 23 Uhr. Dann komme ich müde nach Hause und lege mich schlafen.
Anderthalb Jahre habe ich auf einer Parkbank auf dem Orleansplatz übernachtet. Der liegt direkt am Ostbahnhof, wo ich tagsüber mit Gitarrenmusik etwas Geld verdiente. Gitarre spielen habe ich mit sieben Jahren angefangen in einem rumänischen Kinderheim, wo ich nach der Trennung meiner Eltern hingekommen war. Das Gitarrespielen war nicht das Einzige, was ich im Heim gelernt habe und auf der Straße nutzen konnte. Im Prinzip waren das Leben im Kinderheim und das Leben als Obdachloser grundverschieden. Im Heim gab es Erziehung, Prügel, Essen und ein strenges Regiment. Jedoch brachte es mir bei, mich als Einzelner im Leben durchzuschlagen. Als Erwachsener habe ich eine Ausbildung zum Matrosen gemacht und war auf Frachtern auf der Donau unterwegs. Dort war ich immer in einer eigenen, recht komfortablen Kabine untergebracht, nur das Bad musste ich mit anderen teilen. Doch es kam zu Entlassungen und ich wurde arbeitslos, bekam andere Jobs, die schlecht bezahlt waren und nichts mehr mit meiner Ausbildung zu tun hatten. Ich tat mich sehr schwer und beschloss 2015, Rumänien zu verlassen. Mein Geld reichte für einen Bus nach Wien. Dort am Bahnhof angekommen, sah ich viele Obdachlose und Drogenabhängige, was mich abschreckte, sodass ich in den nächsten Zug stieg. Der ging zufällig nach München, wovon ich schon als Kind gehört hatte und wusste, dass es eine schöne, große Stadt ist. Ohne Fahrkarte, aber mit meiner Gitarre fuhr ich los. Ich hatte Glück, dass mich der Schaffner nicht rauswarf. So kam es, dass ich am Ostbahnhof Gitarre spielte, bis ich BISS entdeckte. Mittlerweile bin ich einer der besten Verkäufer. Ein Leben lang hat mich das Gefühl begleitet, weg von zu Hause zu sein. Lange Zeit war ich auf der Suche. Doch nun bin ich endlich angekommen. Es macht mich stolz, zu wissen, dass ich Teil dieser Stadt bin.