Wer wohnt wie? In der Kolumne geben BISS-Verkäuferinnen und -Verkäufer Einblicke in ihren Wohnalltag. Sie erzählen, wie sie früher gelebt haben, wie sie momentan wohnen und was sie sich für die Zukunft erhoffen.
Protokoll Anneliese Welther
Der Mann mit der Zither

Als ich vor 16 Jahren in meine Zweizimmerwohnung zog, musste ich mich erst einmal daran gewöhnen, eine feste Bleibe zu haben. Viele Jahre war ich obdachlos gewesen. Auf der Straße ist man frei, hat keine Verpflichtungen und keine Verantwortung. Ich hatte meine Bekannten, mit denen ich tagsüber rumsaß und abends „auf Platte ging“, so nannten wir das, wenn wir uns schlafen legten. Nachdem ich in die Wohnung gezogen war, schaffte ich mir zwei Katzen an, um so einen Grund zu haben, nach Hause zu kommen. Es gesellte sich noch ein Hund hinzu, von dem ich dachte, er würde aufgrund seiner Epilepsie vielleicht noch ein halbes Jahr bei mir leben. Daraus wurden zehn Jahre. Leider sind alle drei Tiere bereits verstorben, aber sie sind noch in meiner Nähe, ihre Urnen stehen im Regal meines Wohnzimmers. Mittlerweile habe ich wieder einen Hund. Vor vier Jahren fragte mich eine Kundin, ob ich einen damals fünf Monate alten Welpen nehmen möchte. Seitdem leistet mir die kleine Hündin Gesellschaft beim Verkaufen. Das Geschenk einer anderen Kundin ist das Schmuckstück meiner Wohnung: eine hundert Jahre alte Zither. Das Spielen bringe ich mir selbst bei. Zuerst habe ich gelernt, Noten zu lesen, und jetzt übe ich jeden Tag, an Arbeitstagen etwa eine Viertelstunde, am Wochenende und an Feiertagen anderthalb bis zwei Stunden. Einmal im Monat kommt ein Bekannter und erklärt mir Dinge, die ich noch nicht kann. Die Zither ist ein schwieriges Instrument, da muss man am Ball bleiben.
Morgens um halb fünf Uhr stehe ich auf. Wenn ich so früh dusche, habe ich warmes Wasser. Ich wohne im Erdgeschoss, das heißt, wenn jemand über mir auch duscht, kriege ich plötzlich nur noch kaltes Wasser. So früh am Morgen passiert das nie. Bleibt mir mal nichts anderes übrig, als nachmittags kalt zu duschen, ist das jedoch auch kein Drama. Das soll ja gesund sein. Man muss sich eben arrangieren. Aber das muss man ja immer im Leben. Das war schon so, als ich als Kind das Zimmer mit meinen beiden Brüdern teilte. Wir waren damals insgesamt fünf Geschwister und lebten mit den Eltern im tiefsten Ruhrpott, wo im Laufe der Zeit eine Kohlezeche nach der anderen geschlossen wurde. Wegen der hohen Arbeitslosigkeit hat es mich nach München verschlagen, in die „Weltstadt mit Herz“. Mittlerweile finde ich es sehr angenehm, ein Zuhause zu haben, wo man abschalten und schöne Dinge machen kann. Das Wichtigste an meiner Wohnung ist für mich, dass sie gemütlich ist. Etliche Dinge habe ich vom Flohmarkt oder vom Wertstoffhof. Bevor ich ein Teil neu kaufe, schaue ich, ob ich dort etwas bekomme. Alle fünf Jahre streiche ich die Wohnung. In meiner ersten Zeit hier hatte ich bunte Wände. Jetzt finde ich aber, dass Weiß doch am schönsten ist. Jeden Monat lege ich 100 Euro zurück, um sie in meine Wohnung zu investieren. Einmal habe ich einen Kleiderschrank gekauft, ein anderes Mal neue Vorleger für den Fußboden. Es ist das erste Mal, dass ich Interesse an einer Wohnung habe. Durch sie habe ich wieder einen Lebenssinn gefunden. Ich bin sehr zufrieden, dass ich mich so gewandelt habe.