Wer wohnt wie? In der Kolumne geben BISS-Verkäuferinnen und -Verkäufer Einblicke in ihren Wohnalltag. Sie erzählen, wie sie früher gelebt haben, wie sie momentan wohnen und was sie sich für die Zukunft erhoffen.
Protokoll ANNELIESE WELTHER
Foto: Martin Fengel
Der Tüftler

Autolärm ist kaum zu hören, nur das Zwitschern der Vögel, manchmal auch spielende Kinder, dabei wohne ich mitten in der Stadt, U-Bahn und Supermarkt sind ganz in der Nähe. Hier aber ist alles grün. Das ist der Blick in den Innenhof vom schönsten Ort in meiner Wohnung aus: dem Balkon. Die ruhige Umgebung erinnert mich an meine Kindheit und Jugend auf dem Land. Ich wuchs bei meiner Oma, meiner Tante und meinem Onkel auf einem Bauernhof in Nordrhein-Westfalen auf. Platz war dort genug, ich hatte ein eigenes Zimmer, in dem mein Radio stand. Am liebsten hörte ich Radio Luxemburg. Das Gerät war ein Geschenk meines Bruders, der mit meinen übrigen drei Geschwistern und den Eltern in den Niederlanden lebte. In den Ferien besuchte ich sie immer. Damals dachte ich, ich würde später mal in einem Haus leben, heiraten und eine Familie gründen. Als ich fünfeinhalb Jahre alt war, schlug unser Pferd aus und traf mich in der Nähe des linken Auges. Später fragte ich mich immer, warum die anderen viel schneller lesen lernten als ich. Da wusste ich noch nicht, dass ich nur die Hälfte von dem sah, was sie sahen. Nach der Schule lernte ich Maschinenbauer, wechselte Spulen bei Elektromotoren aus. Auch sonst habe ich immer gern herumgebastelt. In meiner Wohnung liegt auch noch einiges an Kabeln, Zangen und elektronischem Kleinkram dafür bereit. Aufgrund meiner schlechten Sehleistung musste ich meinen Führerschein abgeben, zehn Jahre nachdem ich ihn gemacht hatte. Ich entschied mich, erst einmal eine Deutschlandreise mit dem Rad zu machen. Als ich nach drei Monaten zurückkehrte, war klar, dass ich nicht bleiben konnte. Zu abgelegen wohnte ich, das nächste Dorf lag fünf Kilometer entfernt, die nächste Stadt zehn. Ohne Auto lief hier nichts. Da ich die Idee für zwei Patente hatte, zog es mich nach München, um sie beim Patentamt anzumelden. Zunächst kam ich bei der Heilsarmee unter und teilte mir ein Zimmer mit dem Hausmeister und einem BISS-Verkäufer. Anfangs recherchierte ich für meine Patente, musste sie dann jedoch aus Kostengründen aufgeben. Um soziale Kontakte und zusätzliches Geld zu haben, begann ich die BISS zu verkaufen. So richtig ländlich war es auch auf dem sogenannten Gnadenacker, wo ich in einem der vier gespendeten Wohnwagen lebte. Meistens waren wir sechs bis sieben Personen, die dort wohnten. Strom hatten wir durch eine von mir installierte Windkraftanlage. In der kalten Jahreszeit heizten wir mit Holz und Briketts. Eine tolle Zeit war das, bis die Stadt den Platz räumen ließ, weil er Teil des damals entstehenden BUGA-Geländes werden sollte. Daraufhin kam ich in Männerunterkünften unter. Über eine Sozialarbeiterin gelangte ich vor elf Jahren zu meiner jetzigen Wohnung, die 50 Quadratmeter groß ist und für die ich momentan 380 Euro mit Nebenkosten pro Monat zahle. Etwas an ihr zu ändern oder zu verbessern macht für mich momentan nicht viel Sinn, da ich in etwa drei Jahren raus muss. Ein zusätzliches Stockwerk soll oben aufs Haus gesetzt werden. Ob ich dann noch hierher zurückkommen kann, weiß ich nicht. Bis dahin genieße ich die Aussicht von meinem Balkon.