Wer wohnt wie? In der Kolumne geben Menschen aus dem BISS-Netzwerk Einblicke in ihren Wohnalltag. Sie erzählen, wie sie früher gelebt haben, wie sie momentan wohnen und was sie sich für die Zukunft erhoffen
Die Trauernde
Protokoll FELICITAS WILKE
Foto MARTIN FENGEL
„Hier in der Küche sitzt oft die ganze Familie zusammen. Meine Schwiegertochter mit den beiden Enkeln, manchmal auch meine Tochter, die in Rumänien lebt, mit ihrer Familie. Wir kochen und essen zusammen, wir unterstützen uns gegenseitig. Nur ein Stuhl an unserem runden Tisch bleibt seit zwei Jahren leer: Es ist jener, auf dem mein Sohn immer saß. Vor zwei Jahren ist er im Alter von 42 Jahren an einem Gehirntumor verstorben. Und seitdem ist nichts mehr, wie es war. Ich hatte eigentlich ein gutes Leben. Wir leben hier als Familie auf 90 Quadratmetern in einer Erdgeschosswohnung in Trudering. Drei Zimmer, eine schöne Küche, ein Bad und ein Balkon. Und ein Garten, den wir nutzen dürfen. An dem kleinen Teich dort liege ich samstags gern und erhole mich von der Woche. 1.500 Euro zahlen wir warm für die Wohnung, der Mietvertrag läuft über meine Schwiegertochter. Seit fast 40 Jahren lebe ich nun schon mit meiner Familie in Deutschland. Ursprünglich komme ich aus Rumänien. In der Kleinstadt Moldova Nouă ganz in der Nähe der Donau lebte ich unter einem Dach mit meiner Mama, meinem Papa, meinen beiden Geschwistern und meinen Großeltern. Es war eine schöne Kindheit. Später gründete ich selbst eine Familie und bekam zwei Kinder, einen Sohn und eine Tochter. Im Jahr 1985 verließen wir wegen des kommunistischen Regimes unsere Heimat und zogen nach München. Meine Tochter ging zurück nach Rumänien, als sie 20 Jahre alt war, mein Sohn blieb hier, heiratete selbst und wurde auch Vater von zwei Kindern. Ich hatte ein enges Verhältnis zu ihm, seiner Frau und meinen beiden Enkeln. Als die Kinder noch klein waren, lebten wir alle zusammen in einer anderen Wohnung in Trudering. Später zogen wir in die Wohnung, in der wir bis heute wohnen. Ich hatte zwar immer wieder gesundheitliche Probleme und musste mich einigen Operationen unterziehen, aber ich rappelte mich stets auf. Auch wenn ich schon im Rentenalter bin, verkaufe ich seit einigen Jahren die BISS an mehreren Standorten in der Innenstadt, um mir etwas hinzuzuverdienen. Als mein Sohn starb, änderte sich mein Leben schlagartig. Das eigene Kind zu verlieren, ist das Schlimmste, was einer Mutter passieren kann. Seitdem spielt mein Blutdruck verrückt und ich habe Probleme mit dem Herzmuskel. Mein Herz ist gebrochen, im wahrsten Sinne des Wortes. Ich habe inzwischen einen Katheter. Auch wenn mein Sohn nicht mehr lebt, so ist er in der Wohnung doch allgegenwärtig. Das Wohnzimmer mit dem großen Sofa, den vielen Kissen darauf und der Vase mit den Stoffblumen auf dem Tisch: Die Möbel stehen alle noch so dort, wie er sie damals ausgesucht und platziert hat. Das große Bild, das im Wohnzimmer hängt und meinen Sohn zeigt, haben wir nach seinem Tod dort aufgehängt, um ihn immer bei uns zu haben. Die Trauer bleibt, es wird bislang auch nicht besser. Was mir Kraft gibt, ist meine Schwiegertochter, mit der ich weiterhin in der Wohnung lebe. Und mein Glaube: „Vergiss nicht, jeden Tag zu beten“, steht auf einem Schild, das meine Küche schmückt. Ich vergesse es nicht – und danke Gott trotz meiner schweren Zeit für alles, denn das letzte Wort hat immer er.“