Tabletten-Sucht

Vom Heilmittel zum Suchtmittel

Tabletten können helfen. Aber nicht jeder weiß: Sie können auch abhängig machen, wenn man sie zu lange oder falsch einnimmt. Besonders gefährlich sind bestimmte Schmerz-Tabletten und einige Schlaf- und Beruhigungsmittel. Schon kleine Mengen können schnell abhängig machen.

Oliver Gast, Foto: Tanja Kernweiss

Etwa 2,9 Millionen Menschen in Deutschland sind betroffen: Sie nehmen Medikamente zu oft, zu lange oder falsch ein. Viele sind von den Medikamenten abhängig und merken das oft erst spät.

Zum Beispiel wurden im Jahr 2022 bestimmte Schlafmittel sehr oft verschrieben. Der Wirkstoff darin heißt Eszopiclon. Man sollte Eszopiclon nur kurze Zeit einnehmen. Es kann schnell abhängig machen.

Prof. Dr. Ulrich Zimmermann ist Psychiater und Chefarzt der Klinik für Suchtmedizin und Psychotherapie in Haar. Er sagt:

„Man muss wissen, dass Medikamente abhängig machen können. Davon wieder loszukommen, ist schwer. Sehr schwer.“

Man kann davon schnell körperlich und seelisch krank werden. Zuerst helfen die Medikamente.

Und man merkt oft gar nicht, dass man sie schon zu lange einnimmt. Oder auch zu viel davon.

Dann können Medikamente zu Drogen werden. Sogar Schmerzmittel wie Ibuprofen und Hustenmittel sind gefährlich.

Fachleute sagen schon seit einiger Zeit: Probleme mit Medikamenten müssen ernster genommen werden. Auch die Politik muss sich darum kümmern.

Im Jahr 2021 haben Fachleute neue Empfehlungen herausgegeben. Sie erklären, warum Medikamente gefährlich sein können und wie man besser damit umgehen kann. Die Tipps helfen Ärzt*innen und anderen Fachleuten. Und auch den Patient*innen. Viele Hausärzt*innen verschreiben Medikamente, die süchtig machen können. Sie verschreiben die Medikamente oft über eine lange Zeit. Deshalb sagen Fachleute: Es muss klare Regeln geben, wann solche Medikamente wirklich nötig sind. Außerdem soll die Menge regelmäßig überprüft werden. Wichtig ist auch: Ärzt*innen sollen die seelische und soziale Situation der Patient*innen beachten. Und die Medikamente rechtzeitig wieder absetzen.

Zum Beispiel nehmen auch viele ältere Menschen über viele Jahre bestimmte Schlafmittel.

Prof. Dr. Ulrich Zimmermann sagt: „Das kann 20 Jahre lang gut gehen. Aber dann wird man mit dem Alter vielleicht vergesslich und nimmt das Medikament zu oft ein. Dadurch wird einem zum Beispiel schwindelig und man stürzt.“

Im Auftrag des Gesundheitsministeriums wurde in den Jahren 2022 und 2023 eine Studie gemacht. Darin wurde geschaut, wie oft Jugendliche und junge Erwachsene Beruhigungs- oder Schmerzmittel nehmen. Die Studie zeigt: Viele junge Menschen, die solche Medikamente nehmen, probieren auch andere Drogen aus.Viele junge Menschen fühlen sich seit der Corona-Zeit seelisch schlechter. Auch andere Krisen auf der Welt machen ihnen Sorgen. Deshalb greifen manche öfter zu starken Beruhigungs- oder Schmerzmitteln.

Prof. Dr. Ulrich Zimmermann sagt:

„Angst-Störungen und Depressionen kann man gut behandeln. Mit Medikamenten und mit Therapie.

Aber die Patienten müssen auch mitmachen. Denn oft ist es so: Wenn sich die Patienten durch die Medikamente besser fühlen, dann wollen sie oft keine Therapie. Sie wollen sich nicht darum kümmern, warum es ihnen schlecht ging. Denn eine Therapie kann auch anstrengend sein und lange dauern. Außerdem ist es schwierig, einen Therapeuten zu finden.“

Auch Oliver Gast nimmt seit vielen Jahren starke Medikamente. Zuerst haben ihm die Medikamente geholfen, von seiner Alkohol-Sucht loszukommen. Doch dann wurden die Medikamente zum Problem. Oliver Gast ist 56 Jahre alt. Er hatte einen guten Job und Familie.

Vor 20 Jahren bekam er plötzlich Panik-Attacken. Ein Arzt stellte eine schwere Depression bei ihm fest. Oliver Gast bekam Medikamente und begann eine Therapie. Aber er nahm die Medikamente dann nicht, sondern trank Alkohol. Zuerst Bier, später stärkeren Alkohol. Dann musste er einen Alkoholentzug machen. Dafür bekam er ein starkes Medikament. Oliver Gast erzählt: „Mit dem Medikament fühle ich mich ein bisschen beschwingt. Es ist angenehm, fast wie ein leichter Schwips.“

So wurde er zwar den Alkohol los, wurde aber nach und nach abhängig von den Medikamenten.

Mit den Folgen kämpft er bis heute. Zum Beispiel fällt es ihm schwer, sich zu konzentrieren. Aber insgesamt geht es ihm besser. Er ist zuversichtlich und er hat wieder Pläne für sein Leben. Durch die Medikamente ist auch seine Depression nicht mehr so schlimm. Vielleicht beginnt er bald eine Psychotherapie. Aber es muss ihm körperlich erst einmal besser gehen. Er hat Brüche in seinen Füßen und braucht deshalb Krücken.

Oliver Gasts Geschichte zeigt:

Man kann sehr schnell von Medikamenten abhängig werden. Man muss sich dafür nicht schämen. Aber man sollte sich Hilfe holen!

Woran erkenne ich, ob ich von Medikamenten abhängig bin?

Zum Beispiel:

  • Ich nehme mehr Medikamente als geplant oder ich nehme sie länger als geplant.
  • Ich schaffe es nicht, weniger Medikamente zu nehmen.
  • Ich habe ein starkes Verlangen, das Medikament zu nehmen.
  • Ich denke oft an das Medikament oder verbringe viel Zeit damit, es zu bekommen.
  • Ich vernachlässige deswegen meine Arbeit, Hobbys, Familie oder Freunde.
  • Ich brauche immer mehr von dem Medikament, damit es wirkt.
  • Wenn ich das Medikament nicht nehme, fühle ich mich körperlich schlecht.

Zum Beispiel: Ich zittere oder ich schwitze.

Haben Sie das Gefühl, das trifft auf Sie zu?

Dann holen Sie sich so früh wie möglich Hilfe.

► Sprechen Sie mit Ihrem Arzt oder Ihrer Ärztin.

► Oder lassen Sie sich in einer Suchtberatungsstelle beraten.

► Erste Hilfe im Internet findet man bei der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen e.V.:

Bitte anklicken: https://www.medikamente-und-sucht.de

Dort gibt es auch eine Liste von Beratungsstellenin Ihrer Nähe: Bitte anklicken: https://www.dhs.de/service/suchthilfeverzeichnis

Original-Text von Vera von Wolffersdorff

Zusammenfassung der wichtigsten Infos in Einfacher Sprache von Verena Reinhard, www.einfachverstehen.de