
Am 8. Oktober wird in Bayern der neue Landtag gewählt. Stimmberechtigt sind volljährige Personen mit deutscher Staatsbürgerschaft und Wohnsitz in Bayern. In München sind das voraussichtlich 896.000 Personen, deutlich weniger, als in der Stadt leben. Von unseren Verkäuferinnen und Verkäufern ist das sogar nur jeder Dritte, obwohl die meisten schon seit Langem in der Stadt leben und arbeiten. Ihre Lebensläufe sind typisch auch für andere, die aus Jugoslawien, Italien, der Türkei, später dann aus Rumänien und Bulgarien gekommen sind und im Niedriglohnbereich vergleichsweise schwer arbeiten oder gearbeitet haben. Während im Wahlkampf Populisten über „schweigende Mehrheiten“ schwadronieren, kann im echten Leben jeder sehen, wer das tatsächlich ist: beispielsweise die Frauen und Männer, die beim Bäcker die Butterbrezn einpacken, im Supermarkt Regale auffüllen, Pizzen und Getränke liefern oder in Büros und Krankenhäusern putzen. Obwohl sie Steuern und Sozialversicherung bezahlen, sind sie am deutschen Wohlstand nicht beteiligt. Denn kein anderes Industrieland besteuert Einkommen aus Arbeit so hoch, während Reichtum bei Erbschaften und Vermögen kaum herangezogen wird. Von hohen Immobilienpreisen und dem enormen Wertzuwachs profitieren Immobilienbesitzer, die Rechnung dafür zahlen andere. Wie kann es sein, dass manche, die in der glücklichen Lage sind, in den eigenen vier Wänden zu wohnen oder gar an andere zu vermieten, über Pläne der Regierung, Heizungen von fossiler auf erneuerbare Energie umzustellen, sich so in Rage katapultieren? Und bestimmte Politiker und Unterhaltungsmacher das aufgreifen und es im Wahlkampf wochenlang in Bierzelten und in den Medien pushen? Ich befürchte, dass das der kleinste gemeinsame Nenner derjenigen ist, die die wirklichen Herausforderungen unserer Gesellschaft nicht wahrhaben wollen: eine zunehmende soziale Ungerechtigkeit, den bedrohlichen Klimawandel und zunehmend dreiste demokratiefeindliche Attacken. Mir ist bewusst geworden, wie sehr unsere offene Demokratie immer wieder bestärkt werden muss. Wie gut es wäre, wenn wir, die das Privileg haben, zu wählen, auch die Rechte der Menschen im Blick behalten, die keine Stimme haben. Das bringt diejenigen Parteien nach vorn, die nicht nur eigene gute Ideen haben, sondern auch mit anderen sachlich und verträglich kooperieren und Konflikte friedlich beilegen. Demokratinnen und Demokraten müssen zusammenhalten, die Wütenden und die Sanften, die
Lauten und die Leisen, Große, Kleine, Dicke, Dünne, Bunte und überhaupt – alle.
Herzlichst

Karin Lohr, Geschäftsführerin