Wie kann man mit alten Fahrradschläuchen,
Blumenzwiebeln, Stauden und
Blumensamen die Stadt grüner machen?
Wir haben das Experiment gewagt.
Fotos: STEPHANIE KERN & MARGIT ROTH
Text: MARGIT ROTH
Wildblumen in Fahrradschläuchen
Die Topfvarianten
Für Sonne und Halbschatten:

Leiterin von Café Netzwerk,
übernimmt den Transport
der sogenannten HOKIs.
- Heilziest –
Rotes Schleifenkraut –
Französisches
Leimkraut –
Schnittknoblauch - Bergminze –
Karthäusernelke –
Nelken-Leimkraut –
Schnittknoblauch - Gelbe Skabiose –
Pfingstnelke –
Dolden-Schleifenblume – Stern-Tulpe - Dalmatiner
Glockenblume –
Büschel-Glockenblume – Ackerrittersporn –
Traubenhyazinthe
Für schattigere
Plätze: - Hirschzungenfarn –
Große Sternmiere –
Waldvergissmeinnicht – Türkischer
Winterling - Große Sterndolde –
Berg-Segge –
Wildes Löwenmaul –
Großes Schneeglöckchen - Schnee-Hainsimse –
Zimbelkraut –
Schmalblättriger
Hohlzahn –
Krokus ‚Ruby Giant‘
––– Die Idee
Seit 2013 bekommen alte Fahrradschläuche, die bei Dynamo Fahrradservice Biss e.V. anfallen, durch „Pulpo – abgefahren in München“ ein neues Leben. Bei Dynamo werden die Schläuche gewaschen und gereinigt. Dann werden sie nach Vorlagen der Künstlerin Naomi Lawrence in der Nähwerkstatt des Netzwerks Geburt und Familie e.V. zu Schlüsselanhängern, Satteltaschen, Handyhüllen und Geldbörsen weiterverarbeitet und online sowie in verschiedenen Münchner Geschäften verkauft. Durch das Upcycling der Fahrradschläuche wird nicht nur Müll vermieden, sondern es entstehen auch Arbeitsplätze für sozial benachteiligte Menschen. Vor zwei Jahren begannen wir, das Produkte-Angebot von Pulpo weiterzuentwickeln. Aus den Fahrradschläuchen sollten nicht nur Gebrauchsgegenstände gefertigt werden, sondern auch Gefäße entstehen, die München grüner machen: im Großen vor öffentlichen Gebäuden genauso wie im
Kleinen in Hinterhöfen oder auf Balkonen. Monatelang haben wir Gedanken gedreht und gewendet wie der optimale Fahrradschlauch-Blumentopf aussehen könnte und welche Eigenschaften er erfüllen müsste. Ein Dummy wurde genäht, bepflanzt und auf einem Südbalkon einem Härtetest unterzogen. Schon bald stellte sich heraus, dass das Material gut geeignet ist.
Aus dem anfänglichen Vorhaben, nur die Töpfe aus Fahrradschläuchen zu nähen und zu verkaufen, entwickelte sich nach und nach ein Projekt, bei dem die Mitarbeitenden in den Mittelpunkt rückten. Männer und Frauen von Dynamo, BISS und der Nähwerkstatt sollten einen Einblick in den gesamten Produktions- und Pflanzprozess erhalten: vom Fahrradschlauch über das Nähen der Töpfe bis zum Bepflanzen mit winterharten Stauden und Blumen.
Sie sollten ein Verständnis dafür entwickeln, warum welche Pflanzen ausgewählt werden und welche Auswirkungen es auch für Insekten hat, eine möglichst große Vielfalt an heimischen Pflanzen auf dem Balkon zu haben.
––– Die Vorbereitung

Um aus einer guten Idee ein nachhaltiges Produkt werden zu lassen, bedarf es einiger Vorbereitungen. Zuerst wurden Pflanzgefäße in unterschiedlichen Größen genäht. Die Beutel sollten groß genug sein, um mehrere verschiedene Blumensorten im Topf unterzubringen, schließlich sollte über das ganze Jahr hinweg etwas Buntes zu sehen sein. Sie durften aber nicht zu groß sein, damit sie auf Balkonen gut Platz haben und transportiert werden können. Im Norden von München entstand 2019 ein ökologisches Musterquartier, der Prinz-Eugen-Park. 60 Dächer und viele Gemeinschaftsanlagen wurden vom Naturgartenplaner Reinhard Witt begrünt. Damit die BewohnerInnen sich adäquat um die Naturgärten kümmern können, führt Witt regelmäßig Workshops durch und berät die NeugärtnerInnen bei der Pflege der Beete. Witt engagiert sich seit Jahrzehnten für mehr Biodiversität in Städten, hat zu dem Thema Bücher geschrieben und Workshops gehalten. Auf Anfrage erklärte sich Witt sofort bereit, für die Mitarbeitenden einen Pflanzworkshop abzuhalten. Witt machte den Vorschlag, den Workshop in der Staudengärtnerei Spatz und Frank durchzuführen.
Die Gärtnerei ist auf winterharte Stauden in Bioqualität spezialisiert, idyllisch gelegen und außerdem groß genug für Veranstaltungen. Ziel war es ja, den Teilnehmenden nicht nur theoretisches Wissen zu vermitteln, sondern ihnen vor Ort auch die verschiedenen Pflanzen näherzubringen und sie am Pflanztisch erste Erfahrungen sammeln zu lassen. Die Topf-Prototypen wurden zu Reinhard Witt geschickt, damit er sich Gedanken zur Bepflanzung machen konnte. Witt machte Verbesserungsvorschläge, damit die Pflanzen möglichst gut gedeihen. Auf seine Anregung hin wurden beispielsweise Löcher für Drainagen gebohrt, damit sich keine Staunässe in den Töpfen bildet. Getauft wurde der Topf auch gleich noch. Er heißt HOKI.
––– Der Workshop
Am 17.9.2021 war es so weit. Um 8.32 Uhr ging es mit dem Zug vom Hauptbahnhof in Richtung Huglfing.15 Männer und Frauen der sozialen Betriebe BISS, Nähwerkstatt und Dynamo Fahrradservice fuhren zur Gärtnerei Spatz und Frank, um vieles über Insekten, Wildstauden, Torf und Samen zu erfahren, von Susanne Spatz durch die Gärtnerei geführt
zu werden und anschließend die mitgebrachten Töpfe zu bepflanzen. Besonders begeistert waren die TeilnehmerInnen von einer kleinen Raupe, die auf einem Zweig saß und aufgrund ihrer perfekten Tarnung kaum zu erkennen war. Es ist der Blick für die Details, durch den auch die versteckte Schönheit der Natur sichtbar wird.
Nach einer kurzen Einführung, bei der alle noch etwas zurückhaltend den Erklärungen von Reinhard Witt lauschten, taute die Gruppe nach und nach auf. Als es an den praktischen Teil ging, war von Schüchternheit nichts mehr zu bemerken. Die Ärmel hochgekrempelt, haben alle eifrig torffreie Erde mit Samen vermischt und Stauden gesetzt.
Nachmittags ging es zurück nach München. Um die Wartezeit bis zur Abfahrt des Zuges zu verkürzen, stärkten sich die JunggärtnerInnen bei Kaffee und ausgesprochen köstlichem Kuchen im Bahnhofscafé in Huglfing.

––– Die Pflanzaktion
Sechs Wochen später ging es erneut zu Spatz und Frank. Diesmal mit 100 aus jeweils vier Fahrradschläuchen genähten Töpfen, die an diesem Tag bepflanzt werden sollten. Nach den Pflanzvorschlägen von Reinhard Witt waren Blumenzwiebeln bestellt worden. Die Samen hatte er uns beim Workshop geschenkt und die Stauden Susanne Spatz schon zusammengestellt, so dass von jeder der sieben Varianten je 15 Töpfe bepflanzt werden konnten. Während im September die Gärtnerei noch in voller Pracht stand, klopfte auch hier inzwischen der Winter gut hörbar an die Tür. Mit dicken Winterjacken, Mützen und warmen Schuhen war die Kälte aber gut zu ertragen. Zuerst wird in die Töpfe eine ca. vier Zentimeter hohe Schicht aus Tongranulat eingefüllt, bevor sie mit Bio-Erde befüllt werden. Danach werden sie mit einer großen Schubkarre zu den Pflanztischen gebracht, um mit Zwiebeln, Pflanzen und Samen bestückt zu werden. Nach kurzer Zeit wusste jeder und jede, was zu tun war, sodass die Aktion wie am Schnürchen lief. In einem Fahrradschlauch-Blumentopf gesellen sich Betonia officinalis und Rotes Seifenkraut zu Französischem Leimkraut und Schnittknoblauch. In einem anderen Topf finden sich Dalmatiner und Büschel Glockenblumen mit Ackerrittersporn und Traubenhyazinthen wieder. Damit nichts durcheinandergerät, werden alle Töpfe mit wasserfesten Stickern versehen, die vorbereitet worden waren. Schon am frühen Nachmittag ist das Werk vollbracht, die HOKIs werden in einen Transporter verladen und über den Winter auf Balkone und Gärten verteilt. Ein Teil der Pflanzen überwintert im Garten des BISS-Hauses in Hohenschäftlarn, ein anderer wird von Mitarbeiterinnen des Netzwerks Geburt & Familie und von BISS auf Münchner Balkonen und in Gärten im Stadtgebiet betreut. Im März, wenn die ersten zarten Pflanzen zu sehen sind, werden die Töpfe wieder eingesammelt und verkauft.
––– Der Verkauf
Die sieben verschiedenen Pflanzvarianten für sonnige Standorte, aber auch für Halbschatten und Schatten können auf verschiedenen Wegen erworben werden:
www.pulpo-muenchen.de
Auf der Website sind die blühenden Pflanzen abgebildet, damit Sie eine Vorstellung davon bekommen, wie Ihr Balkon den Sommer über aussehen wird. Geliefert werden die Töpfe innerhalb des Stadtgebietes CO2-neutral und kostenfrei mit einem Lastenrad.
Jeder HOKI kostet 28 Euro. Die Töpfe können online bestellt oder vor Ort gekauft werden.
Online:
www.pulpo-muenchen.de
Hier finden Sie auch noch einmal die Pflanzkombinationen mit Bildern.
Vor Ort:
Café Netzwerk, Häberlstraße 17,
Montag bis Freitag 9.00 bis 14.00 Uhr,
und bei Dynamo Fahrradservice BISS e.V.,
Haager Straße 11 (Nähe Ostbahnhof Werksviertel), Dienstag bis Freitag
9.00 bis 13.00 und 14.00 bis 18.30 Uhr.
Telefonisch:
Dynamo Fahrradservice BISS eV.:
Tel. 089 4487200