Münchner Erfindungen fürs Klima

Von CAROLINE VON EICHHORN

Die Ärmsten trifft der Klimawandel am härtesten. Ihn aufzuhalten ist deshalb auch ein sozialer Auftrag. Nicht nur eine sozial gerechte Klimapolitik, sondern auch Innovation und Mut sind dafür nötig! Wir haben drei Erfinder*innen aus dem Großraum München begleitet, die mit ihren Ideen das Klima retten wollen.

Illustration SEBASTIAN JUNG

Die Zeit drängt. Wir müssen die Emissionen senken. Sonst werden nicht nur Teile der Erde unbewohnbar, sondern wächst auch die globale Armut. Die ärmsten Menschen unserer Welt haben den geringsten CO2-Ausstoß, leiden aber am meisten unter den Folgen – doch auch bei uns werden sie mehr und mehr spürbar: in Form von Hitzewellen, Flutkatastrophen und Wassermangel zum Beispiel. Klimaschutz hat die Chance, einen Beitrag gegen die Armut zu leisten. Der wichtigste Hebel dafür ist die Politik, aber auch Forschung, Technologien und ökologische Start-ups sind von Bedeutung, „weil da das Potenzial liegt, wirklich radikale Innovation umzusetzen“, sagt Innovationsökonomin Hanna Hottenrott von der Technischen Universität München. Wir haben uns auf die Suche gemacht nach Erfindungen aus dem Großraum München, die dazu beitragen sollen, das Klima zu retten. Auf den ersten Blick findet man Ideen zuhauf, doch viele stellen sich als sogenanntes Greenwashing, also nur vermeintlich nachhaltig, heraus. Einige Ideen sind noch nicht weit genug, um sie zu präsentieren. Andere Innovationen gibt es schon ein paar Jahre, doch sie schaffen nicht so recht den Markteinstieg. Innovationen zu entwickeln, die wirklich klimafreundlich sind – kein Zuckerschlecken. „Deutschland ist das Land der Erfinder“, sagt Innovationsexpertin Hanna Hottenrott. „Aber natürlich braucht es nach der Erfindung noch die Umsetzung von der Idee in ein markttaugliches Produkt. Und da hapert es häufig. In den Universitäten zum Beispiel gibt es unglaubliche Erfindungen im Bereich Nachhaltigkeit. Aber nur wenige von denen haben es bisher geschafft, auch umgesetzt zu werden.“ Drei Ideen rund um München haben unser Interesse geweckt. Wir haben sie ein Stück weit begleitet: einen E-Sprinter, recycelten Beton und viele kleine wuseligen Maden.

Idee Nr. 1 Insekten als Futter für Fische, Schweine und Hühner

Thomas Kuehn (l.) und Wolfgang Westermeier (r.) mit einer Mastkiste voll Larven vor der automatischen Produktionsanlage

Bei den Maden fangen wir an: Mithilfe der Schwarzen Soldatenfliege die Landwirtschaft klimafreundlicher machen – das wollen Thomas Kuehn und sein Team. Die Fliegenlarven sollen das neue Proteinfutter für Fische, Hühner und Schweine werden. Unter dem Firmennamen Farminsect verkaufen sie von Bergkirchen aus Anlagen, mit denen Landwirte die Larven der Schwarzen Soldatenfliege eigens züchten können. Seit 2017 sind sie als Fischfutter und seit 2021 als Futter für Schweine und Geflügel in der EU zugelassen. Es entsteht also ein neuer Markt. „Wir haben beide schon Unternehmen davor gegründet, mein Mitgründer Wolfgang im Lebensmittelbereich und ich im IT-Bereich. Wir haben beide Kinder und wir wollen etwas für die folgenden Generationen tun“, sagt Thomas Kuehn.
An einem sonnigen Tag putzt Thomas Kuehn seinen Produktionsstandort heraus. Denn es geht um viel Geld. Es kommen Landwirte aus Niederbayern zu Besuch, die seine Anlage vielleicht kaufen wollen. Kostenfaktor: eine halbe Million Euro aufwärts. Eine große Investition. „Wir müssen es dem Kunden schmackhaft machen. Deswegen ist ein bisschen Aufregung dabei“, sagt er, während er mit dem Kaffeebecher auf dem Parkplatz steht und auf die Gäste wartet. Vier Männer unterschiedlichen Alters kommen auf ihn zu. „Servus! Schön, dass ihr gekommen seid“, sagt Thomas. Unter ihnen ist Sebastian Pauli. Er hat einen Geflügelbetrieb im Bayerischen Wald. Ein Grund, warum er sich für neue Futtermittel interessiert: die Preise. „Die haben sich verdoppelt, grob gesagt. Nicht ganz, aber fast. Beim Weizen letztes Jahr um die Zeit war man bei 23 Euro für 100 Kilo, heute sind wir bei knapp 40 Euro. Beim gentechnikfreien Soja ist das noch krasser“, sagt Pauli.
Aber er will seine Hühner auch möglichst nachhaltig ernähren. Nutztiere wie Hühner, Schweine und Fische brauchen Proteinfutter zum Wachsen. In der Regel ist das Soja, aus Amerika importiert. Oder Fischmehl. Die Nachteile: Regenwaldzerstörung. Überfischung. Lange Transportwege. Insekten hingegen können vor Ort gezüchtet werden. Sie fressen Reststoffe wie etwa Gras oder Kartoffelschalen.

Wie funktioniert die Larvenzucht? Farminsect liefert regelmäßig Junglarven an Landwirte. Die Landwirte rühren aus Reststoffen einen Futterbrei in der Maschine an. Junglarven und Futterbrei kommen in Kisten in eine Klimakammer, wo die Junglarven sieben Tage lang fressen und wachsen. Jetzt können die ausgewachsenen Larven lebendig oder als Pellets an Fische, Hühner oder Schweine verfüttert werden – bevor die Fliegen schlüpfen. Können sich das die Landwirte vorstellen? Noch nicht ganz. Deswegen führt Thomas Kuehn sie durch die Produktionsstätte. Als Erstes geht die Gruppe zur Klimakammer. Darin ist es 30 Grad heiß und feucht, damit die Larven optimal wachsen können.

„Boah, eklig ohne Ende. Magst du mal. Oh, i woaß ned“, sagt Sebastian Pauli, als er die Larven das erste Mal sieht und anfasst. Eine Larve krabbelt zwischen den Fingern durch. „Schau dir das an, das kitzelt!“ Als Nächstes zeigt Thomas Kuehn den Bauern den Futtermischer. „Hier wird das Futter vollautomatisch angemischt, wir haben hier mehrere Kettenförderer, die verschiedene Silos anbinden, wo zum Beispiel Weizenkleie und andere Futtermittel drinnen sind.“ Farminsect sieht sein Konzept als Teil der Kreislaufwirtschaft und will die Lieferketten kurz halten, sagt Mitgründer Wolfgang Westermeier. „Wir versuchen unsere heimischen Ressourcen effizient zu verwerten. Gerade unter den aktuellen Entwicklungen ist das noch mal wichtiger geworden.“ Nach zwei Stunden ist die Tour vorbei. „Insgesamt ist es gut gelaufen, es gab viele interessierte Fragen“, sagt Thomas Kuehn. Doch Landwirt Sebastian Pauli ist noch nicht überzeugt. Er muss erst einmal tief seufzen. „Einerseits die Investitionskosten, die sind durchaus noch in einem Bereich, der höher ist als normale Futtermittel. Und so eine Anlage produziert erhebliche Mengen, da brauchst du entsprechende Logistik. Es sind noch viele Fragen zu klären. Eins nach dem anderen“, resümiert er.
Heute wird es also nichts mit dem Verkaufen. Sieben Anlagen konnte Farminsect in den zwei Jahren Unternehmensgeschichte verkaufen. Kuehn nimmt es gelassen. „Es ist manchmal eine Herausforderung, aber wenn’s leicht wäre, könnte es jeder machen.“ Die Bauern verabschieden sich. Sebastian Pauli nimmt eine Kiste Larven mit. Später schickt er ein Video, wie er sie verfüttert: Bei seinen Hühnern kommen sie gut an.

Idee Nr. 2 Recycling in der Baubranche

Recyclingbeton aus Bauschutt

Szenenwechsel. Die Baubranche, auch ein großer Klimakiller. Die Herstellung von Beton verursacht jährlich Milliarden Tonnen CO2. Und der dafür benötigte Sand wird immer knapper. Andrea Kustermann, Professorin für Bauingenieurwesen, will das ändern. Sie recycelt Bauschutt im Rahmen eines EU-Projekts auf dem Gelände der Bayernkaserne im Norden von München. Denn davon sind Berge vorhanden. Sie nimmt eine Handvoll zerkleinerten Bauschutt und zeigt, wie er sich zusammensetzt: „Da sieht man ganz schön das Gemisch: Das ist ein Naturstein, Ziegelbrocken, Zementstein und Ziegelstaub.“
Mit ihren Studierenden baut sie in diesem Semester Möbel aus dem Bauschutt. Sie sollen auf diese Weise lernen, was man mit Recyclingbeton machen kann, und es in der Zukunft anwenden. Denn während für den Straßenbau mittlerweile auf Recyclingbeton zurückgegriffen wird, findet er bei Gebäuden hierzulande noch selten Einsatz. Mit dabei ist Christoph Eiglmeier, 25 Jahre alt. „Wir, meine Gruppe und ich, haben eine Schwungliege entworfen und eine Schalung dafür gebaut.“ Ob die selbst gebaute Schalung hält?

Bisher darf man in Deutschland aus Qualitätsgründen nur einen kleinen Teil des Bauschutts als sogenannte Körnung im neuen Beton wiederverwenden. „Wir haben das Ziel, hundert Prozent der Körnung zu ersetzen, mit der Idee, alles was anfällt, wiederzuverwenden, damit die Transportkilometer für Transport von Beton gering gehalten werden“, sagt Andrea Kustermann. Das ist vor allem auch deshalb wichtig, weil der Rohstoff Sand immer knapper wird. Christoph Eiglmeier findet: „So, wie es jetzt läuft, dass wir immer neuen Beton herstellen, kann es nicht funktionieren.

Wiederverwendung der bestehenden Baustoffe wird immer mehr kommen.“ Sein Kommilitone ergänzt: „Da sind uns andere Länder voraus.“ Die Niederlande oder die Schweiz zum Beispiel recyceln viel mehr Beton. Andrea Kustermann will mit ihrem Projekt dazu beitragen, dass das in Deutschland auch besser klappt. Jetzt muss noch die Luft aus der Schalung herausgeklopft werden. Christoph Eiglmeier klopft mit dem Gummihammer drauf. „Wir wollen nicht mit dem Rüttler rein, weil unsere Schalung zu filigran ist.“
Ein paar Tage muss der Beton trocknen. Dann die Erleichterung: Die filigrane Liege hält! Christoph schickt ein Foto, auf dem er Probe liegt. Doch das größte Problem des Betons liegt woanders: im Zement. Er verursacht weltweit etwa acht Prozent der Emissionen, weil er bei über 1.400 Grad gebrannt werden muss.
Der klimaschädliche Zement. Er ist der Kleber im Beton, der Sand, Wasser und Kies zusammenhält. Benjamin Wolf aus Kustermanns Team erforscht im Labor der Hochschule München, wie Zement mit Recycling klimafreundlicher werden kann. Er untersucht das Mehl, das beim Zerkleinern von Beton übrig bleibt. Darin befinden sich Zementreste, die man wiederverwenden kann. Sie kleben zwar nicht mehr so gut, müssen allerdings auch nur bei etwa 800 statt 1.400 Grad gebrannt werden. „Mein Ziel ist, mindestens 20 Prozent des Zements einzusparen durch den Zement-Zusatzstoff Recyclingbetonmehl.“ 20 Prozent. Immerhin. Heißt aber auch: 80 Prozent des Zements sind immer noch so CO2-intensiv wie zuvor.
Ist das ein Tropfen auf den heißen Stein? „Es ist ein langer und steiniger Weg, aber einer, der sich lohnt, weil natürlich nicht nur die Produktion optimiert wird, sondern auch Rohstoffe gespart werden. Rohstoffe sind endlich.“ Der Weg zu einer klimafreundlichen Baubranche – er ist mühsam. Andrea Kustermann und ihr Team geben aber nicht auf.

Idee Nr. 3 Elektrosprinter

Eine Industriehalle am Rande von Ismaning bei München. Hier baut das Team von E-Works Mobility den – nach eigener Aussage – stärksten Elektrotransporter der Welt. „Heero“ heißt er, leistet 245 PS und kommt 400 Kilometer weit. Früher war das mal ein Mercedes-Sprinter. Die Karosserie bleibt erhalten. „Retrofit“ nennt sich diese Umrüstung. „Den rüsten wir mit Partnern selbst um und vertreiben ihn auch selbst. Wir haben ein patentiertes Batteriepack entwickelt, das 110 Kilowattstunden im Fahrzeug unterbringt. Die Batterie wird am Unterboden montiert und hat eine Aussparung für die Kardanwelle, um den Bauraum bestmöglich auszunutzen.“ Dominik Ashkar öffnet die Motorhaube: Im Motorraum befindet sich gar nicht mehr viel. „Es würden noch eineinhalb Kästen Bier reingehen“, sagt Ashkar. Dann zeigt er die Ladedose, die vorn untergebracht ist, wo normalerweise das Logo der Automarke ist. „Weil sie dort gut zugänglich ist, sowohl in der Stadt als auch auf den Autobahnraststätten. Wir können hier bis zu 22 Kilowattstunden AC, also Wechselstrom, und bis zu 100 Kilowattstunden DC, also Gleichstrom, laden. Mit Gleichstrom geht es sehr viel schneller.“
Lange hat sich bei der Elektromobilität wenig getan, aber jetzt ist sie im Kommen. In den vergangenen zwei Jahren haben sich die Zulassungen der E-Autos verdoppelt. Auch wenn ihr Anteil immer noch nur 2,6 Prozent aller Autos beträgt. Nutzfahrzeuge hinken allerdings hinterher. Kritiker bezweifeln, dass Elektrotransporter die Leistung erbringen, die etwa Handwerkerautos brauchen. Und auch wir fragen uns: Sind die stark genug? Um das zu testen, fährt der Heero auf einen Berg. Damit es nicht zu leicht ist, gibt’s noch ein 1.600 Kilo schweres Elektroauto obendrauf. Das Heero-Team gibt sich selbstsicher. Von Zweifel keine Spur. „Wir wissen, was wir können“, sagt Dominik Ashkar.
Los geht’s Richtung Alpen. Leise summt der E-Transporter über die Straße. Neue Anbieter haben in der deutschen Automobilbranche lange keine Rolle gespielt. Mit der Elektromobilität bekommen die etablierten Player von kleinen Herstellern Konkurrenz. „Wir sind mittlerweile einige Mitarbeiter. Es hängen Familien dran. Es ist durchaus eine hohe Verantwortung. Aber wir wollen schon einen echten Mehrwert schaffen, also für die Kunden, letzten Endes auch für die Nachhaltigkeit, für die Umwelt.“
Angekommen am Fuße des Taubenbergs im Voralpenland: Hier warten 15 Prozent Steigung. Ashkar blickt nach oben. „Schauen wir mal, ob der Heero die fünf Tonnen Gespanngewicht da hochbringt.“ Doch dann: Der Heero muss vor dem Berg noch wenden und bleibt in einer sumpfigen Wiese stecken. Kurz schaut es so aus, als ginge nichts mehr vor und zurück. Doch dann kommt ein Bagger vorbei und gibt dem Heero Anschubhilfe. Ashkars Handy klingelt. Sein Kollege Peter ist dran. „Mich zieht grad ein Bagger aus der Wiese, weil ich mich festgefahren hatte“, erzählt Dominik und lacht. Jetzt kann er sich der eigentlichen Herausforderung widmen: Hat der E-Sprinter genug Power für den Berg oder bleibt er unterwegs liegen? Er besteht den Test. „Lockerflockig“, sagt Dominik Ashkar. „Anfahren im Hang ist schon heftig, also man merkt, dass er Kraft braucht, aber macht Spaß!“ Der E-Sprinter hat einen stolzen Preis. Die Umrüstung kostet 77.000 Euro. Dennoch: Erste Aufträge laufen schon ein, sagt Ashkar.

Ob Hühnerfutter, Elektrosprinter oder Recyclingbeton – drei Münchner Ideen für die Zukunft. Sie sind ein Ansatz, reichen aber nicht aus. Ressourcen zu sparen, regionaler zu produzieren, Arten und Natur zu schützen – es bleiben gewaltige Aufgaben, an denen auch unser sozialer Frieden hängt.