EIN TEXT AUS DER SCHREIBWERKSTATT
Dirk Schuchardt
Am 23.9.1968 erblickte ich in der Stadt Werne bei Unna das Licht der Welt. Mehr oder weniger behütet, wuchs ich in Bergkamen die ersten sieben Jahre meiner Kindheit auf. Bis eines Tages mein zukünftiger Stiefvater auf der Bildfläche erschien. Angeschleppt von meinem eigenen Vater, der sich, kurz nachdem die beiden angekommen waren, vollkommen besoffen ins Bett legte. Nur wenige Wochen später zogen meine Mutter, mein Bruder und ich mit diesem uns bis dahin fast völlig unbekannten Mann in eine eigens dafür gesuchte gemeinsame Wohnung nach Hamm. Von diesem Tag an begann – insbesondere für mich – die Hölle auf Erden. Sowohl körperliche Gewalt als auch seelische Grausamkeiten waren fortan an der Tagesordnung. Zum Beispiel mussten wir „bitte, bitte“ machen, wenn wir uns Obst aus der Obstschale nehmen wollten – und bei Nichtbeachtung dieser Regeln setzte es sofort Schläge. Anderes Beispiel: Als Nachspeise nach dem Mittagessen gab es oft Pudding oder Götterspeise. Für uns Kinder jeweils einen kleinen Klecks, für unseren Stiefvater aber die große Schüssel. Wie mussten dann zusehen, wie er sich einen Esslöffel nach dem anderen laut schmatzend und gelegentlich rülpsend in seinen gierigen Schlund schob. Wenn er dann irgendwann genug in sich hineingeschaufelt hatte, bekamen wir die Reste zugeschoben. Wenn meine Mutter mal wieder im Krankenhaus lag, was in etwa ein- bis zweimal im Jahr wegen ihrer Bauchspeicheldrüse für jeweils einige Wochen der Fall war, war für uns die Hölle umso intensiver, weil nun niemand mehr da war, der uns in Schutz nahm. Wie ich aus diesem Leidensweg dennoch zum Glück fand, das erzähle ich Ihnen das nächste Mal.