Mein Gesellenbrief

EIN TEXT AUS DER SCHREIBWERKSTATT

VON Wolfgang „Butzi“ Kurz

Nach 43 Jahren fand ich meinen Gesellenbrief wieder. Ganz überrascht war ich, ihn nach mehreren Umzügen und Obdachlosigkeit in einem Ordner zu finden. Ich habe eine dreijährige Ausbildung zum Lastkraftwagen-Mechaniker gemacht. Obwohl ich auf einem Diesel-Lkw gelernt hatte, kam in der Prüfung ein Pkw vor und auch noch ein Benziner, denn damals, 1978/79, waren Diesel-Pkws sehr rar. So kam es, dass ich in der Theorie eine Vier hatte, aber im Praktischen reichte es für eine Drei. Nachdem die Prüfung geschafft war, blieb ich noch ein halbes Jahr bei meinem Lehrbetrieb in Niederbayern, dann verließ ich ihn und ging zu einer Firma nach Prien am Chiemsee. Mein damaliger Chef wollte zwar, dass ich bleibe, aber ich wollte damals in die Welt hinaus.
Von Prien aus fuhr ich Touren bis nach Saudi-Arabien. Darüber habe ich ja auch schon hier an dieser Stelle berichtet. Dass der Gesellenbrief plötzlich wieder da ist, freut mich. Meine Schwägerin wollte mir immer nicht glauben, dass ich einen habe. Jetzt kann ich ihn ihr zeigen. Und damit ihn jeder sehen kann, habe ich ihn in meiner Wohnung an der Wand angebracht. Da hängt er nun, zwischen Bildern von Indianern und Jesus Christus, meinem Tabernakel und dem Weihwasser. Übrigens ist Weihwasser in der heutigen Corona-Zeit ganz selten zu bekommen. Meistens hole ich es am Odeonsplatz bei der schwarzen Madonna in der Theatinerkirche. Aber noch mal zum Aufhängen: Mit dem Nagel musste ich aufpassen, um nicht versehentlich das Stromkabel zu beschädigen. Nicht, dass mein Gesellenbrief am Ende noch einen Kurzschluss verursacht oder mir einen Stromschlag verpasst!