Lebenswille

EIN TEXT AUS DER SCHREIBWERKSTATT

von Dirk Schuchardt

Mit Anfang 20 brachen bei mir beinahe gleichzeitig verschiedene Bluterkrankungen aus, die ich von meinen Eltern geerbt hatte. Zuerst kam die Fettstoffwechselstörung und kurz darauf Diabetes. Bis zu diesem Zeitpunkt war ich sportlich noch recht aktiv und wog bei einer Größe von 184 Zentimetern etwa 82 Kilogramm. Einhergehend mit der Fettstoffwechselstörung bekam ich zunehmend Probleme mit meinen Blutgefäßen. Es bildeten sich allmählich Ablagerungen, die im Laufe der Jahre zu Verengungen führten. 2009 hatte ich dann meine erste Operation an der Halsschlagader. Es folgten mehrere Operationen, bis dann 2017 alles zu spät schien. Die Carotis interna links war zu 100 Prozent zu! Die beiden Schlagadern auf der rechten Seite (Carotis in/externa) waren zu 90 Prozent zu. Ich wurde sofort in die Klinik eingewiesen, in der ich schon mehrmals operiert worden war. Die Ärzte dort trauten sich aber nicht mehr, und so wurde ich noch in derselben Nacht mit einem Rettungsdienst nach Harlaching gefahren. Sofort wurde ich in den schon für mich vorbereiteten OP-Saal gebracht. Ich lag also auf dem OP-Tisch, über und neben mir unzählige Apparate und Monitore, und fragte mich, ob ich die Welt außerhalb dieses Raumes noch einmal wiedersehen würde. Einige Menschen werkelten an mir herum, legten Zugänge. Plötzlich trat ein Mann an meine Seite, den ich anhand seines Namensschildes als Professor Doktor identifizieren konnte. Dieser beugte sich zu mir runter und sagte zu mir: „Keine Angst, Herr Schuchardt, ich kriege Sie schon wieder hin. Sie sind mir noch zu jung, um jetzt schon zu gehen. Wir haben ja auch denselben Jahrgang.“ Ich lauschte seinen Worten, und da mir seine Sprechweise so bekannt vorkam, fragte ich ihn: „Herr Professor, wo kommen Sie her?“ Er antwortete mir, dass er aus der Nähe von Dortmund wäre, worauf ich erwiderte, dass ich aus Bergkamen bei Unna käme. Der Professor schaute über mich hinweg zu seinem Oberarzt und sagte erstaunt: „Jetzt muss ich mich aber doppelt anstrengen, der“ – er meinte mich – „kommt auch noch aus demselben Dorf wie ich.“ Von diesem Moment an waren wir Freunde. Auch wenn dieser Mensch mittlerweile seine ärztliche Kunst den Patienten in Norddeutschland zugutekommen lässt, verbindet uns diese Freundschaft. Ich kann ihn jederzeit telefonisch um medizinischen Rat fragen, und er würde sich sogar bereit erklären, mich in seinem jetzigen Wirkungskreis zu operieren. Mein lieber Freund, ich danke dir, dass du mein Leben gerettet hast.