Kinderarmut in Malawi – ein Problem mit unvorhersehbaren Auswirkungen

Annie Lennox, schottischer Popstar und HIV/AIDS-Aktivistin, zu Besuch im Big-Issue-Büro in Blantyre, Malawi
Annie Lennox, schottischer Popstar und HIV/AIDS-Aktivistin, zu Besuch im Big-Issue-Büro in Blantyre, Malawi | Foto: Davison Makhole

Wenn es stimmt, dass Kinder die Zukunft sind, muss die Zukunft des südostafrikanischen Binnenstaats Malawi jedem, der sich damit beschäftigt, düster erscheinen. Ein großer Teil von Malawis Nachwuchs scheint in einem nahezu aussichtslosen Kampf ums Überleben gefangen, seitdem Überflutungen und eine unermessliche Hungerkrise im Jahr 2002 viele zu einem Leben auf der Straße gezwungen haben. Während Kinder andernorts zur Schule gehen und ihre Fähigkeiten für kommende Herausforderungen ausbilden, lebt Malawis Jugend unter argen Bedingungen: Hunger, Betteln, Taschendiebstahl, Gelegenheitsjobs und Prostitution sind an der Tagesordnung.
Das Problem der Obdachlosigkeit in Malawi bekam ein Gesicht, als die Presse vor einigen Jahren Geschichten über Straßenkinder abdruckte, um auf die Ernsthaftigkeit dieses Problems hinzuweisen. Besonders herzergreifend unter den veröffentlichten Geschichten war die eines 14-jährigen Waisenjungen, der alteingesessen in diesem harten Leben auf der Straße und ein Bettler im Geschäftsbezirk von Blantyre war. Der Junge beschrieb die brutalen Umstände, unter denen er lebte und schloss den Bericht mit der Beschreibung ab, wie zwei Männer ihn ausgeraubt und vergewaltigt haben. Diese Geschichte löste wie eine plötzliche Sturmflut Proteste aus, die Regierung solle das Problem der Obdachlosigkeit landesweit angehen. Aber nach einigen Wochen fortdauernden Protests und beißender Presseveröffentlichungen verlor die Geschichte ihren Reiz und die 15-Millionen-Bevölkerung wandte sich anderen drängenden Problemen zu. Zum Glück kämpfen einige Aktivisten weiter gegen die Obdachlosigkeit und gegen die Gleichgültigkeit gegenüber diesem Thema an.
Die christliche Fürsorge- und Entwicklungsagentur Tearfund gehört zu diesen Aktivisten. Tearfund arbeitet Hand in Hand mit vielen Partnern innerhalb Malawis und darüber hinaus. Die Agentur arbeitet beständig daran, dass das Thema Obdachlosigkeit die dringend benötigte Aufmerksamkeit behält. Nelson Mkandawire, Direktor von Chisomo Children’s Club, einem der Partner von Tearfund, befürchtet allerdings, dass die humanitären Probleme, die aus der Obdachlosigkeit entstehen, mit jedem Jahr schlimmer werden. „Die Hungerkrise hätte zu keinem schlechteren Zeitpunkt kommen können“, erklärt er. „Ohne Essen im Haus waren viele Menschen, insbesondere Kinder, gezwungen auf die Straße zu gehen, um zu betteln.“
Die Lage war vereinzelt so schlimm, dass Chisomo Children’s Club über einen Zuwachs von 150% mehr Kinder auf den Straßen Malawis berichtete. „Wir haben etwa 40 neue Kinder jeden Monat auf den Straßen gesehen und im Dezember hat sich die Zahl verdoppelt“, erinnert sich Mkandawire. „Die Zahl beinhaltet nur Kinder unter 14, die ohne Begleitung sind. Wenn man aber auch die Kinder berücksichtigt hätte, die älter sind oder die tagsüber zusammen mit ihren Eltern zum Betteln auf der Straße sind und nachts nach Hause gehen, wäre die tatsächliche Zahl deutlich höher ausgefallen.“
NGOs befürchten, dass die steigende Zahl an Menschen auf der Straße den alten Teufelskreis aus proportional steigendem sexuellem Missbrauch und daraus resultierend HIV/AIDS-Erkrankungen weiter führen wird. „Man kann es nicht verleugnen. Einmal auf der Straße, sind Obdachlose anfällig für sexuellen Missbrauch. Sie sind so verzweifelt, wollen dem Leid ein Ende machen, dass sie sich mit der Aussicht auf Geld zu zweifelhaften sexuellen Handlungen überreden lassen. Das führt unvermeidbar zu einem Anstieg an sexuellem Missbrauch und folglich HIV/AIDS-Erkrankungen.“ Die ganze Geschichte wird noch verschlimmert durch die Tatsache, dass Malawi nach wie vor eines der zehn ärmsten Länder der Welt ist, wo mehr als ein Drittel der Bevölkerung Analphabeten sind und die Lebenserwartung bei lediglich 47 Jahren liegt. Durch die steigende Verbreitung von HIV/AIDS wird geschätzt, dass über eine halbe Million Kinder Waisen sind.
Die Bemühungen der Regierung und der Helfer vor Ort, die Anzahl von Malawis Bettlern einzudämmen, wurden zusätzlich durch die Tatsache behindert, dass mittlerweile viele Obdachlose Betteln als lukrativer als andere Arbeiten ansehen. „Manche Menschen denken, dass sie Obdachlosen helfen, indem sie ihnen Geld geben. Aber das untergräbt unser Ziel, diese Menschen wieder in die Gesellschaft zu integrieren“, erklärt Jolyne Kululanga, der für die Einstellung der Verkäufer im The-Big-Issue-Büro in Lilogwe zuständig ist. „Eltern haben keine Autorität mehr über ihre Kinder, da diese sich mit Betteln leicht selber Geld verdienen können. Andere Eltern ermutigen ihre Kinder zum Betteln, weil diese so mehr Geld verdienen als Erwachsene in ihrem Job.“ Um zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, versuchen NGOs wie The Big Issue, die Bevölkerung dafür zu sensibilisieren, dass sie nicht das Betteln unterstützen sollten, sondern besser Obdachlosen helfen, die sich für einen konventionellen Weg des Geld-Verdienens entschieden haben. „Wir missbilligen Betteln“, beteuert Kululanga. „Denn unser Motto bleibt ‚Arbeiten nicht betteln’. Unseren Verkäufern ist das Betteln ausdrücklich verboten. Wir versuchen, dass die Bevölkerung uns und unsere Verkäufer dadurch unterstützt, dass sie das Magazin kauft.“ Die Verkäufer von The Big Issue werden bezahlt, weil sie arbeiten. Sie behalten 50% der Einnahmen der von ihnen verkauften Magazine. Andere NGOs ahmen den Ansatz von The Big Issue-Ansatz nach. Tikondane, zum Beispiel, bittet die Öffentlichkeit dringend, eine pro-aktive Haltung im Kampf gegen die Obdachlosigkeit einzunehmen, anstatt einfach jedem Bettler, der einem über den Weg läuft, Geld zu geben.
Autor: Joe Opio/Street News Service
Übersetzung: Jessica Michaels