Kein Bier …

Karin Lohr, Foto: Volker Derlath

… vor vier, lautet der Spruch, der mir einfällt, wenn mir in der Stadt, egal zu welcher Uhrzeit, eine Frau oder ein Mann unbekümmert mit einer Bierflasche in der Hand begegnet. Zugegeben, ich habe eine sogenannte Déformation professionnelle und deshalb einen kritischen Blick. Denn Alkohol ist ein Rauschmittel und die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) empfiehlt, möglichst keinen Alkohol zu konsumieren. Als risikoarmen Konsum bezeichnet die DHS bis zu 24 Gramm Reinalkohol pro Tag für Männer und bis zu 12 Gramm pro Tag für Frauen. Eine einzige bayerische Halbe liegt schon bei 20 Gramm Reinalkohol und ein kleines Glas Wein bei 16 Gramm. Erstaunlich viel, oder?
In unsere letzte Teambesprechung brachte eine Kollegin die Frage ein, ob Alkoholkonsum weniger schädlich sei, wenn man hochwertigen Alkohol konsumiere, etwa Champagner oder edlen Rotwein. Hört sich erst einmal absurd an, denn „risikoarmer Konsum“ bezieht sich ja auf die Menge des Reinalkohols und nicht auf die Qualität des Stoffes. Der Unterschied liegt woanders. Sozialforscher wissen, dass bei sozial benachteiligten Menschen viele weitere Faktoren eine Rolle spielen, die deren Gesundheit und Leben schädigen: enge Wohnverhältnisse, ungesunde Ernährung, weniger Bewegung, geringerer Zugang zu Kultur- und Sportmöglichkeiten und schlechtere Arbeitsbedingungen. Arme Menschen leben kürzer und schlechter und die Spuren des Alkohols werden schneller offensichtlich. Im alltäglichen Umgang mit unseren rund 100 Verkäuferinnen und Verkäufern spielt Alkohol keine große Rolle. Meiner Erfahrung nach trinken Verkäufer im Durchschnitt nicht mehr als der Rest der Bevölkerung. Das sieht man nicht nur an normalen Tagen, sondern auch bei unseren Betriebsausflügen oder der jährlichen Weihnachtsfeier. In Einzelfällen kämpft der eine oder die andere mit der Sucht, wobei unsere Sozialarbeit Unterstützung anbietet. Als niedrigschwelliges Hilfeangebot wollen wir unbedingt zugänglich sein für Leute, die akut obdachlos sind und das harte Leben auf der Straße nur mit Alkohol meinen ertragen zu können. Jeder, der neu zu BISS kommt, unterschreibt mit den Verkäuferregeln einen Verhaltenskodex mit Punkt 2 auf der Liste: „Der Verkäufer darf nicht unter Einfluss von Rauschmitteln verkaufen. Der Genuss von Alkohol und Drogen während der Verkaufszeit ist untersagt.“ Und für viele Hilfebedürftige haben sich, nüchtern betrachtet, über den BISS-Verkauf Chancen auf eine Festanstellung und eine Wohnung eröffnet. Da braucht es dann unter Umständen gar kein Bier – auch nicht nach vier.

Herzlichst

Karin Lohr, Geschäftsführerin