Kein Geld für Fitnesscenter oder Sportverein? Sportangebote, die nichts kosten, gibt es in der ganzen Stadt. Egal, ob Sie an Wänden klettern, gemeinsam tanzen oder Fußball spielen wollen, ob Sie jung oder alt sind, viel oder wenig Zeit haben – die Angebotspalette ist so groß, dass bestimmt auch für Sie etwas dabei ist.

Von BENJAMIN EMONTS
Fotos HANNES ROHRER
Es ist Sommer, ein Sportpark in den Münchner Isarauen. Ewgenij tänzelt von einem Bein auf das andere, mit seinem Oberkörper weicht er zurück und schnellt immer wieder nach vorn. Aus dieser Haltung heraus krachen im Sekundentakt seine Fäuste auf einen Boxsack. Links, rechts. Links, rechts. Dreierkombinationen. Aufwärtshaken. Eine gerade Linke. Ewgenij, 43, hat das Box-Abc offensichtlich drauf. Der gebürtige Russe, einst oberbayerischer Boxmeister, gehört seit Jahren zum Inventar im Bewegungspark unweit der Brudermühlbrücke. „Ich bin so etwas wie der Hausmeister“, sagt er und lacht. Als während der Corona-Pandemie die Sportvereine zeitweise schließen mussten, hat Ewgenij die Boxsäcke eigenhändig hierhergeschleppt und mit einigen Gleichgesinnten montiert. Seitdem sind sie so eine Art Attraktion. An Tagen mit solidem Wetter boxen Dutzende Menschen in dem Park, Frauen und Männer, Kinder und Jugendliche, Anfänger und Könner. Sie feilen gemeinsam an ihrer Beinarbeit, an ihrer Technik und an der richtigen Schlagdistanz. „Das ist wahrscheinlich der einzige öffentliche Platz mit Boxsäcken in ganz Europa. Das gibt es sonst nur in Kuba. Und da ist Boxen Volkssport“, sagt Ewgenij und grinst. Die meisten Sportarten, zumal mit Geräten, kosten Geld. In den Vereinen sind monatliche Mitgliedsbeiträge fällig, im Fitnessstudio hohe Gebühren, Kletterhallen und Schwimmbäder kosten Eintritt, Tennisplätze muss man mieten. Und doch zeigen Orte wie der in den Isarauen, dass es auch anders gehen kann. Zahlreiche attraktive Sportangebote in der Stadt sind immer noch kostenlos zu bekommen, weil es Initiativen und Menschen gibt, die sich dafür engagieren. Man muss die Orte nur finden.
Die frisch gemähte Grünanlage an der Brudermühlbrücke ist einer von Dutzenden Trimm-dich-Pfaden und Fitnessparks, die die Stadt München kostenlos bereitstellt. Man findet sie zum Beispiel auch im Olympiapark, im Perlacher Forst oder im Hirschgarten. Das Angebot geht weit über Boxsäcke hinaus. Der Park in den Isarauen bietet eine Vielzahl an Geräten: für Sit-ups, Liegestütze, Klimmzüge, sogar eine Hängebrücke zum Balancieren. Ein älterer Herr, 67, macht gerade seine täglichen Übungen, um den geplagten Rücken bei Kräften zu halten. „Daheim mache ich die Übungen eh nicht. Deswegen gehe ich hier in die Natur.“ Im Prinzip ist der Park hier nichts anderes als ein Fitnessstudio im Freien – nur ohne Mief und ohne Gebühren. Die Stadt München gilt deutschlandweit als Vorreiterin, was kostenlose Sportangebote betrifft. Neben Trimm-dich-Pfaden bietet sie auf öffentlichen Flächen Hunderte Tischtennisplatten, Basketballplätze, Skateparks und sogar kostenfreie Fitnessprogramme unter professioneller Anleitung. Diese Angebote lässt sich die Stadt jedes Jahr einiges kosten, zumal sie selbst davon profitiert. Haben die Menschen ausreichend Bewegung und soziale Interaktion, stauen sich weniger Aggressionen bei ihnen an und sie begehen weniger Straftaten. Sie bleiben mental und körperlich fit und belasten nicht das Gesundheitssystem. Ein Effekt, von dem letztlich die Volkswirtschaft und die gesamte Gesellschaft profitieren. In diesem Wissen hat sich die Stadt München schon vor Jahren vorgenommen, ein „niederschwelliges“ Sportangebot für eine möglichst breite Masse bereitzustellen. Eine Vielzahl an Angeboten soll für alle Stadtbewohner frei zugänglich sein, sprich kostenlos und ohne Anmeldung. Speziell sozial benachteiligte Personen wolle man in Zeiten hoher Inflation durch die Angebote unterstützen, heißt es aus dem Referat für Bildung und Sport. „Wir wollen die Menschen vor Ort abholen und auch all jene ansprechen und motivieren, die bisher keinen Zugang zum Sportangebot hatten oder denen die finanziellen Mittel dafür fehlen.“ Der Slogan auf den Flyern der Stadt lautet
entsprechend: „Runter vom Sofa. Muckis für alle.“ Montagabend im Westpark, kurz vor 18 Uhr. Hier bekommt man eine Vorstellung, wie das praktisch aussehen soll. Der Westpark – genauer gesagt, die „Gymnastikwiese“ im westlichen Teil – ist seit nunmehr 27 Jahren das Zentrum der städtischen Initiative namens „Fit im Park“. Die ersten öffentlichen Trainings fanden hier bereits Ende der Neunzigerjahre vor wenigen verwegenen Teilnehmenden statt.

Christine Förstl, 66, ist Trainerin seit der ersten Stunde. Sie baut wie jeden Montag eine große Musikbox auf und setzt sich ein Mikrofon auf. Das Wetter, verspricht sie, bleibe an diesem Abend stabil, „die Gewitterfront zieht vorbei“, sagt Förstl ins Mikro und alle klatschen. Statt dunkler Wolken kommen dann tatsächlich aus allen Richtungen Fahrradfahrer und Fußgängerinnen zu ihrem „Fitness Classic“-Training herbei, mehr als 150 Menschen sind es am Ende, ausgestattet mit Isomatten und Trinkflaschen. Junge Frauen, Männer Mitte 50, Rentnerinnen. Ein riesiger Pulk motivierter, sportbegeisterter Menschen. Aus der Box setzt eine treibende, elektronische Musik ein. Auf einem kleinen Podest turnt Christine Förstl die Übungen lautstark vor. „Wir nehmen die Beine hoch, die Arme gehen mit“, ruft sie wieder ins Mikro. „Ja, das ist Gänsehaut.“ Der Pulk hebt die Arme und greift Richtung Himmel. Nach und nach werden tänzerisch sämtliche Muskelgruppen animiert, Schultern, Oberarme, Rücken, Schenkel. Fast allen sitzt bei den Übungen ein Lächeln im Gesicht, selbst manche Spaziergänger wippen mit. „Da entsteht eine Dynamik, da kommt was rüber von den Leuten. Ich sehe das und habe einfach Spaß“, sagt Trainerin Förstl.
„Fit im Park“ ist im Laufe der Jahre zu einer Münchner Massenbewegung in den Sommermonaten geworden. Zwischen Mai und September zählt die Initiative nach Angaben der Stadt rund 50.000 Teilnahmen. Das Programm reicht von klassischem Fitnesstraining über Pilates und Yoga bis hin zu Zumba und asiatischen Kampfkünsten wie Qigong, das für Frühaufsteher mittwochs auch auf dem Marienplatz angeboten wird. Die Trainings finden, sofern es nicht regnet, an insgesamt 14 Standorten im Stadtgebiet statt, am Lerchenauer See, im Rosengarten am Schyrenbad, im Luitpoldpark. An sieben Tagen die Woche. Das Programm steht im Internet und in Broschüren der Stadt München.
Die Leitung der Kurse übernehmen ehrenamtliche ausgebildete Trainerinnen wie Christine Förstl. Sie erhalten dafür eine Aufwandsentschädigung. Doch um Geld geht es nicht. Für viele Teilnehmende, erzählt Förstl, sei das Training deutlich mehr als nur reiner Sport. Zum Beispiel für die 87-jährige Renate Thoma und ihre Sportfreundinnen, die eine Münchner Zeitung mal als „Golden Girls“ bezeichnet hat. Thoma trifft hier schon seit Jahrzehnten auf Bekannte und pflegt Kontakte. Dreimal die Woche, erzählt sie, nimmt sie an Trainings im Westpark teil. „Ich kann noch alles machen, sogar Liegestütze. Man muss sein Leben so gestalten, dass man selbstständig bleibt.“ Gerade für ältere Menschen zählt hier auch das Gruppengefühl.

Eine andere, private Initiative kann man rund vier Kilometer weiter im Stadtteil Giesing bestaunen, unter der Brücke direkt am Candidplatz. Hier hat inzwischen der „Dicke Hans“ seinen neuen Platz, eine kunstvoll gestaltete Boulderwand, die während der Pandemie auf der Theresienwiese stand. Bouldern ist seit vielen Jahren ein Volkssport. Man versteht darunter das Klettern an meist künstlichen Wänden, die gerade so hoch sind, dass man ohne großes Verletzungsrisiko abspringen kann. Es geht um wenige konzentrierte Kletterzüge, der Fokus liegt auf der Technik. Den „Dicken Hans“ hat das sogenannte Kraxlkollektiv eigenständig designt und errichtet. Der Münchner Maximilian Gemsjäger hat die Initiative 2020 gegründet. Der 29-Jährige ist als Jugendlicher durch seinen Vater zum Klettern gekommen, er bouldert seit bald 15 Jahren. Als er seinen Bruder in Melbourne besuchte, entdeckte er dort eine Kletterwand unter einer Highway-Brücke, idyllisch an einem Flussufer gelegen. Er war begeistert und brachte die Idee mit nach München. Der Eintritt für Kletterhallen war ihm als Student ohnehin auf Dauer zu teuer geworden.
Heute hat seine Initiative rund 25 aktive Mitglieder. Geschaffen haben sie bereits zwei kostenlose Boulderwände in München, den „Lolliblock“ in der Helfenrieder Straße in Obersendling und eben den „Dicken Hans“. Die Wand zählt rund 280 Griffe und kann von allen Seiten beklettert werden, der Boden ist mit weichen Hackschnitzeln ausstaffiert, damit sich niemand verletzt. Die Routen haben unterschiedliche Schwierigkeitsgrade, es ist für alle etwas dabei. Auch hier geht es ziemlich niederschwellig zu, würde das Münchner Sportamt wohl sagen. Die Leute können ohne Anmeldung rund um die Uhr kostenlos klettern, unter der Brücke sind sie vor Wind und Wetter bestens geschützt.
Das Publikum, betont Gemsjäger, sei komplett gemischt. „Wir haben Arbeitende, die hier in der Mittagspause kurz bouldern, Leute, die extra anreisen, und sogar Kindergeburtstage.“ Für ihn sind die Boulderwände ohnehin so etwas wie „Mehrgenerationen-Spielplätze“. „Da kommen auch Großväter mit ihren Enkelinnen und alle kommen auf ihre Kosten.“ Über das Bouldern heißt es schließlich, es stähle die Muskeln und stärke das Selbstvertrauen. Und das kann wirklich jeder gebrauchen. Und mit dem „Dicken Hans“ soll noch lange nicht Schluss sein. In diesen Tagen startet das Kraxlkollektiv, das zur Sektion Oberland des Deutschen Alpenvereins gehört, im Stadtteil Ramersdorf ein bundesweit einzigartiges Projekt: die „Riesige Rosi“. In einer Unterführung der Rosenheimer Straße soll die größte zusammenhängende Boulderwand Deutschlands entstehen, 70 Meter lang, mit einer Kletterfläche von 700 Quadratmetern. Der Boden wird dafür extra mit Fallschutzmatten ausgestattet, eine Seitenwand bekommt eine Neigung, die Decke eine neue Beleuchtung. Insgesamt 300.000 Euro wird das Projekt kosten. Es beteiligen sich die Stadt und mehrere Stiftungen, einige Firmen spenden Material. Die 10.000 Euro, die noch fehlten, hat das Kraxlkollektiv über Crowdfunding eingetrieben. Geht alles glatt, dürfte die „Riesige Rosi“ bald zu einem Hotspot für Hunderte begeisterte Kletterer aus dem Großraum München werden. Die Stadt wäre damit um ein spektakuläres Angebot reicher.
FIT IM PA RK
Es ist das öffentliche Sportangebot der Stadt München
schlechthin. Veranstaltungen von Fitness bis Zumba
finden die gesamte Woche
an 14 Standorten kostenfrei
und ohne Anmeldung
statt. Das Programm findet
man im Internet unter
www.sport-muenchen.de
oder als Broschüre. Das
„Servicetelefon Sport in
München“ hat die Nummer
089 23396777.
TANZEN IM PA RK
Jeden Freitag findet auf der
„Gymnastikwiese“ im Westpark „Tanzen im Park“ statt.
Die Veranstaltung ist kostenlos
und beginnt um 19.15 Uhr. Man
muss sich nicht anmelden und
braucht keinen Tanzpartner.
Auf dem Programm stehen
internationale und bayerische
Tänze. Weitere Infos unter
www.tanzenimpark.de
bzw. Fragen per Mail an
hallo@tanzenimpark.de.
BOULDERN
Das Kraxlkollektiv stellt
aktuell zwei Boulderwände in
München kostenlos zur Verfügung, unter der Candidbrücke
in Untergiesing und am Kulturzentrum Sugar Mountain
in Obersendling (U3 Machtlfinger Straße). Man kann dort
ohne Anmeldung rund um die
Uhr klettern. Mehr Infos unter
www.kraxlkollektiv.de.