EIN TEXT AUS DER SCHREIBWERKSTATT
von Thabit Gorgies Dinha
Folgende Geschichte ist mir zugetragen worden: Bei einer Hochzeitsfeier hat einer der Gäste seinen ehemaligen Grundschullehrer getroffen und ihn gleich umarmt. Der Lehrer erwiderte, dass er ihn nicht kenne. Woraufhin ihm der Schüler erzählte: „Wie, Sie erkennen mich nicht? Ich war vor 35 Jahren ihr Schüler. Damals passierte eine für mich schmerzhafte Geschichte. Wissen Sie noch, wie einem Mitschüler eine Uhr gestohlen worden war? Sie haben dann gesagt, alle sollen zur Wand gehen und sich umdrehen, damit Sie unsere Taschen durchsuchen können. Ich zitterte und hatte Angst, denn ich hatte die Uhr gestohlen. Ich wusste, dass ich als Dieb vor allen Schülern und Lehrern bloßgestellt werden würde. Mein Ruf wäre für alle Zeit ruiniert. Nachdem Sie aber die Uhr bei mir gefunden haben, haben Sie nicht aufgehört, sondern auch die übrigen Schüler durchsucht. Erst dann haben Sie die Uhr dem Bestohlenen zurückgegeben. Nie haben Sie mit mir geschimpft. Ich habe keinerlei Tadel erfahren. Meine ganze Schulzeit habe ich hin und her überlegt, ob ich meine Tat Ihnen oder dem Direktor beichten soll. Ich hab es nicht getan, aber ich habe mir geschworen, nie wieder in meinem Leben etwas zu stehlen.“ Nun erinnerte sich der Lehrer und erklärte seinem Schüler: „Erinnerst du dich auch, dass ihr eure Augen schließen musstet? Nicht nur ihr konntet nichts sehen, auch ich habe meine Augen geschlossen, damit ich nicht weiß, wer der Dieb ist.“ Der Schüler bedankte sich dafür, dass der Lehrer ihn nicht bloßgestellt hatte. Der Lehrer klopfte seinem Schüler auf die Schulter. Was ich aus der Geschichte gelernt habe, ist, dass man nicht voreilig ein Geheimnis lüften sollte.