Bayerische Verschleierungstaktik

Seit dem 1. Januar 2006 können in fast allen Bundesländern Informationen abgerufen werden, die Einblick in Entscheidungen von Behörden geben. Nur Bayern und Niedersachsen wehren sich dagegen.

Von
BENJAMIN EMONTS

Jan Renner gehört zur Geschäftsführung von „Mehr Demokratie Bayern“.

Eine illustre Runde traf sich am 22. April 2008 zum Dinner in Angela Merkels Kanzleramt. Merkel hatte rund um den 60. Geburtstag des damaligen Deutsche-Bank-Chefs Josef Ackermann etwa 30 hochrangige Vertreter aus Wirtschaft und Kultur an die Tafel geladen, man servierte Spargel und Kalbsrücken. Der Vorgang jedoch stieß auf öffentliche Kritik – Merkel wurde Kumpanei mit der Wirtschaft vorgeworfen, ein Abendessen mit „Geschmäckle“. Das Kanzleramt sollte daraufhin die Gästeliste und andere Details des Abendessens herausgeben. Doch viele Informationen hielt die Behörde zurück. Drei Jahre später kam es zum Showdown am Berliner Verwaltungsgericht.

Thilo Bode, der Gründer der Verbraucherschutzorganisation Foodwatch, hatte gegen das Zurückhalten der Informationen geklagt. Er berief sich auf das sogenannte Informationsfreiheitsgesetz, kurz IFG, das die Große Koalition unter Merkels Führung bereits im Jahr 2006 verabschiedet hatte. An jenem Tag kam das neue Gesetz zum ersten Mal auf die große Bühne – zumindest mit einem Teilerfolg. Das Kanzleramt musste die Gästeliste des Abendessens und sogar die Einkaufsliste herausrücken, sie stehen seither für alle lesbar im Internet. Nur der Terminkalender von Angela Merkel blieb unter Verschluss. Das Informationsfreiheitsgesetz gilt bis heute. Alle Bürgerinnen und Bürger haben demnach einen „voraussetzungslosen Anspruch“, Einblicke in behördliche Akten, Dokumente, Unterlagen und Dateien zu bekommen. Anders als zuvor müssen sie dafür nicht persönlich betroffen sein, es genügen die reine Neugier und ein formloser Antrag in der jeweiligen Behörde, zum Beispiel per E-Mail oder über das bekannte Verbraucherportal „FragDenStaat“.


Diese gesetzlich garantierte Transparenz soll unter anderem gegen Steuerverschwendung, Korruption und Lobbyeinflüsse helfen. Ein Gesetz, das die Demokratie stärken und staatliches Handeln letztlich nachvollziehbarer machen soll. Allein über die Plattform „FragDenStaat“ sind seit ihrer Eröffnung im Jahr 2011 eine Viertelmillion Anfragen an Ämter, Behörden und Ministerien gestellt worden. Diese müssen nun etwa auch Entscheidungsprozesse, Gesetzesentwürfe, Hintergründe zu Auftragsvergaben und öffentlich erhobene Statistiken auf Nachfrage herausgeben. Ausnahmen gelten nur für Informationen, die etwa die innere Sicherheit, internationale Beziehungen, Geschäftsgeheimnisse oder Geheimdienste betreffen. Die meisten Anfragen kommen von einfachen Bürgerinnen und Bürgern, Journalisten, Rechtsanwälten oder Verbraucherschutzorganisationen. Sie betreffen zumeist Themenbereiche wie Verkehr, Umweltschutz, Bildung und Gesundheit.
Doch heißt das, dass die Behörden in Deutschland jetzt alle transparent arbeiten? Das keineswegs. Viele unterlaufen das Gesetz immer noch und verzögern oder blockieren die Herausgabe von Informationen. Die einzelnen Bundesländer können zudem frei entscheiden, ob sie das Gesetz einführen wollen. Bayern und Niedersachsen haben sich bislang dagegen entschieden. Bei Verbraucherschutzorganisationen stößt das auf harsche Kritik. Gerade im Freistaat bleiben viele brisante Informationen unter Verschluss. Zum Beispiel rund um die großen Masken-Deals in der Corona-Pandemie, durch die sich Landtagsmitglieder bereichert haben sollen. Das Staatsministerium hat sich dem Verein „Mehr Demokratie Bayern“ zufolge geweigert, Informationen über die Deals an Bürgerinnen und Bürger herauszugeben. Gleiches gilt demnach für das S-Bahn-Stammstrecken-Debakel und undurchsichtige Mietverträge der Staatsregierung. „Auf Landesebene steht es um die Informationsfreiheit in Bayern – gelinde gesagt – schlecht“, sagt Jan Renner. Er gehört zur Geschäftsführung bei „Mehr Demokratie Bayern“ und engagiert sich beim Bündnis Informationsfreiheit für Bayern. In einem Transparenz-Ranking, das der Verein zusammen mit der „Open Knowledge Foundation Deutschland“ erarbeitet hat, ist Bayern das alleinige Schlusslicht. Die größte Transparenz hat demnach Hamburg, die meisten Anträge werden in Schleswig-Holstein, Berlin, Hessen und Thüringen gestellt. Die behördliche Auskunftspflicht ist in Bremen am höchsten.
Auf Bundesebene gab es zuletzt Pläne, das Informationsfreiheitsgesetz zu einem „Transparenzgesetz“ weiterzuentwickeln. Damit wären Bundesbehörden verpflichtet, Informationen für die Öffentlichkeit proaktiv online zu stellen. So stand es auch im Koalitionsvertrag der Ampelkoalition. Durch ihr vorzeitiges Aus jedoch sind diese Pläne vorerst dahin – und mit einer künftigen, mutmaßlich von der CDU/CSU geführten Regierung wird das Gesetz zumindest „unwahrscheinlicher“, glaubt Renner. Auch in Bayern war zeitweise Hoffnung auf mehr Transparenz aufgekeimt. Im Koalitionsvertrag von CSU und Freien Wählern hieß es: „Bei der Transparenz von Verwaltungshandeln machen wir einen Schritt nach vorn. Über Digitalisierung schaffen wir Plattformen zum Austausch von Daten und Informationen zwischen den Verwaltungsebenen einerseits und Verwaltung und Bürgerinnen und Bürgern andererseits.“ Doch passiert sei bisher nichts, kritisiert Renner. Hauptverantwortlich ist für ihn die CSU. Sie argumentiere, dass Bayern bereits transparent und ein solches Gesetz zu bürokratisch sei, dass es datenschutzrechtliche Standards schwächen und damit eine Missbrauchsgefahr von öffentlichen Belangen provoziere. „Aber diese Befürchtungen sind aus unserer Sicht unbegründet“, sagt Renner. Die Verwaltungen würden von einer standardisierten Veröffentlichung amtlicher Dokumente vielmehr profitieren. „Aus anderen Bundesländern wissen wir: Diejenigen, die mit am häufigsten auf die Portale klicken, sind die Verwaltungsbeamten selbst.“ Renner glaubt, dass die CSU in Wahrheit gar nicht will, dass sich die Bürger besser informieren können, etwa in Vorbereitung auf Volksbegehren. „Mir scheint es, als wollte man ein bisschen den Riegel vor die Bürgerbeteiligung schieben.“
Unterhalb der Landesebene haben sich mehr als 80 Kommunen in Bayern daher eigens eine Informationsfreiheitssatzung gegeben, um den Bürgern mehr Transparenz zu bieten. Dazu zählen nahezu alle großen Städte, darunter München, Nürnberg, Regensburg, Augsburg und Passau. Im Münchner Raum gehören auch Kommunen wie Starnberg, Freising, Dachau, Fürstenfeldbruck und Ebersberg dazu. Hier können Bürger formlose Anträge einreichen. Doch reibungslos funktioniert es auch dort nicht. Bürgerinnen und Bürger müssen oft erst ein berechtigtes Interesse nachweisen, um an Informationen zu kommen, eine erste große Hürde. Dazu verlangen die Behörden für die Bearbeitung oft hohe Gebühren, was potenzielle Antragsteller abschreckt. Für wenige DIN-A4-Seiten werden teilweise kleine vierstellige Summen verlangt. Außerdem spielen viele Behörden auf Zeit und reizen die Fristen zur Herausgabe der Informationen bis zum letzten Moment aus. „Das alles wirkt einschüchternd und schafft nicht unbedingt Vertrauen“, sagt Renner. Dazu lässt sich der Trend beobachten, dass in Behörden immer weniger schriftlich dokumentiert wird und stattdessen auf elektronische Kommunikation wie Chatprogramme ausgewichen wird, die dann gelöscht wird. So manche brisanten Informationen verschwinden, bevor sie ans Tageslicht kommen können.
Aktivisten wie Renner fordern daher, dass die Veröffentlichung von Beschlüssen, Gutachten und öffentlichen Verträgen verpflichtend für Behörden wird. Als Paradebeispiel dient ihnen Hamburg. Dort gibt es seit mehr als zehn Jahren eine digitale stadteigene Plattform, über die man sämtliche Dokumente der Verwaltung einsehen kann. Erste Studien haben gezeigt, dass sich dieses Modell nicht nur für die Bürger, sondern auch für die Verwaltung auszahlt. „Wenn zentrale Informationen online einsehbar sind, sind sie auch für die Mitarbeitenden einfacher zu finden. Ein Transparenzgesetz kann somit Treiber für die landesweite Digitalisierung der Verwaltungen in Bayern werden“, sagt Renner. Fraglich bleibt nur, ob die Politik das überhaupt will.