Ankommen, Teil 2

EIN TEXT AUS DER SCHREIBWERKSTATT

von Husnain Akbar

Während meiner ersten sechs Monate in Deutschland arbeitete ich nicht. Die meiste Zeit verbrachte ich in meinem Zimmer im Auffanglager. Das machte mir sehr zu schaffen. Jeden Monat erhielt ich 300 Euro, doch ich schämte mich, es anzunehmen, weil ich nichts dafür geleistet hatte. Ich wollte auf jeden Fall arbeiten, auch weil meine Eltern in Pakistan sehr alt waren und ich ihnen Geld schicken wollte. Eine ehrenamtliche Helferin sagte mir, dass ich schlechte Chancen auf dem Berufsmarkt hätte. Doch nur eine Woche später kehrte sie wieder zurück mit einer überraschend guten Nachricht: Sie hatte etwas für mich gefunden, und das war mein Job bei BISS! Die Frau begleitete mich zu meinem Verkaufsort, zeigte mir, wie man die S-Bahn benutzt, und sprach mit dem Supermarktleiter, damit ich vor dem Laden bleiben konnte. Den ersten Monat tat ich mich schwer, ich schämte mich und hielt die ganze Zeit den Kopf gesenkt. Meine Arbeit als Goldschmied in Libyen war schließlich ganz anders gewesen. Doch die Leute in Herrsching waren unheimlich nett und brachten mir viel Respekt entgegen. Mir fehlen die Worte, zu beschreiben, wie großartig die Menschen dort waren bzw. immer noch sind. Sie sind wie eine Familie. Wenn ich mal einen Tag nicht an meiner Verkaufsstelle bin, rufen sie gleich bei mir an, um zu fragen, ob alles in Ordnung mit mir ist. 2018 gab es dann große Veränderungen für mich. Erst 2016, also ein ganzes Jahr nach meinem Ankommen in Deutschland, bekam ich die Gelegenheit, mit den Beamten zu sprechen, damit mein Asylantrag bearbeitet werden konnte. Hierfür wurde ich acht Stunden lang interviewt. Man wollte wissen, woher ich komme und weshalb ich Libyen verlassen habe. Nach diesem Gespräch hat es noch zwei weitere Jahre gedauert, bis ich wusste, dass ich bleiben konnte. Die Zeit dazwischen war äußerst zermürbend. Immer wenn ich die Post holen ging, blieb mir das Herz stehen. Jedes Mal dachte ich, ich müsste sterben. Mein Zimmernachbar hatte schließlich fünf Jahre in Deutschland gelebt, hatte Deutsch gelernt, eine dreijährige Ausbildung abgeschlossen und wurde letztendlich doch abgeschoben. Ich hatte wesentlich mehr Glück und 2018 war es dann so weit: Ich erhielt den offiziellen Bescheid, dass ich dauerhaft in Deutschland leben darf. Außerdem wurde mein Auffanglager geschlossen und ich zog um in ein Heim nach München. 2018 heiratete ich auch meine Verlobte in Libyen, was ich mich bis dahin aufgrund meiner unsicheren Lebenssituation nicht getraut hatte. Im Februar 2022 gelang es mir mithilfe von BISS, auch eine bezahlbare Wohnung zu finden. Nun hoffe ich, dass ich in nächster Zeit meine Frau zu mir holen und endlich ein ganz normales Leben führen kann.