EIN TEXT AUS DER SCHREIBWERKSTATT
von Dirk Schuchardt
Als ich meinen jüngeren Bruder besuchte, erzählte dieser mir, dass er so etwas wie Ahnenforschung über unsere Vorfahren betrieben habe. Er hat dabei einige interessante Dinge herausgefunden. Der Name Schuchardt ist zurückzuführen bis ins 12. Jahrhundert. Unser Stammbaum kann bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgt werden. Aus dieser Zeit datiert auch unser Familienwappen: In ihm befindet sich ein aufrecht stehender Löwe in Seitenansicht, links von seinem Kopf ist ein Ritterschild mit einem aufgezeichneten Steuerrad, an der Hüfte des Löwen ein Schwert und ein Ritterhelm. Der Löwe selbst steht hinter einem Schild, auf dem sich ein Schuh mit zwei Brezn darüber befindet. Das ganze Wappen ist schräg mit roten und weißen Streifen schraffiert. Man hat herausgefunden, dass unsere Vorfahren Handwerker waren, Schuhmacher und Bäcker. Einer von ihnen, unser direkter Urahn, tat sich durch besondere Tapferkeit während einer Gefahrensituation in einer Stadt in Ostpreußen hervor, worauf er zum Ritter geschlagen wurde und auch in den Rat der Stadt berufen wurde. Auf ihn geht das Wappen zurück. Mein Bruder ist noch dabei, genauere Details über die Heldentat unseres Vorfahren herauszufinden. Ein Zweig unseres Stammbaums hat auch den Zusatz „von“, also muss unser Vorfahr auch geadelt worden sein. Im Zweig meiner direkten Familie ist das verloren gegangen. Aber leider gibt es auch nicht so tolle Helden als Vorfahren: Mein Urgroßvater war einer der Bürger aus Celle gewesen, die am „Massaker von Celle“ teilgenommen haben. Diese Tat ist ebenfalls geschichtlich belegt. Im April 1945 wurde der große Verladebahnhof in Celle von alliierten Bombern angegriffen. Auf diesem Bahnhof machte ein Transport mit Juden halt, die in die Konzentrationslager gebracht werden sollten. Alle Deutschen, also alle Bewohner von Celle sowie die Waffen-SS, brachten sich während des Angriffs in die Bunker und Schutzkeller in Sicherheit und überließen die Juden draußen sich selbst. Nach Beendigung des Angriffs wurden die Bürger durch die SS bewaffnet und mussten Jagd auf die Juden machen, die überall versprengt in der Gegend versucht hatten, sich zu retten. Die Bevölkerung musste sie suchen und an Ort und Stelle erschießen. In den Akten haben wir gelesen, dass die SS befohlen hatte: „Entweder ihr erschießt die Juden oder wir erschießen euch!“ Mein Urgroßvater hat dafür seine Strafe vor einem britischen Gericht nach dem Krieg erhalten. Da er zu dem Zeitpunkt noch ein Jugendlicher war, erhielt er eine Gefängnisstrafe von drei Jahren. Ein Jahr für jeden Menschen, den er bei dem Massaker erschossen hat. Ganz schön viel Input für mich, den ich erst mal nach und nach verarbeiten muss. Aber mein Familienwappen gefällt mir. Ich werde es mir von einem Kunstschreiner nachbauen lassen. Ich kenne da jemanden, der das bestimmt macht. Darauf freue ich mich.