BISS-Ausgabe April 2025 | Unterstützung

Cover des BISS-Magazins April 2025

Inhalt | Mit Unterstützung | Hilfe bekommen, wenn es nötig ist. Angebote gibt es viele. | 6 Trotz Handicap: Der „Bus & Bahn Begleitservice“ macht mobil | 12 Dazugehören: Ein Münchner Gambier | 16 AktivSenioren: Beratung bei der Unternehmensgründung | 22 Ein offenes Ohr: Der „Zuhörraum“ in München | 5 Wie ich wohne | 26 BISS-Verkäufer*innen erzählen, was sie bewegt | Rubriken | 3 Editorial | 28 Patenuhren | 29 Freunde und Gönner | 30 Mein Projekt, Impressum | 31 Adressen

Wie ich wohne

Wer wohnt wie? In der Kolumne geben Menschen aus dem BISS-Netzwerk Einblicke in ihren Wohnalltag. Sie erzählen, wie sie früher gelebt haben, wie sie momentan wohnen und was sie sich für die Zukunft erhoffen.

Protokoll ANNELIESE WELTHER

Foto Martin Fengel

„Der osmanische Grieche“

Unsere 3-Zimmer-Wohnung ist gut gefüllt mit Möbeln, Kleidern und Dingen des täglichen Bedarfs. Das meiste gehört allerdings weder mir noch meiner Frau, sondern unserer Tochter. Mit ihren drei Kindern ist sie zu ihrem Lebenspartner gezogen, ihre Sachen muss sie noch mitnehmen. Dann werden meine Frau und ich uns neue Möbel besorgen, jene aus unserer vorhergehenden Wohnung sind leider nicht mehr zu gebrauchen. Dort war es schrecklich: Das Gebäude war runtergekommen, es gab Ungeziefer, drogenabhängige Nachbarn und viel Unruhe. Jetzt dagegen wohnen wir in einer friedlichen Gegend, in einem modernen Mehrfamilienhaus in Berg am Laim. Wir zahlen 950 Euro Miete zuzüglich der Stromkosten. Mit den Nachbarn haben wir engen Kontakt und besuchen uns gegenseitig. Einmal hat sogar eine Nachbarin auf meine Frau aufgepasst, die seit einem Jahr ein Pflegefall ist. Ich komme aus Komotini, einer Stadt im Norden Griechenlands, in der viele Menschen leben, die so wie meine Familie türkischstämmig sind. Wir sind ein Überbleibsel des osmanischen Reiches. Alle dort verstehen sowohl Griechisch als auch Türkisch. Mit den Eltern und meinen vier Geschwistern wuchs ich in einer 3-Zimmer-Wohnung auf, teilte mir ein Zimmer mit meiner kleineren Schwester. Eine glückliche Zeit war das. Als ich später geheiratet habe, bin ich mit meiner Frau in eine eigene Wohnung gezogen. Wir hatten vier Kinder, aber leider ging die Ehe zu Bruch und ich ging zurück zu meinen Eltern, heiratete erneut, meine jetzige Frau. Eine abgeschlossene Berufsausbildung habe ich nicht, mein Geld verdiente ich damals als Erntehelfer. Aber viel Arbeit gab es in meinem Heimatort nicht, deshalb folgte ich 1992 meiner Schwester, die nach München gezogen war. Hier wohnten meine Frau und ich zunächst in der Tumblinger Straße, doch wir wechselten oft die Wohnung, mal war in der einen Schimmel, mal war die andere zu klein geworden, weil unsere beiden Kinder zur Welt gekommen waren. Damals war es leicht, in München eine Wohnung zu finden. Geld verdiente ich mit dem Reinigen von U- und S-Bahn-Stationen, 20 Jahre lang. Mittlerweile bin ich in Rente, aber die reicht vorn und hinten nicht, deshalb arbeite ich noch bei BISS. Von Montag bis Samstag stehe ich früh auf, trinke einen Kaffee und ziehe los zu meinen Verkaufsstellen in Baldham und Vaterstetten. Im Winter kann es dort windig und sehr kalt werden, dagegen hilft nur Kaffee, den ich mir in einer Thermosflasche von zu Hause mitnehme. Wenn ich abends zurückkehre, habe ich keine Zeit mehr für mein großes Hobby, das Kochen. Sonntags allerdings bereite ich gern griechische Spezialitäten zu. Meistens kommen auch meine Kinder mit ihren Familien vorbei. Gemeinsam schauen wir uns oft Fußballspiele an. Als Kind habe ich von einer Karriere als Fußballprofi geträumt. An Talent mangelte es mir nicht, aber weil meine Familie arm war, musste ich bereits mit zehn Jahren arbeiten. Hätte ich damals schon in Deutschland gelebt, aus mir wäre bestimmt ein erfolgreicher Fußballer geworden.

Mit Begleitung durch die Stadt

München ist nicht barrierefrei. Denn es gibt viele Hindernisse für Menschen mit Behinderung. Zum Beispiel Baustellen, hohe Bordsteine oder kaputte Rolltreppen und Aufzüge.

63 Prozent der Bus-Haltestellen im Stadtgebiet sind nicht barrierefrei. Das heißt zum Beispiel, dass der Höhenunterschied zwischen Straße und Bus-Einstieg zu groß ist. Und die alten Busse lassen sich nicht absenken. Für Menschen mit Behinderung heißt das: Sie können mit Bus und Bahn nicht alleine durch die Stadt fahren. Freunde oder Familie haben nicht immer Zeit, um zu helfen. Oder man möchte sie auch nicht jedes Mal fragen. Und Taxi-Fahrten sind teuer.

Aber es gibt seit 2015 eine tolle Unterstützung:

den kostenlosen Bus & Bahn Begleit-Service, kurz BBS.

3 Vollzeit-Arbeitende, 14 frühere Langzeit-Arbeitslose und 6 Ehrenamtliche arbeiten dort. Sie alle sind gut geschult und wissen, wie sie Menschen mit Behinderung unterstützen können.

Fred Habisch arbeitet beim BBS. Er hat in mehreren Schulungen gelernt, wie er zum Beispiel blinden Menschen den Weg zeigen kann. Er begleitet zum Beispiel Susanne Lipp, eine Frau mit einer Seh-Behinderung. Er hakt sie unter und sagt: „90 Grad rechts, dann einen großen Schritt.“ So kann sich Susanne Lipp gut orientieren und sichere Schritte machen.

Es sind blinde Menschen und Menschen mit einer Sehbehinderung, die den Begleit-Service nutzen. Aber die meisten sind Rollstuhlfahrende und auch viele Menschen mit Rollator.

Sie brauchen den Begleit-Service häufig für Arzt- und Behörden-Besuche, Arbeitswege und alltägliche Erledigungen. Die meisten von ihnen sind im Rentenalter und haben eine körperliche Behinderung. Manche haben auch seelische Probleme. Sie fühlen sich unsicher in Bus und Bahn und brauchen Hilfe.

Diana Echternacht nutzt den Begleit-Service fast 13-mal in der Woche. Sie hat Multiple Sklerose, eine Nerven-Erkrankung. Sie kann kaum noch gehen und sehen. Trotzdem geht sie reiten, macht Kraft-Training, besucht Freunde und fährt zur Therapie. Die Mitarbeitenden vom Begleit-Service fahren mit ihr Aufzug und helfen ihr in Bus und Bahn. Sie lenken sie sicher durch die Fußgänger und Autos hindurch. Diana Echternacht sagt: „Ich bin dafür wahnsinnig dankbar. Ohne diese Hilfe könnte ich keinen Sport machen und nichts.“

Der Arbeitskreis im Münchner Behinderten-Beirat hatte damals die Idee zu dem Begleit-Service. In Berlin gab es so etwas schon, und so starteten sie damit auch hier in München.

Das Referat für Arbeit und Wirtschaft setzt es mit dem Träger Katholischer Männerfürsorge-Verein um. Mit dabei sind auch das Jobcenter und die MVG, die Münchner Verkehrs-Gesellschaft.

Letztes Jahr wurden fast 7.000 Begleit-Fahrten gebucht. Es gibt mehr als 700 Stamm-Kund*innen. Aber mehr als 700-mal konnte der Begleit-Service eine Begleitung nicht machen und musste absagen.

Petra Helsper ist die Chefin vom Begleit-Service. Sie ist Sozialpädagogin und hat früher mit Sucht-Kranken gearbeitet. Sie sagt: „Wir würden gern deutlich mehr machen.“

Aber es fehlen Mitarbeitende. Momentan gibt es noch 3 freie Arbeits-Stellen.

Man kann beim Begleit-Service arbeiten, wenn man mindestens 6 Jahre lang Arbeitslosen-Geld II bekommen hat. Und man sollte körperlich etwas fit sein und mit Menschen gut umgehen können. Es ist auch gut, wenn man sich etwas mit Computer und Internet auskennt. Petra Helsper sagt:

„Unsere Mitarbeitenden haben auf dem Arbeitsmarkt viele schlechte Erfahrungen gemacht. Aber hier können sie wachsen. Sie fühlen sich gebraucht und werden wieder selbstbewusst.“

Und die Menschen mit Behinderung können überall hinkommen. Es ist ein Gewinn für beide Seiten.

Das Münchner Sozial-Referat hatte für dieses Jahr Geld versprochen: für 2 neue Vollzeit-Arbeitsplätze. Leider gab es dann doch kein Geld, weil die Verwaltung in München dieses Jahr mehr als 180 Millionen Euro einsparen muss. Der Arbeitskreis vom Behinderten-Beirat findet das falsch. Brigitte Neumann-Latour vom Behinderten-Beirat sagt: „So kann man auch eine gute Sache kaputt machen. Denn wenn der Begleit-Service einer Person 2-mal hintereinander absagt, dann wird sich die Person wahrscheinlich nicht noch einmal melden.“ Dabei haben Menschen mit Behinderung das gleiche Recht, überall hinzukommen und mitmachen zu können. Wie Menschen ohne Behinderung. Das steht in der UN-Behindertenrechts-Konvention, die Deutschland im Jahr 2009 unterschrieben hat. Brigitte Neumann-Latour sagt: „Wenn ich eine Körper-Behinderung habe und mir kein Taxi leisten kann: Dann bin ich abgeschnitten vom Leben.“ Deshalb fordert sie die Stadt München auf, so etwas wie den Begleit-Service stärker zu unterstützen. Sie sagt:

„Es heißt immer, dass die Menschen mit Behinderung der Stadt am Herzen liegen. Aber dann muss sich die Stadt auch politisch für die Menschen einsetzen.“

Alle Infos zum Bus & Bahn Begleit-Service: https://kmfv.de/was-wir-tun/angebote/bus-und-bahn-begleitservice/

Original-Text von Benjamin Emonts

Zusammenfassung der wichtigsten Infos in Einfacher Sprache von Verena Reinhard, www.einfachverstehen.de

Fotos von Benjamin Schmidt

Tierische Gedanken

EIN TEXT AUS DER SCHREIBWERKSTATT

von Dirk Schuchardt

Heute möchte ich mal darüber schreiben, wie ich auf die Idee gekommen bin, Geschichten aus der Sicht meines Hundes zu erzählen. Wer selbst einen Hund oder eine Katze hat, wird wissen, was ich meine, wenn ich sage, dass die Tiere quasi alles verstehen. Wenn man sich intensiv mit seinem Vierbeiner beschäftigt, merkt man, dass das Tier auf seine Art versucht, mit seinen Menschen zu kommunizieren. Sei es beim Füttern – wenn die Zeit dafür schon überfällig ist – oder dass der Hund mal Gassi gehen muss, unsere Lieblinge versuchen uns dieses mit eindeutigen Gesten mitzuteilen. Andersrum genauso: Wenn wir immer dieselben „Schlagworte“ benutzen, können unsere Vierbeiner sich diese merken und der jeweiligen Bestimmung zuordnen. Als Beispiel: Wenn ich zu meinem Hund sage, „Alvaro, Gassi gehen“, weiß dieser genau Bescheid und läuft voller Erwartung zur Wohnungstür. Oder bei „Alfi Leckerchen“ geht dieser zu seinem eigens dafür vorgesehenen Napf. Wenn wir Menschen zu Abend essen und er bettelnd zwischen meinen Füßen sitzt und von mir ein „Alfi nein“ als Kommando kommt, trollt er sich laut seufzend in sein Körbchen, so als wollte er sagen: „Schade, dann halt nicht.“ Genauso teilt er uns mit, wenn er spielen will. Er kommt dann mit einem Ball oder einem seiner Stofftiere in der Schnauze zu mir oder den Kindern, legt das jeweilige Spielzeug vor unsere Füße und bellt denjenigen, mit dem er spielen will, erwartungsvoll an. Sollte keiner Zeit oder Lust haben, spielt er halt mit sich und seinem Spielzeug selbst, indem er dieses mit seiner Schnauze in die Luft wirbelt und versucht es wieder aufzufangen. Genauso hat es uns fasziniert, wie Alvaro uns bei unseren alltäglichen Tätigkeiten, den Hausarbeiten, der Freizeitgestaltung und so weiter, meist aufmerksam beobachtet. So manches Mal kam bei mir die Frage auf, was dieser Hund jetzt wohl denkt. Irgendwann kam ich dann auf diese Idee, Geschichten, die auch wirklich passiert sind, aus seiner Sicht zu schreiben.

Mit Begleitung in den Arbeitsmarkt

BISS-Geschäftsführerin Karin Lohr, Foto: Volker Derlath

Eine der besten Entscheidungen meines Lebens war es, nach dem Abitur eine Ausbildung als Hotelkauffrau zu machen. Nun kam ich aus einer Münchner Gärtnersfamilie und stammte nicht von Hoteliers ab. Meinen Berufswunsch habe ich in der dicken, grün eingebundenen Broschüre „Beruf aktuell“ des Arbeitsamts gefunden. Ich habe es damals gut getroffen, denn mein Ausbildungsbetrieb war ein anspruchsvolles Münchner 5-Sterne-Hotel mit Glamour und einem furchtlosen Betriebsrat. Ich arbeitete gern in meinem Beruf und verdiente mir damit während meines späteren Studiums meinen Lebensunterhalt. Für andere jedoch verläuft der Berufseinstieg nicht so reibungslos. Die Zahl der Ausbildungsabbrüche steigt und ein fehlender Berufsabschluss zieht viele Nachteile nach sich. Einer davon sind erfahrungsgemäß Zeiten der Arbeitslosigkeit ohne festes Einkommen, das belastet die ganze Familie. Wenn noch eine Krankheit dazukommt, scheint der Weg zurück in eine gesicherte Existenz und autonome Lebensführung für immer abgeschnitten. Wie gut, dass München ein eigenes Arbeitsmarktprogramm hat, das Münchner Beschäftigungs- und Qualifizierungsprogramm (MBQ), das langzeitarbeitslosen Menschen die Chance bietet, sich wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Einer, der das gerade versucht, ist Fred, der auf unserem Cover den Rollstuhl von Diana schiebt (s. S. 6–11). Fred arbeitet beim „Bus & Bahn Begleitservice“ des Katholischen Männerfürsorgevereins, einem von rund 30 sozialen Betrieben in der Stadt. Diese Betriebe in ganz unterschiedlichen Branchen gibt es, weil die damals rot-grüne Stadtpolitik in den 1980er-Jahren entschied, etwas gegen Langzeitarbeitslosigkeit zu unternehmen. Das MBQ wird finanziell gefördert und am Beispiel des „Begleitservice“ kann man sehen, dass es ohne diese Förderung auch nicht geht. Die sozialen Betriebe setzen auf ein betriebliches Umfeld und ein gutes Miteinander bei der Arbeit. Sie brauchen Platz, die Mieten für die Räume sind hoch und die Fachkräfte, die beruflich ausbilden und sozial beraten, kosten natürlich auch. Die Politik hat längst erkannt, welchen Nutzen das Programm der Stadtgesellschaft bietet. Die Finanzmittel für das MBQ werden jedes Jahr im Stadtrat neu beschlossen. Wie alle Beschlüsse wird das Ergebnis im RatsInformationsSystem (RIS) veröffentlicht (da sieht man dann auch, wer beim letzten Mal dagegen gestimmt hat, AfD und FDP). Fred war früher Koch, wie einige unserer Verkäufer auch. Aus meiner Hotelzeit weiß ich, dass das ein schöner, aber sehr verschleißender Beruf ist, der oft nicht bis zur Rente ausgeübt werden kann. Darum braucht es die Chance, noch einmal neu anzufangen.

Herzlichst


Karin Lohr, Geschäftsführerin