Inhalt | Guter Start | Mit der Stiftung BISS können viele Familien in ein besseres Leben starten | 6 Cannabisgesetz: Wie steht es um die Sucht bei Jugendlichen? | 10 Budget für Arbeit: „Ich bin der Boss“ | 16 Beschwerdestelle: Pflege Rat und Unterstützung bei Problemen mit der Pflege | 18 Stiftung BISS: Wunderbare Fügungen | SCHREIBWERKSTATT | 5 Wie ich wohne | 24 BISS-Verkäufer und Verkäuferinnen erzählen, was sie bewegt | Rubriken | 3 Editorial | 26 Patenuhren | 28 Freunde und Gönner | 30 Impressum, Mein Projekt | 31 Adressen
Monat: Dezember 2024
Wie ich wohne
Wer wohnt wie? In der Kolumne geben Menschen aus dem BISS-Netzwerk Einblicke in ihren Wohnalltag. Sie erzählen, wie sie früher gelebt haben, wie sie momentan wohnen und was sie sich für die Zukunft erhoffen.
Protokoll ANNELIESE WELTHER
Foto MARTIN FENGEL
Der mit dem Bären zeltet
Zwei Affen hängen an der Wohnzimmerwand und auf dem Sofa liegen drei Tiger. Noch mehr Kuscheltiere tummeln sich in den Zimmern meiner beiden Töchter. Wir haben aber auch echte Tiere: Im Wohnzimmer steht ein großer Käfig mit zwei Wellensittichen und meine ältere Tochter hat eine Katze. Unsere Wohnung liegt in Pasing, ist 96 Quadratmeter groß und hat vier Zimmer. Neben dem Wohnzimmer und den beiden Kinderzimmern haben wir ein Schlafzimmer und ein Bad ohne Fenster, dafür aber mit einer Badewanne, einer Waschmaschine, einem Trockner und einem Schrank. Auch die Küche ist nicht klein. Hier steht alles, was wir brauchen. Da ich es liebe, zu essen, muss ich auch kochen können, finde ich. Von meiner Mutter habe ich einiges gelernt, aber ich schaue mir auch viel von anderen Leuten ab. Obwohl die Wohnung geräumig ist, will man nicht immer nur drinnen seine Zeit verbringen. Eigentlich würde sich der Balkon eignen, um mal kurz draußen zu sein: Er ist groß, ruhig, mit Blumenkästen am Geländer. Allerdings haben wir einen empfindlichen Nachbarn, der sich nicht nur daran stört, dass ich rauche, sondern auch an anderem, wie dem Duft unserer frisch gewaschenen Wäsche. Daher ist toll, dass wir es nur eine Viertelstunde raus in die Natur haben. Hier bin ich oft mit den Kindern. Den Rummel der Stadt mochte ich noch nie, schon als Zwölfjähriger zog ich mich zurück, um am See zu fischen. Zehn Jahre später lebte ich sogar mal einen ganzen Monat im Wald, ernährte mich von Pilzen, Beeren, Kaninchen und Rehen. Einmal kam ein Bär vorbei und zerstörte mein Zelt. Ich erschrak so sehr, dass ich sofort nach Hause floh, hielt es aber dort nicht lange aus und zog ohne Zelt wieder in den Wald. Das war mein Rückzugsort, denn zu Hause gab es ständig Ärger mit meinem Vater, der trank und gewalttätig war. Nachdem ich heiratete, zogen wir zur Familie meiner Frau in ein kleines Nest, umgeben von Wald. Idyllisch war es hier aber nicht, da meine Schwiegereltern sowie die meisten Leute Alkoholiker waren. Arbeit fand ich auch nicht, nur in Bukarest gab es welche, wo ich mir aber keine Wohnung leisten konnte. Meine Familie mochte ich in diesen Verhältnissen nicht allein lassen, daher verließen wir alle Rumänien. Nachdem wir in Deutschland angekommen waren, wohnten meine Frau und die Mädchen erst einmal in einer Pension. Ich lebte auf der Straße. Sieben Tage die Woche schuftete ich bei einer Leihfirma, machte alles Mögliche, mal schleppte ich Möbel, dann half ich auf dem Bau aus und am nächsten Tag spülte ich die Brotkästen einer Bäckerei. Trotz der vielen Arbeit sprang nicht viel Lohn dabei raus. Nach gut einem Jahr war ich so ausgelaugt, dass ich psychische Probleme bekam und bei der Leihfirma aufhörte. Zwei Monate lang sammelte ich Flaschen, bis ich von BISS hörte. Ich erhielt nicht nur Arbeit, sondern auch Hilfe bei der Wohnungssuche. Meine Verkaufsstellen sind nur ein paar Minuten von hier entfernt, so kann ich schnell bei meiner Familie sein. Meine Töchter wollen im Urlaub jetzt übrigens auch mal zelten.
Ich bin der Boss
Zusammenfassung in Einfacher Sprache
Viele Menschen mit Behinderung brauchen Assistenzkräfte, um selbstbestimmt zu leben.
Die Assistenzkräfte helfen in allen Bereichen des täglichen Lebens. Zum Beispiel bei der Körperpflege, im Haushalt, beim Kochen, in der Freizeit und im Urlaub, in der Schule oder am Arbeitsplatz. Viele Menschen mit Behinderung wissen nicht:
Mit dem Arbeitgeber-Modell können sie ihre Assistenzkräfte selbst auswählen und bezahlen.
Kristina Biburger setzt sich dafür ein, dass viele Menschen mit Behinderung das wissen und nutzen.
Auch Menschen mit Lernschwierigkeiten (Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung) können das Arbeitgeber-Modell nutzen.
Bisher nutzen das in München nur etwa 150 Menschen.
Kristina Biburger nutzt das Arbeitgeber-Modell seit dem Jahr 2001.
Sie hat 10 Assistenzkräfte eingestellt. Sie hat die Bewerbungsgespräche selbst geführt und sich ihre Angestellten ausgesucht.
Denn wichtig ist, dass man sich gut versteht und miteinander gut klarkommt.
Denn sie braucht ihre Assistenzkräfte in jeder Situation ihres Lebens, 24 Stunden am Tag. Auch in ihrer Freizeit, bei Kino-Besuchen, Familienfeiern, Konzerten oder im Urlaub.
Kristina Biburger zahlt die Gehälter, sie plant die Schichten und schreibt Zeugnisse.
Ihre Angestellten helfen ihr bei allen Tätigkeiten, die sie selbst nicht machen kann.
Das Geld bekommen die Menschen mit Behinderung zum Beispiel vom Staat oder von der Kranken- oder Pflege-Kasse. Sie können selbst darüber bestimmen, wie sie das Geld nutzen. Denn Menschen mit Behinderung wissen selbst am besten, was sie brauchen. Kristina Biburger kann dadurch selbstbestimmt in ihrer Wohnung leben. Sie kann selbstbestimmt reisen, wann sie es möchte. Und sie ist dabei nicht abhängig von einem Pflegedienst.
Aber es macht natürlich auch viel Arbeit, alles selbst zu planen. Sie macht all das, was eine Chefin machen muss. Es ist ein richtiger Job. Aber dafür bekommt sie kein Geld.
Deshalb setzt sie sich auch dafür ein, dass dieser Job als Beruf anerkannt wird.
Man muss einen Antrag bei der Kranken- oder Pflegekasse stellen, um das Arbeitgeber-Modell nutzen zu können. Nach ein bis zwei Jahren muss man dann wieder einen Antrag stellen.
Denn es könnte sich ja etwas im Leben geändert haben. Kristina Biburger sagt: „Das ist nervig und muss abgeschafft werden. Denn ich habe meine Behinderung von Geburt an. Was soll sich daran ändern? Ich stehe ja nicht wieder aus dem Rollstuhl auf.“
Man darf die Anstrengung nicht vermeiden
EIN TEXT AUS DER SCHREIBWERKSTATT
von Tibor Adamec
Wenn ich zur Arbeit aufbreche, habe ich einen Handkoffer. In den passen gut 30 BISS-Magazine und was ich so tagsüber brauche. Er wiegt ungefähr acht bis neun Kilogramm. Jetzt könnte ich mir ein Rollwägelchen besorgen, den Koffer draufschnallen und mir so den Weg zum Marienplatz bequemer machen. Das tue ich nicht, ich trage den Koffer. Als Sportler weiß ich, wie wichtig es ist, dass man den Körper belastet und die Muskeln trainiert. Die Muskulatur baut sonst schneller ab, als man sie durch Training wieder aufbauen kann. Ich bin als junger Mann im Winter beim Militär bei minus zehn Grad 3.000 Meter gelaufen, habe dann Lockerungsübungen gemacht, bin reingegangen, habe mich geduscht, bin zum Essen und dann zum Dienst. Als ich noch jünger war, bin ich immer in Solln gelaufen, ohne Hemd und Unterhemd bei Temperaturen bis minus 17 Grad. Einmal hat mich die Polizei angehalten, die haben geglaubt, ich wäre betrunken, dabei habe ich nie Alkohol angerührt. Wenn man bei so tiefen Temperaturen läuft, friert man nicht, nur wenn man stehen bleibt. Der Körper produziert beim Laufen genug Wärme. Ich bin jetzt 87 Jahre und war noch nie krankgeschrieben. Man muss der Krankheit davonlaufen, wenn du stehen bleibst, dann holt sie dich ein.
Den Felsblock bergauf schieben
Unsere BISS-Weihnachtsfeier mit den rund 100 Verkäuferinnen und Verkäufern am Ende des vergangenen Jahres war ein schönes Erlebnis. Die Stimmung der Gäste war bestens und die Geschenke haben große Freude gemacht. Bei einem Jahresrückblick wurde besonders an die verstorbenen Verkäufer erinnert, danach gab es viel Gesprächsstoff. Auch die für den 23. Februar anstehende Bundestagswahl war ein Thema. Zwar sind nicht alle unsere Verkäuferinnen und Verkäufer bei dieser Wahl wahlberechtigt, es gibt aber genügend Deutsche, die ermuntert werden sollen, ihr Wahlrecht auszuüben. Darunter BISS-Verkäufer Herr T., endlich eingebürgert und damit „neudeutsch“, für den es das erste Mal sein wird. Eine möglichst hohe Beteiligung an einer Wahl erreicht man nicht, indem man pauschal die Politik schlechtredet, sondern an das erinnert, was in Krisenzeiten in der Vergangenheit gut gelaufen ist. Wir haben uns bei dieser Gelegenheit an die Feier von vor zwei Jahren erinnert, bei der die damals Anwesenden sehr verunsichert waren, wie hart die Energiekrise sie wohl treffen würde. Vom Faktor 2,5 bei den Kosten für Strom und Gas wurde gesprochen und davon, dass im schlimmsten Fall die Versorgung ganz unterbrochen wäre. Diese Befürchtungen haben sich nicht bewahrheitet. Es gelang, mit vereinten Kräften die Krise zu meistern. Es gab damals staatliche Hilfen, wie die Energiepreispauschalen in Höhe von 300 Euro für Angestellte und Rentner, die Übernahme einer kompletten Abschlagszahlung sowie die Gas- und Strompreisbremsen mit gedeckelten Preisen. Darüber hinaus haben wir bei BISS Schulungen veranstaltet, wie man den Energieverbrauch reduzieren kann, und Hilfebedürftige an den Münchner Wärmefonds für Haushalte mit geringem Einkommen vermittelt. Der Aufwand hat sich gelohnt, es kamen bislang keine Verkäufer mit horrenden Nachzahlungen, die aus totaler Unkenntnis entstanden sind. In einem neuen Jahr fängt man wieder von vorne an, das gilt für alle. Im Prinzip geht das in Ordnung, auch Sisyphos hat den großen Felsblock immer wieder aufs Neue den Berg hinaufgeschoben. Wäre es eine Alternative, den Stein nicht zu schieben? Natürlich nicht, denn in unserem Fall schieben viele Menschen gemeinsam an, damit sozial benachteiligte Menschen ein besseres Leben haben. Für ehemals wohnungslose Menschen ist ein Leben in ihrer eigenen Wohnung möglich, dank der großartigen Arbeit der Stiftung BISS (siehe S. 18 bis 23). Wir hatten bei Redaktionsschluss für fast jeden unserer angestellten Verkäuferinnen und Verkäufer eine Patin oder einen Paten gefunden, das ist fantastisch! Im Namen aller BISSler danke ich Ihnen und allen Spendern, Gönnerinnen und Förderern für Ihre Großzügigkeit und wünsche allen ein gutes neues Jahr. Bitte bleiben Sie auch zukünftig an unserer Seite, wir bauen auf Sie!
Herzlichst
Karin Lohr, Geschäftsführerin