Wer wohnt wie? In der Kolumne geben Menschen aus dem BISS-Netzwerk Einblicke in ihren Wohnalltag. Sie erzählen, wie sie früher gelebt haben, wie sie momentan wohnen und was sie sich für die Zukunft erhoffen.
Der Weitgereiste
Protokoll FELICITAS WILKE
Foto MARTIN FENGEL

„Wenn man als fünfköpfige Familie mit Hund auf 83 Quadratmetern lebt, dann sieht es nie aufgeräumt aus. Allein schon, weil immer irgendwo mehrere Wäscheständer herumstehen. Wer Kinder hat, wäscht einfach ständig. Doch auch wenn es etwas chaotisch zugehen mag in unserer Dreizimmerwohnung in Planegg, dreckig ist es echt nicht. Wir wohnen hier seit mittlerweile zwölf Jahren. So lange habe ich vorher noch nirgendwo gelebt. Ich komme ursprünglich aus dem Ruhrgebiet und habe die ersten Jahre meines Lebens in einer großen Wohnung in Bergkamen verbracht, wo ich mit meinen Eltern zur Miete wohnte. Ich erinnere mich noch gut an den riesigen Garten. Nachdem sich meine Mutter und mein Vater getrennt hatten, zog ich mit meiner Mutter und meinem Stiefvater nach Hamm. Unsere erste Wohnung dort lag über einer Bäckerei. Was habe ich den Duft geliebt! Um Punkt sechs holte ich unsere Brötchen damals direkt aus der Backstube ab. Nach einiger Zeit ging es wieder in eine andere Wohnung. So viele Umzüge als Kind und Jugendlicher, das war nicht prickelnd – zumal mein Stiefvater und ich oft stritten, Handgreiflichkeiten inklusive. Als ich 19 war, packte ich meine Sachen und ging. Ich fing in Hamburg als Türsteher auf der Reeperbahn an. Mein Chef stellte mir ein Zimmer über der Disco, in dem ich wohnen konnte. Es war eine verrückte Zeit, in der ich Clubbesitzer, Zuhälter und Verbrecher kennenlernte – aber auch meine erste Ehefrau, natürlich in einer Disco! Als unser Sohn geboren wurde, machte ich mich mit Finanzdienstleistungen selbstständig und stieg schnell auf. Ich verdiente gut und war kurz davor, uns ein eigenes Haus zu kaufen. Doch dazu kam es nicht mehr: Meine Ehe scheiterte daran, dass ich teilweise bis drei Uhr nachts arbeitete und im Anzug ins Bett fiel. Danach verzockte ich mein ganzes Geld und landete im Obdachlosenheim. Während dieser Zeit begann ich, die „Hinz&Kunzt“ zu verkaufen, die Straßenzeitung in Hamburg. Nachdem auch meine zweite Ehe gescheitert war, erfüllte ich mir im Jahr 2005 einen Jugendtraum und fuhr drei Monate lang mit dem Fahrrad durch Europa. Ich fuhr bis Spanien und blieb einfach dort, wo es mir gefiel. Unterwegs übernachtete ich im Zelt. Die kleine vergoldete Uhr in Fahrradform, die heute in unserem Wohnzimmer steht, erinnert mich daran. Im Jahr 2006 landete ich, eher zufällig auf der Durchreise, bei der BISS in München. Mit Straßenzeitungen kannte ich mich ja schon aus. Ich lernte meine heutige Frau kennen und gründete mit ihr noch mal eine Familie: Unsere Söhne sind heute 14, 13 und neun Jahre alt. Viele Fotos an unserer Wand zeigen die Jungs. In unserer Wohnung teilen sie sich ein Zimmer, meine Frau schläft im Schlafzimmer und ich – weil ich so laut schnarche – im Wohnzimmer. Mein Traum wäre ein Haus mit Garten, erst recht, seit unser geliebter Hund Alvaro zur Familie gehört. Aber eine Wohnung mit drei Balkonen, wie wir sie haben, ist auch nicht übel! Im Sommer essen wir oft draußen oder hängen die Wäsche dort auf. Und das alles für 960 Euro ohne ständige Mieterhöhungen! Ich hoffe sehr, dass wir hier noch lange bleiben können.“