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BISS-Ausgabe Februar 2024 | Lebenswichtig

Cover des BISS-Magazins Januar 2024

Inhalt | Lebenswichtig | Für die einen ist es das Haustier, für andere, sich ausdrücken zu können oder die Familie nachzuholen | 6 Kostenfaktor Haustier: Wenn Menschen sich verschulden, weil ihr Tier medizinische Hilfe braucht | 12 Familiennachzug: Gespräch über ein ungewisses Wiedersehen | 16 Guns, Girls, Money, Cars … Junge Rapper in München | SCHREIBWERKSTATT | 5 Wie ich wohne | 22 BISS-Verkäufer*innen erzählen, was sie bewegt | Rubriken | 3 Editorial | 24 Patenuhren | 25 Freunde und Gönner | 30 Impressum, Mein Projekt | 31 Adressen

Wie ich wohne

Wer wohnt wie? In der Kolumne geben Menschen aus dem BISS-Netzwerk Einblicke in ihren Wohnalltag. Sie erzählen, wie sie früher gelebt haben, wie sie momentan wohnen und was sie sich für die Zukunft erhoffen.

Protokoll ANNELIESE WELTHER

Foto MARTIN FENGEL

Der über den Dächern der Stadt thront

Meistens liegen viele Stunden Arbeit hinter mir, wenn ich die dunkel verfärbten, ausgetretenen Holzstufen hinaufgehe, nicht selten beladen mit Einkäufen. Ich hatte mal Tuberkulose und auch eine Operation am Bein, da macht mir das schon zu schaffen. Aber es hat auch seine Vorteile, so weit oben zu wohnen: Keiner steigt an meiner Wohnung vorbei, um ein höheres Stockwerk zu erreichen, und stört mich durch seine lauten Schritte. Es ist ruhig hier über den Dächern der Stadt. Mit den Nachbarn verstehe ich mich gut, allerdings sehe ich sie selten. Abends möchte ich einfach nur nach Hause und habe keinen Sinn für lange Unterhaltungen. Zu meiner Wohnung gehören ein 24 m2 großes Zimmer, eine Küche, ein Bad und ein Flur, insgesamt sind es 46 m2 . Dafür zahle ich mittlerweile 1.200 Euro warm. Das halte ich für zu viel. Bis auf die hohe Miete und das Treppensteigen gefällt mir die Wohnung aber gut, und doch empfinde ich sie auch als Gefängnis. Das mag daran liegen, dass ich als Kind mit meiner Familie in Rumänien in einem Haus gelebt habe. Mein Vater war Parteimitglied und es ging uns materiell gut. Schade nur, dass meine Eltern sich scheiden ließen, als ich neun Jahr alt war. In meinem Elternhaus war ich es gewohnt, einfach raus in den Garten zu gehen. Hier in der Wohnung habe ich einige Blumentöpfe aufgestellt, die mir die Natur ein wenig ersetzen sollen. Nach der Wende verkaufte mein Vater das Haus und zog in ein Altenheim. Meinen Anteil aus dem Verkauf investierte ich in einen Stand, an dem ich Lebensmittel, Zigaretten und Drogerieartikel verkaufte. Dann, als sich das wegen der steigenden Preise nicht mehr rentierte, jobbte ich in einer Kabel- sowie in einer Schuhfabrik. Straßenkehrer war ich auch, aber ich verdiente immer so wenig, dass ich mich nicht über Wasser halten konnte. Also verließ ich Rumänien. Gleich am zweiten Tag nachdem ich in Deutschland angekommen war, habe ich mir ein Zelt gekauft. Es war geräumig, für sechs Personen ausgelegt. Aus Dämmmaterialien und einer Matratze habe ich mir ein Bett gebaut, ich hatte Töpfe, Teller und einen Gaskocher, auf dem ich kochte, bis ein ehemaliger Freund mich aus meinem Zelt vertrieb. Zum Glück wollte ich sowieso gerade in eine Pension ziehen. Dort wohnte ich neben dem Hausmeister, teilte Bad und Küche mit ihm. Wir verstanden uns gut, aber dann erhielt ich die Nachricht, dass die Pension in drei Monaten aufgelöst werden sollte. Einen Monat später zog ich hier ein. Fünf Jahre lang war ich arbeitslos, bevor ich bei BISS anfing. Die Urkunde, die ich erhalten habe, als ich schon mehr als fünf Jahre fester Verkäufer war, bewahre ich gerahmt über dem Sofa auf. Wenn ich jetzt nur noch eine Wohnung mit Aufzug fände oder zumindest eine im Erdgeschoss, wäre alles perfekt. Ganz wunderbar wäre es natürlich, wenn sie noch einen kleinen Garten hätte und wenn sie unmöbliert wäre, damit ich sie mir selbst einrichten könnte.

Guns, Girls, Money, Cars …

Rapmusik war wohl noch nie so populär wie heute. Das ist nicht unbedingt gut. Denn die aktuellen Rapstars“ reden fast nur über Gewalt, Drogen und dicke Autos. Dabei ist Rap viel mehr, besitzt eine soziale Sprengkraft – in New York genauso wie in Heidelberg oder München.

Foto: TOBY BINDER

Von SEBASTIAN SCHULKE

Dumpfe Beats wabern durch die Wände. Sie verlieren sich in den breiten Gängen, die sich durch das „Kunstlabor“ an der Dachauer Straße ziehen. Ein Gang führt zu einer offenen Küche, die hell erleuchtet ist. Schwarzer Boden, schwarze Stühle. Von draußen schaut bereits die Nacht durch die Fenster. Ein junger Mann sitzt an einem großen Tisch. Er heißt Chimdi (25), trinkt ein Glas Wasser und tut so, als ob nichts passiert wäre. Kurz zuvor gab es eine „Weltpremiere“, wie Chimdi es selbst angekündigt hatte. Da zeigte er seinen Leuten hier im Studio sein erstes Musikvideo: „Well done“ heißt der Song. Chimdi ist Musiker, genauer gesagt Rapper. Ein rauschendes Fest mit Schampus, sehr leicht bekleideten Frauen, dicken Geld bündeln und weißen Rauchschwaden, die in der Luft hängen, gibt es allerdings nicht. Weswegen auch. Der junge Mann aus Nigeria trinkt noch ein Glas Wasser, wirkt zufrieden und erleichtert. Großkotziges Gehabe liegt ihm nicht, mag er nicht. Er muss auch gleich schon wieder los. „Arbeiten“, erklärt Chimdi. In der Glockenbachwerkstatt hat er vor ein paar Wochen ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) angefangen.

Weiterlesen „Guns, Girls, Money, Cars …“

Der traurigste Tag

EIN TEXT AUS DER SCHREIBWERKSTATT

Von Thabit Gorgies Dinha

Ein neuer Priester kam ins Dorf und ging in die Kirche, um Abendmesse zu halten, aber niemand kam. 15 Minuten später kamen drei Kinder herein, 20 Minuten später noch zwei junge Männer. So beschloss der Priester, mit diesen fünf Menschen die Messe abzuhalten. Nachdem der Gottesdienst schon begonnen hatte, trat ein Pärchen herein und setzte sich. Als der Priester mit seiner Predigt anfing, kam ein weiterer, leicht verschmutzter Mann mit einem zerschnittenen Strick in der Hand herein. Enttäuscht und ohne zu verstehen, warum die Gläubigen sich so eigenartig verhielten, übte der Priester den Dienst dennoch liebevoll aus und predigte mit Begeisterung. Nach Beendigung der Liturgie, der Priester befand sich bereits auf dem Heimweg, wurde er von zwei Dieben angegriffen und geschlagen. Die Tasche, in der er seine Bibel mitsamt anderen Gegenständen aufbewahrte, entrissen sie ihm. Als er zu Hause angekommen war und gerade dabei war, seine Wunden zu versorgen, fasste er den Tag wie folgt zusammen: „Es war der traurigste meines Lebens und mein Dienst ist völlig gescheitert … Aber das macht nichts, ich tue alles in Christus!“ Nach fünf Jahren in diesem Dorf beschloss der Pfarrer, die Erlebnisse jenes Tages mit den Gemeindemitgliedern in der Kirche zu teilen. Als er die Geschichte zu Ende erzählt hatte, hielt ihn ein Ehepaar aus der Gemeinde an und sagte: „Vater, das Paar, das hinten saß: Wir waren es. Wir hatten vor, uns scheiden zu lassen, aber zuerst wollten wir in die Kirche gehen und den Ehering dort lassen, dann sollte jeder von uns seinen eigenen Weg gehen. Aber wir haben die Trennung nach der Teilnahme an der Messe aufgegeben. Wir hörten uns die Predigt an, und nun sind wir hier mit unserer Familie, die wiederhergestellt ist.“ Während das Ehepaar sprach, sagte einer der erfolgreichsten Unternehmer im Ort, der diese Kirche unterstützte: „Vater, ich bin der Mann, der schmutzig mit einem Strick in der Hand zur Messe kam. Ich stand am Rande des Bankrotts, hatte alles verloren. Meine Frau und meine Kinder hatten mich verlassen, weil ich sie geschlagen und beleidigt hatte. An diesem Abend versuchte ich mich umzubringen, aber das Seil riss, also ging ich los, um ein neues zu kaufen. Während ich unterwegs war, sah ich die Kirche geöffnet und ich beschloss, einzutreten, obwohl ich sehr schmutzig war. An diesem Abend durchbohrte deine Predigt mein Herz und ich kam mutig aus der Kirche, um zu leben. Heute geht es mir gut, meine Familie ist zu mir zurückgekehrt und ich habe es zum erfolgreichsten Geschäftsmann im Dorf gebracht.“ Nun rief der Diakon der Kirche: „Vater, ich war einer von den Dieben, die dir deine Tasche gestohlen haben. Der andere starb noch in dieser Nacht, als er einen zweiten Diebstahl beging. Ich aber fand in der Tasche, die ich dir gestohlen hatte, die Bibel, in der ich seitdem jeden Tag lese. Nach einiger Zeit beschloss ich, Gott in dieser Gemeinde zu dienen.“ Der Priester erschauderte, fing an zu weinen und sagte zu den Gläubigen: „Nach all den Jahren erfahre ich, dass dieser Tag, den ich für einen schlechten hielt, ein großartiger und gesegneter war! Und wir wissen, dass alle Dinge zum Wohl derer zusammenwirken, die den Namen Gottes lieben, die nach seinem Ratschluss berufen sind. (Römer 8,28) Wir danken dir, Gott!“

Wir und ihr

Karin Lohr, Foto: Volker Derlath

WIR gehören zusammen: Auslieferer und Architektinnen, Bauern und Brez’nbäcker, Dramaturginnen und Dachdecker, Eigenheimbesitzer und Einheimische, Fahrradmonteure und Flaneure, Gärtnerinnen und Großstädter, Heizungsbauer und Hauswirtschafterinnen, Installateure und Italienerinnen, Jäger und Juristinnen, Kinder und Kirchenbesucher, Lokführer und Landeier, Musikerinnen und Maurer, Nerds und Notarinnen, Opernliebhaber und Optikerinnen, Polizistinnen und Pizzabäcker, Querflötistinnen, Radlfahrerinnen und Romantiker, Schlussredakteurinnen und Straßenzeitungs-Verkäufer, Thüringer und Trockenbauer, Umweltschützer und Übergewichtige, Vermieterinnen und Verspielte, Weintrinker und Werkstudentinnen, Xylophonistinnen und X-Beinige, Yogis und Yuppies, Zahnärztinnen und Zuagroaste. Wir alle leben in einem Land mit einem unglaublichen Wohlstand, im Frieden und mit einer funktionierenden Demokratie. Es darf doch nicht sein, dass sich gewählte Politikerinnen und Politiker vor einem Mob fürchten müssen, der ihnen auflauert, sie bedroht und bedrängt. Das ist den bayerischen Grünen im Wahlkampf vergangenen Herbst passiert, dem sächsischen CDU-Ministerpräsidenten Michael Kretschmer und Anfang des Jahres dem grünen Vizekanzler Robert Habeck. Das ist doch zum Gruseln, denn der Schritt zur Gewalt ist vorgezeichnet, wie der verstörende Mord an dem hessischen Regierungspräsidenten und der CDU-Lichtgestalt Walter Lübcke gezeigt hat. Von den unsäglichen Anwürfen, denen die Politikerinnen aller Parteien täglich ausgesetzt sind, gar nicht zu reden. Wie kann es sein, dass sich ein Mitglied der bayerischen Staatsregierung als „Revolutionsführer“ geriert und Öl ins Feuer gießt? Es wäre besser, wenn er sich, gemeinsam mit der gesamten gewählten Regierung, allen ihren Privilegien, den großen Budgets der bayerischen Ministerien und den ganzen Mitarbeiterstäben, dafür einsetzen würde, ihre politischen Vorhaben in die Realität umzusetzen. Nur so kann das Leben und Arbeiten der Menschen in Bayern noch besser werden. Denn besser geht immer.
Wir BISSler werden jedenfalls nicht still sein, wenn bestimmte Personen oder gesellschaftliche Gruppen von versprengten Kabarettisten, Narzissten und Lobbyisten (m/w/d) zu vogelfreien Sündenböcken gemacht werden. Schutz und Fürsorge brauchen die Schwächeren, für gegenseitigen Respekt und Wertschätzung sind wir alle verantwortlich.

Herzlichst

Karin Lohr, Geschäftsführerin